Arbeitsblatt 4a
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Arbeitsblatt 4a: Molekulare Ursachen und ihre Auswirkungen (Infotexte)
Infotext 1:
(…)
(C) Infotext 1 "Spektrum der Wissenschaft" Januar 2004, S. 64-65Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Spektrum Verlags
Infotext 2:
(…)
Auf welche Weise die [Protein-] Aggregate Nervenzellen schädigen, ist jedoch
sehr umstritten. Möglicherweise sind die Proteasomen – eine Art zellulärer Reißwolf
für verbrauchte oder potenziell schädliche Proteine – nicht in der Lage, die
mutierten, falsch gefalteten Huntingtin-Proteine zu beseitigen, sodass sich
diese in den Zellen anhäufen und sie schließlich zum Absterben bringen. (…)
(…)
Ferner fanden wir heraus, dass das funktionstüchtige Protein [=Wildtyp-Huntingtin]
offenbar den Ablauf molekularer Ereignisse unterbricht, die in das Selbstmordprogramm
der Zelle, die Apoptose, münden. Demnach fungiert es – so folgerten wir – als
eine Art Lebensretterprotein in Nervenzellen. (…)
(…)
[In diesem Zusammenhang] wandten wir und andere Forscher uns einem Protein mit
dem Kürzel BDNF zu (
brain-derived neurotrophic factor
; vom Gehirn stammender
neurotropher Faktor). Es handelt sich um einen Wachstumsfaktor, der bekanntermaßen
die Entwicklung und das Überleben von Nervenzellen im Streifenkörper fördert.
(…)
Bei der Suche nach einer möglichen Beziehung zwischen Huntingtin und BDNF erhielten
wir ein überraschendes Ergebnis: Normales Huntingtin steigerte die Produktion
des Wachstumsfaktors in Nervenzellkulturen. Es aktivierte offenbar den so genannten
Promotor – den Einschaltregler – des BDNF-Gens, sodass die Zellmaschinerie dieses
häufiger abliest und mehr von dem Wachstumsfaktor erzeugt. Anders mutiertes
Huntingtin: Es stimulierte den Promotor nicht und die BDNF-Produktion sank.
(…)
Aufgrund dieser Erkenntnisse gehen wir mittlerweile davon aus, dass die Huntington-Krankheit
eine sehr komplexe Störung ist, die sich nicht ohne weiteres in unsere früheren
Hypothesen einfügt. Die Mutation im Huntingtin-Gen lässt nicht nur toxische
Protein-Aggregate entstehen, die direkt Hirnzellen töten können. Sie führt auch
zu einer Verarmung des Gehirns an normalem Huntingtin – und damit indirekt zu
einer geringeren Produktion des wichtigen Wachstumsfaktors BDNF. (…)
(C)
Infotext 2
"Spektrum der Wissenschaft" Januar 2004, S. 60-67
Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Spektrum Verlags
Infotext 3
(…)
Die tieferen Einsichten in die Komplexität der Chorea Huntington liefern uns
das Rüstzeug, um letztlich bessere Therapien zu entwickeln. Die derzeit erhältlichen
Medikamente mildern lediglich manche der Symptome und haben mitunter starke
Nebenwirkungen oder verschlimmern andere Krankheitserscheinungen. So gibt es
bestimmte Beruhigungsmittel, die unfreiwillige Bewegungen unterdrücken helfen.
Sie senken jedoch die Konzentration des Nervenbotenstoffes Dopamin im Gehirn
und verstärken dadurch die depressiven Symptome. Umgekehrt hebt der Einsatz
von Antidepressiva zwar die Stimmung der Betroffenen, doch können manche Präparatetypen
die Chorea fördern.
(…)
Sollte sich bewahrheiten, dass die Eiweißbrocken die Ursache allen Übels sind,
könnte ein Ansatz für die Therapie darin bestehen, das Verklumpen zu unterbinden
oder bestehende Aggregate aufzubrechen.
(…)
Zunächst fanden wir in einer chemischen Verbindung namens Kongorot ein Mittel,
um das Verklumpen der Polyglutamin-Abschnitte zu hemmen – sowohl bei isoliertem
Protein im Reagenzglas als auch in Zellkulturen. (…) Damit war ein wichtiges
Angriffsziel für die Behandlung der menschlichen Huntington-Krankheit ermittelt:
Zwar ist Kongorot selbst zu toxisch und daher als Medikament ungeeignet, doch
zeigte es prinzipiell, dass sich durch gezieltes Hemmen der Aggregation der
Schaden im Gehirn begrenzen lässt. (…) Leider ist es kaum praktikabel, die hilfreichen
Proteine von außen in die Neuronen im menschlichen Gehirn zu manövrieren, [da
sie nicht gehirngängig sind.]
(…)
Neuere Behandlungsstrategien zielen darauf ab, die zerstörten Neuronen durch
transplantiertes fetales Nervengewebe zu ersetzen oder neurotrophe Wachstumsfaktoren
wie BDNF in das Gehirn einzubringen.
(…)
Behandlungsversuche mit BDNF sind geplant, (…). Allerdings ist es schwierig,
die Wachstumsfaktoren in ausreichender Menge und aktiver Form in betroffene
Hirnregionen zu schleusen. Oral [=Einnahme durch den Mund] verabreicht werden
die Proteine im Magen-Darm-Trakt schlichtweg verdaut und verlieren ihre Wirkung.
Injektion oder Infusion in den Blutkreislauf ist ebenfalls keine optimale Lösung,
da die Moleküle kaum die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Diese zelluläre
Barriere schirmt das Gehirn vor vielen im Blut zirkulierenden Stoffen ab.
(…)
Ein weiteres Angriffsziel für künftige Medikamente gegen Chorea Huntington könnte
der Promotor des BDNF-Gens bieten. Die Idee ist, einen Wirkstoff zu finden,
der die normale Funktion von Huntingtin – das BDNF-Gen zu aktivieren – übernimmt.
(C)
Infotext 3 Teil 1
"Spektrum der Wissenschaft" Januar 2004,
S. 60-67
Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Spektrum Verlags
(…)
Vor zehn Jahren hatten einige Patienten ein Experiment gewagt: Sie ließen sich
junge Neuronen verpflanzen, die aus dem Striatum von Embryonen entnommen wurden
- jener Hirnregion, die am stärksten bei der Huntington-Krankheit leidet. Zunächst
verlief die Therapie, die zuvor nur an Tieren getestet worden war, bei der Mehrzahl
der Patienten erfolgreich: Die neuen Zellen fügten sich gut ins Nervensystem
ein, auch die körperlichen Symptome verbesserten sich leicht. Langfristig sterben
die transplantierten Neuronen jedoch noch schneller ab als die körpereigenen.
Zu diesem Ergebnis kamen die kanadischen Wissenschaftler, als sie nun die Gehirne
von drei der damaligen Patienten nach deren Tod untersuchten. Die verpflanzten
Zellen waren offenbar an den für Huntington typischen Prozessen zu Grunde gegangen.
Auch Entzündungsreaktionen im Zuge der Operation hatten ihre Überlebensdauer
eingeschränkt. Eine Nerventransplantation ist daher nach Ansicht der Forscher
wenig aussichtsreich.
Entnommen aus: Gehirn & Geist, November 2005, S.34-38
(…)
Andere Substanzen wiederum sollen das Verklumpen der Huntingtin-Proteine verhindern.
»Süße Linderung« verspricht beispielsweise Trehalose: Forscher um Motomasa Tanaka
vom japanischen Riken-Institut in Wako konnten im vergangenen Jahr mit dem in
Wüstenpflanzen vorkommenden Zucker die Proteinverklumpung hemmen und den Beginn
der Krankheit – wiederum bei Mäusen – hinauszögern.
(C)
Infotext 3
"Gehirn & Geist", S.34-38
Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Spektrum Verlags