Herbert: Hochmoderne – Zusammenfassung
Thesen aus Ulrich Herberts Theorie der Hochmoderne (High Modernity) mit Bezug zum Bildungsplan 2016, KursstufeLiteratur
Europe in High Modernity. Reflections on a Theory of the 20th Century, in: Journal of Modern European History 5 (2007), S. 5-20
Vorbemerkungen:
- Abkehr von nationaler Geschichtsschreibung und Hinwendung zu transnationalen Prozessen
- Versuch, die politisch tief zerfurchten Jahre zwischen 1890 und 1970 als kohärente historische Einheit zu begreifen
- Zeitraum ab 1880 – 1970 als Teilepoche der europäischen Moderne, in der sich die Übergänge aus älteren Sozial- und Herrschaftsstrukturen breitenwirksam entfalteten
- Abkehr von der Zeit von 1840-1870 als Beginn der Moderne zugunsten des Beginns erst ca. 25 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg („Jahrhundertwende als Büchse der Pandorra“)
- Anknüpfung an die Definition der „klassische Moderne“: Entstehung einer Massenkultur und sowie einer Massenöffentlichkeit
→ Konzept der Hoch- beziehungsweise Industriemoderne zwischen 1890 und 1980 prägte die politischen und gesellschaftlichen Ordnungsentwürfe, die aus den ideologischen Strömungen Liberalismus/liberale Demokratie, Bolschewismus/Kommunismus und extremer Nationalismus/Nationalsozialismus erwuchsen, interpretierte er als unterschiedliche Antworten auf die Herausforderungen der modernen Industriegesellschaft
11.1. Wege in die westliche Moderne/ Wege in die Moderne
- Modernisierung erfolgte in einem Zeitraum von weniger als 30 Jahren und führte aufgrund dieser Veränderungsdynamik zu einer „Schockwelle“
- Intensität und Dynamik der Veränderung als enormer Fortschritt und zugleich tiefe existentielle Krise wahrgenommen und führten zu radikalen Experimenten bzw. traditionellen Schutzmaßnahmen
- nachfolgende – teilweise katastrophale – politische Ereignisse sind Reaktion auf die Moderne
11.2. Gegenentwürfe zur parlamentarischen Demokratie/ Bedrohung von Demokratie und Freiheit
- nach den zerstörerischen Prozessen im Ersten Weltkrieges wuchs die Überzeugung, dass das liberale Modell der bürgerlichen Gesellschaft gescheitert war und nur durch ein ideologisches Gesamtmodell zu überwinden sei: entweder durch das rechtsradikales Modell des auf biologischer Abstammung beruhenden völkischen Nationalismus oder durch das linksradikale Modell der sozialen Ungleichheit und des Internationalismus
- Zwischen 1922 und 1939 entstanden fast überall in Europa antidemokratische Systeme als Gegenmodelle zum Liberalismus („alternative Moderne“)
- Sieg der Anti-Hitler-Koalition beendete die völkisch-nationale Alternative, die für einen beispiellosen Massenmord verantwortlich war und führte zugleich zur Aufwertung des anderen Modells
12.1. Streben nach Wohlstand und Partizipation in West- und Osteuropa/ Wege in die postindustrielle Zivilgesellschaft
- Überlegenheit des demokratisch-kapitalistischen Liberalismus nur in politisch-institutioneller Sicht, nicht aber gesellschaftlich, wo nach 1945 eine „Revitalisierung“ alter Werte zu beobachten ist
- Erst aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums und der damit verbundenen sozialen Stabilität konnte sich ab den 1960er Jahren in Westeuropa ein Bedürfnis nach Neuorientierung der Lebensstile und ein breiter Emanzipationsprozess entwickeln
- mangelnde Flexibilität, geringer wirtschaftlicher Erfolg und steigende Attraktivität des Westens führte ab den 1970er Jahren zu tiefgreifenden Krisen in Osteuropa, die 1990 als Systembruch ihren Höhepunkt fanden
- Zusammenbruch des Sozialismus als Ende der radikalen Reaktionen auf die Krise der bürgerlichen Gesellschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts und Triumph der westlichen Konsum- und Zivilgesellschaft
- In den 1970er Jahren breiter Konsens liberalen demokratischen Konsum- und Zivilgesellschaften mit ausgewogener Mischung aus liberaler und sozialer Marktwirtschaft, staatlicher Fürsorge und privater Risiken, Tradition und Moderne, Individualismus und kommunaler Strukturen, nationaler Autonomie und supranationalen Beziehungen
- Ab dem Zeitpunkt eines breiten Konsenses in Westeuropa begannen sich die Grundlagen der kapitalistischen Industriegesellschaft zu verändern und anstelle der Ost-West-Konfrontation traten neue Herausforderungen Umweltproblematik, globalisierte Kapital- und Warenströme, Digitalisierung, sinkende Bedeutung der Nationalstaaten wegen supranationaler Bündnisse, Migration, Geschlechtergerechtigkeit
- Diese neuen Herausforderungen trugen ebenfalls zum endgültigen Untergang des Sowjetsystems mit bei, da dieses nicht mehr als Zukunftsvision gesehen wurde
Fazit:
→ seit Ende des 19. Jahrhunderts Phase des schnellen Wandels der europäischen Gesellschaften, in der in allen Bereichen immer wieder nach geeigneten Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen gesucht wurde, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren endete.
→ ab den 1970er Jahren scheinen Probleme seit Jahrhundertwende gelöst durch breiten Konsens innerhalb der liberalen demokratischen Konsum- und Zivilgesellschaften und hoher Faszination dieses Modells sowie fehlender Zukunftsvision im sozialistischen System.
→ nachfolgende Zeit weder „Postmoderne“, da die mühevoll erarbeiteten erfolgreichen Antworten gültig blieben, noch „postindustriell“, da Kohle- und Stahlindustrie durch neue Industrien in IT- und Biochemie abgelöst wurden.
→ Hochmoderne war geprägt von der Hegemonie des Industrialismus, dem Widerspruch zwischen dynamischen Veränderungen und radikalen traditionellen Gegenmodellen auf der linken und rechten Seite.
→ Moderne nicht als Ensemble fester Prinzipien, sondern als offenen Prozess begreifen.
→ Verhältnis zw. Strukturwandel und Wertehaltung bzw. politischen Gestaltungsoptionen als „challenge and response“ (Toynbee) bezeichnet.
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