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Berlin der Gegenwart und der Vergangenheit

Protagonistin Lena: Das Berlin der Gegenwart

Auszüge: Teil I, Kapitel 4, S. 37 – Teil 2, Kapitel 3, S. 88-89

Protagonist Ulf Seitz: Das Berlin der Vergangenheit

Auszug: Vierter Teil, Kapitel 1, S. 168-169.

Als ich zur S-Bahn die Treppe hochfahre, fällt die Dämmerung über die Stadt, deren Lichter wie glimmende Kohlen im dichten Nebel stehen. Der Waggon ist voll. Wie unterschiedlich gepolte Magnete stehen die Menschen eng aneinandergedrückt, die Arme unten. Kaum entkommt man einem Blick, stößt man erneut auf fremde Augen und dreht sich weg. In Strömen fließen wir aus dem Zug und stauen uns vor den Rolltreppen. Dicht aneinander tappen wir auf dem Bahnsteig, am Alexanderplatz laufen wir schnell auseinander. [I/4, S. 37]

Ich setze die neue bunte Mütze auf und gehe raus, in die Stadt, die mir immer Zuflucht vor Kummer und Spleens bietet. Sie ist für mich das, was für die Romantiker Gebirge oder Wälder waren. Die Häuser sind meine Felsen, die Menschen eigenartige Bäume, die Straßen eigensinnige Flüsse.

Der Alex ist leer. Nur hier und dort eilen verschneite Gestalten vorbei. Im bedeckten Durchgang zwischen dem Kaufhof und dem Hotel stehen drei Menschen. Ein Mädchen in kurzer Jacke, einen Streifen nackter Gänsehaut über den tief sitzenden Jeans.Sie hat dunkle, wache Augen, die gleichen wie ihr magerer Vater mit der eckigen Pelzmütze und mit der vorzeitig gealterten, grauen Haut. Die Mutter ist klein und stämmig: breite Waden, rundes Mohairbarett als flauschiger Glorienschein. Die drei beugen sich über das Blatt mit dem BVG-Liniennetz. Durch den Tunnel hallen, durch das Echo verstärkt, ihre russischen Worte.

Brauchen Sie Hilfe?, sage ich und bleibe stehen.

Ja! Sprechen Sie Russisch? So ein Glück! Wir können die Tramhaltestelle nicht finden. Tram Nummer 4.

Das ist auf der anderen Seite des Platzes. Kommen Sie mit!

Wir schreiten über den Alex, rechts lassen wir den trockenen Brunnen der Völkerfreundschaft hinter uns, links das Hotel, das einst International hieß und das sich heute Park Inn nennt. Ich erzähle, dass dieser Platz ein wichtiger Verkehrsknoten, ein Nabel des ärmeren, östlichen Berlins war, ein Pendant zum respektablen Charlottenburger Bahnhof Zoo. [II/3, S. 88-89]

In seinem späteren Leben schien ihm oft, dass der grüne Lustgartenrasen in der Stadt sich an manchen Stellen wie der Bauch einer Schwangeren herauswölbte. Nun sprießt endlich die Wiese im Frühling: schmucke Bäume in Zierbottichen, tschilpende Spatzen, bunt gekleidete Menschen (sie laufen, sitzen, liegen, lächeln), und über ihre Köpfe ragen voluminöse bronzene Figuren (jede zwei Mann hoch) mit auffällig dicken Schenkeln: Kreationen eines berühmten kolumbianischen Künstlers. Die Plastiken gefallen Herrn Seitz nicht, von den weißen, wohlproportionierten Figuren auf unserer Schlossbrücke ist er dagegen sehr angetan.

Die allegorischen Skulpturen stellen die Lebensstationen eines Krieges von der Geburt bis zu seinem glorreichen Tod dar. So eine törichte, kindische Vorstellung von Leben und Tod im Krieg, da sind wir beide einig, und dennoch bleibt Herr Seitz bei der Meinung, dass der Klassizismus unübertroffen war und bleibt. Er schwärmt vom 19. Jahrhundert, von Schinkel, von der großen Liebe zwischen den Hohenzollern und den Romanows, die einander mit Pferden, Teepavillons, mannsgroßen Vasen, goldenen Eiern, Diamanten, Köchen, Kriegern oder ganzen Regimentern beschenkten. Auch Kopien der gusseisernen Geländer der Schlossbrücke wurden nach Petersburg verschenkt. Erst als Herr Seitz mich darauf hinwies, habe ich mich erinnert, dass ich die gleichen Tritonen und Seepferdchen so oft auf dem Newskij Prospekt gesehen hatte! Warum habe ich es nicht früher bemerkt? Mit seinen Augen sehe ich diese Straßen anders, erobere und bewohne sie neu, mache sie mir zueigen.

Gibt es auch ein Wort ‚Stadtnahme‘ als Pendant zur ‚Landnahme‘?, frage ich. Nein, lächelt Herr Seitz. Gibt es nicht. Kennen Sie übrigens den Roman, der so heißt? So plaudernd, gehen wir am Zeughaus vorbei und bleiben vor der Neuen Wache stehen. Einst wärmten sich hier die Streifen der Schlossgarde, neuerdings sitzt in dem kahlen Steinsaal eine bronzene Mutter, ihr geschundener und zusammengebrochener Sohn knäult sich in ihrem Schoß. Die sitzende Frau mit Kopftuch lässt mich an meine Großmutter denken, oder an Herrn Seitz’ Mutter, wie sie hinter dem umgekippten Klavier den Sohn fest an sich presst, um ihn in ihrem Schoß vor Kugeln zu schützen.

Kontrastieren Sie das Berlin Lenas mit demjenigen des Herrn Seitz. Erarbeitung von Kontexten: Der Alexanderplatz – Bedeutung innerhalb der Literatur Kontrastieren Sie das ideale Berlin des Herrn Seitz mit Lenas Berlin. Erarbeitung von Kontexten: Die Bedeutung des Klassizismus, des 19. Jahrhunderts für die Beziehung zwischen Deutschland und Russland

 

Einsteig über „Berlin liegt im Osten“: Herunterladen [pdf][1 MB]

 

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