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In­ter­view mit Prof. Dr. Jan Rüg­ge­mei­er

A3.3a  Aus­zug aus dem In­ter­view mit Prof. Dr. Jan Rüg­ge­mei­er zu Lk 15,11-32

S.: Sind Sie der Mei­nung, dass der Vater blind vor Liebe bzw. Freu­de war und des­halb den äl­te­ren Sohn be­nach­tei­ligt hat?

J.R.: Das sind ja im Grun­de zwei Fra­gen. Die erste Frage: Ist er blind vor Liebe? Von „blind aus Liebe“ spre­chen wir eher bei einer part­ner­schaft­li­chen Liebe zwi­schen Mann und Frau oder auch gleich­ge­schlecht­li­cher Liebe. Das wird so­zu­sa­gen hier gar nicht be­ant­wor­tet – diese Frage in dem Gleich­nis. Da geht es ein­fach um diese über­gro­ße Liebe ge­gen­über dem Sohn. Der Vater kann gar nicht an­ders als ihm ent­ge­gen­zu­ren­nen. Er ist vol­ler Liebe. Man könn­te dann sagen, es ist blind, aber es ist ei­gent­lich mehr als das.

Bei der zwei­ten Frage: Das scheint dich und euch zu in­ter­es­sie­ren. Ihr scheint euch ir­gend­wie an der Per­son des äl­te­ren Bru­ders da ab­zu­ar­bei­ten. Und ich glau­be, das ist auch genau das, was das Gleich­nis will: dass wir auf die Ge­füh­le die­ses grö­ße­ren Bru­ders ach­ten, auf die Un­zu­frie­den­heit, die ja dar­aus her­kommt, dass der Vater dem jün­ge­ren Sohn ein­fach so ver­gibt, als ob nichts ge­we­sen wäre. Und das ist genau die Pro­vo­ka­ti­on des Gleich­nis­ses.

S.: Wenn Sie der äl­te­re Sohn ge­we­sen wären, hät­ten Sie das Fest für den jün­ge­ren Sohn ver­stan­den?

J.R.: Ja, das ist jetzt eher die Frage an den Chris­ten Jan Rüg­ge­mei­er als an den Neu­tes­ta­ment­ler oder Wis­sen­schaft­ler Jan Rüg­ge­mei­er. Als heu­ti­ger Christ würde ich sagen, kann ich mich ab­so­lut mit die­sem Sohn auch iden­ti­fi­zie­ren. Ich sehe die Pro­ble­ma­tik und den Ärger, den er haben muss. Und glau­be, dass das auch in un­se­rer Wirk­lich­keit heute fest ver­an­kert ist, dass es eben sehr pro­vo­ka­tiv ist, dass je­man­dem ein­fach so ver­ge­ben wird und dass je­mand, ohne etwas leis­ten zu müs­sen, ge­liebt wird. Wir haben das so sehr ver­in­ner­licht – in der Schu­le, dass die gute Note zählt und ich etwas leis­ten muss; dass das Be­son­de­re und Her­aus­ra­gen­de an Men­schen ge­liebt wird und dass eben Men­schen nicht ein­fach an und für sich schon OK und lie­bens­wert sind. In­so­fern bleibt die­ses Gleich­nis – auch für mich per­sön­lich – eine Zu­mu­tung und eine po­si­ti­ve Her­aus­for­de­rung. Im Grun­de ist es Evan­ge­li­um in Kurz­form. Froh­ma­chen­de Bot­schaft, die näm­lich sagt: Du bist aber tat­säch­lich, un­ab­hän­gig von dem, was du zu leis­ten im­stan­de bist, ge­liebt – rund­um, so, wie du jetzt schon bist. In­so­fern kann ich mich mit dem gro­ßen Bru­der iden­ti­fi­zie­ren. Ich möch­te mich aber auch mit dem jün­ge­ren Bru­der iden­ti­fi­zie­ren kön­nen und das für mich in An­spruch neh­men, dass das näm­lich für mich auch schon gilt, dass ich un­ab­hän­gig von dem, was ich im Leben leis­ten kann, ge­lieb­ter Mensch bin – nicht nur ge­lieb­ter Mensch eines Va­ters, son­dern auch ge­lieb­ter Mensch eines lie­ben­den Got­tes.

S.: Das Gleich­nis heißt ja „Der ver­lo­re­ne Sohn“. Aber wer ist denn im Gleich­nis ei­gent­lich der „ver­lo­re­ne Sohn"?

J.R.: Ja, das ist na­tür­lich eine sehr span­nen­de Frage. Ich möch­te viel­leicht da ein­set­zen, dass der Titel ja erst spä­ter dem Gleich­nis ge­ge­ben wurde. Also: im ur­sprüng­li­chen Text haben wir keine Titel. Das ist schon eine Deu­tung, die dem Gleich­nis erst spä­ter bei­ge­fügt wurde. Und tat­säch­lich kann man diese Frage aber dann stel­len, wenn wir vom „Ver­lo­re­nen“ reden wol­len. Ei­gent­lich sind beide Söhne am Ende nicht ver­lo­ren. Also bei­den Söh­nen gilt ja die Zu­wen­dung des Va­ters glei­cher­ma­ßen. Das heißt, der Be­griff ist ei­gent­lich ir­re­füh­rend. Tref­fen­der wäre es von der Freu­de des Va­ters zu spre­chen, von der Liebe des Va­ters und das Gleich­nis ent­spre­chend um­zu­be­nen­nen.

S.: Jetzt haben wir über die ver­schie­de­nen Teile des Gleich­nis­ses ge­spro­chen. Aber was genau will Jesus mit dem Gleich­nis aus­drü­cken? Und was be­deu­tet Ihnen das Gleich­nis?

J.R.: Das Gleich­nis hat na­tür­lich eben mehr zu sagen, als dass es nur eine ge­schicht­li­che Er­zäh­lung ist. Es ist ein Text, der auch heute für uns als Glau­ben­de noch Re­le­vanz hat. Und da würde ich wie­der an­knüp­fen an den zen­tra­len [Ge­dan­ken], dass es näm­lich im Kern um die be­din­gungs­lo­se An­nah­me von Men­schen geht. Und das ist etwas, was zen­tral wich­tig ist, nicht nur für mich per­sön­lich, son­dern dann auch für uns als Kir­che, dass wir diese Bot­schaft im Mit­tel­punkt ste­hen haben; dass Men­schen, egal, wo sie her­kom­men, egal, was sie aus­macht und kenn­zeich­net glei­cher­ma­ßen das in An­spruch neh­men kön­nen, was das Gleich­nis als zen­tra­le Bot­schaft trans­por­tiert: näm­lich die vor­aus­set­zungs­lo­se und be­din­gungs­lo­se An­nah­me jedes ein­zel­nen glei­cher­ma­ßen.

A3.3b „Der Ver­lo­re­ne Sohn“? Wir hät­ten da ein paar Fra­gen…

Auf­ga­be

Wie deu­tet Prof. Dr. Rüg­ge­mei­er das Gleich­nis? Ver­voll­stän­digt die Satz­an­fän­ge.

Das Bild zeigt ein Portrait von Dr. Jan Rüggemeier

Theo­lo­gie­pro­fes­sor Dr. Jan Rüg­ge­mei­er

  • Der zen­tra­le Ge­dan­ke des Gleich­nis­ses ist …
  • Was Jesus hier sagt, ist eine Zu­mu­tung, weil …
  • Es ist aber auch eine po­si­ti­ve Her­aus­for­de­rung. Christ*innen und die Kir­che als ganze sind auf­ge­for­dert, …

 

 

 

A3.3b „Der Ver­lo­re­ne Sohn“? Wir hät­ten da ein paar Fra­gen… Lö­sungs­hin­weis

Der zen­tra­le Ge­dan­ke des Gleich­nis­ses ist …

… die vor­aus­set­zungs­lo­se und be­din­gungs­lo­se An­nah­me von Men­schen (durch Gott).

Was Jesus hier sagt, ist eine Zu­mu­tung, weil …

… es är­gert, dass je­mand ein­fach so ver­ge­ben wird und dass je­mand ge­liebt wird, ob­wohl er es nicht ver­dient hat. Wir kön­nen uns alle in dem Punkt sehr mit dem äl­te­ren Bru­der iden­ti­fi­zie­ren.

Es ist aber auch eine po­si­ti­ve Her­aus­for­de­rung. Christ*innen und die Kir­che als ganze sind auf­ge­for­dert, …

…die Bot­schaft von der vor­aus­set­zungs­lo­sen und be­din­gungs­lo­sen An­nah­me aller Men­schen in den Mit­tel­punkt zu stel­len (d.h. auch im ei­ge­nen Ver­hal­ten).

Ma­te­ria­li­en: Her­un­ter­la­den [docx] [1 MB]

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