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Meme 4:David Denne

Mehr Memes für die politische Kommunikation? Ein Blick in unsere memetische Debattenkultur

von David Denne

Im Lachen über Memes finden Menschen Gemeinsamkeiten. „Das hat etwas sehr Schönes und Verbindendes und ist auch eine Form von freier Meinungsäußerung“, findet der Journalist. Es ist wenig überraschend, dass Memes deshalb beinahe in allen digitalen Räumen ihren Platz finden.

Memes lösen also emotionale Reaktionen aus – im Optimalfall: Freude. Dr. Verena Straub weiß aber, dass Memes nicht nur über Humor funktionieren. Dr. Straub forscht an der TU Dresden zu Bildprotesten in den Sozialen Medien und hat beispielweise die iranischen „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste analysiert. „Hier haben sich Menschen als Geste der Solidarisierung ihre Haare abgeschnitten“, erklärt Straub. Es war nicht Humor im Mittelpunkt, sondern geteilte Gefühle von Wut, Trauer und Empörung. „Memes besitzen also einiges an Mobilisierungspotenzial und können politisch wirksam werden“, sagt Straub. Auf diese Weise könnten Sie durchaus neue Formen des Aktivismus ermöglichen.

Ein erstelltes oder geteiltes Meme kann die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausdrücken. „Ich glaube, dass Menschen Memes verwenden, um sich zugehörig und sicher zu fühlen in einer Welt, die immer komplexer wird und in der es einfache Wahrheiten nicht mehr gibt.“

Memes schaffen Zugehörigkeitsgefühle und damit auch Identitäten. Für Gesellschaften ist das oftmals ein verbindender Kitt. Allerdings leben wir in einer Welt mit immer mehr, fragmentierten Öffentlichkeiten. Und da kann das identitätsstiftende Element von Memes Probleme für politische Debatten bringen. Dirk von Gehlen beschreibt das mit dem Begriff der memetischen Muster. „Dann wird nicht mehr konsensual nach einem Kompromiss gesucht, sondern ich verwende das Meme als Selbstbestätigung“, erklärt er. Memes können in diesem Fall wie Schlagworte in einer politischen Diskussion wirken. „Das Wort ‚Lügenpresse‘ funktioniert ähnlich“, sagt von Gehlen. Das Schlagwort mache direkt die politische Haltung klar. Allgemein sagt von Gehlen: „Das Politische ist nicht mehr privat, sondern wir haben nahezu einen Zwang uns politisch zu positionieren.“ Die Folge: Ein Meme ist kein unverfänglicher Spaß mehr, sondern wird schnell zu einer politischen Haltung.

Diese Personalisierung des Politischen kann dazu führen, dass marginalisierte Gruppen sich endlich äußern können. Sie kann aber auch zu mehr Polarisierung führen. „Wenn meine politische Meinung Teil meiner Identität ist, kann ich sie natürlich nicht so einfach ändern“, sagt von Gehlen. Meinung und Mensch werden nicht mehr getrennt. „Ich sehe da ein problematisches Muster. Denn der Wert von Demokratie liegt auch darin, dass wir unsere Meinung ändern dürfen und sie nicht Bestandteil unserer Person ist“, so von Gehlen. Gleichzeitig verkürzen und vereinfachen Memes Inhalte, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhalten. Die teils empörten Reaktionen von User*innen und Medien auf kontroverse Memes wird mit einkalkuliert und verstärkt die Wirkung. „Das ist eine sich selbsterfüllende Prophezeiung“, sagt von Gehlen und wünscht sich in der Gesellschaft und bei Medienvertreter*innen etwas mehr Medien- und Meme-Kompetenz.

Aber was ist dafür nötig, dass Memes den demokratischen Diskurs trotzdem anregen? „Ich habe manchmal das Gefühl, dass nicht die Memes das Problem sind“, sagt von Gehlen. Vielmehr seien die Emotionen, die inzwischen stark in politische Diskussionen eingezogen sind, das große Problem. „Ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht immer so reflexhaft auf etwas reagieren, sondern einfach mal eine Pause machen.“ Er fasst das unter dem Begriff „Entpörung“ zusammen: „Die Welt geht auch nicht unter, nur weil ich mich mal nicht zu 100 Prozent durchgesetzt habe. Weil aber das nicht der Fall ist, entsteht ein Gefühl von Dringlichkeit. So entsteht natürlich ein massiver Druck, der dann wiederrum zu Überforderung führt.“

Memes können eine große politische Macht entfalten. Kein Wunder also, dass Memes genutzt werden, um Stimmungen zu machen. „Kurz nach der Invasion in die Ukraine fielen mehrere pro-russische TikTok-Trends auf, die innerhalb weniger Tage in erstaunlicher Uniformität verbreitet wurden“, erzählt Dr. Verena Straub. Diese Trends entstanden jedoch nicht organisch. „Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich dabei um organisierte Kampagnen handelte, die von Putin-nahen Organisationen gelenkt und bezahlt wurden.“ In diesem Fall ging das aber schnell nach hinten los. „Ukrainische TikToker*innen eigneten sich eins dieser Tanz-Memes an und brachen es ironisch“, sagt Dr. Straub. Sie parodierten die Videos und verdrängten innerhalb weniger Tage die pro-russischen Videos. „Dieser Fall ist ein Paradebeispiel für die Konflikthaftigkeit und Unplanbarkeit von Memes“, so Dr. Straub.

Ähnliches passierte auch dem „Let’s Go Brandon“-Meme. Die politisch Rechte in den USA nutzte das Meme als Beleidigung gegen US-Präsident Joe Biden. Doch Anhänger der politisch Linken deuteten das Meme um. Nach einigen politischen Erfolgen von Biden entstand, in Anspielung an das rechte Meme, „Dark Brandon“. Dark Brandon ist das der User*innen geschaffene Alter Ego Bidens mit Augen aus roten Lasern, das seinen Gegner*innen immer einen Schritt voraus ist. Das Team von Biden machte sich das Meme zunutze und setzt es bis heute aktiv in der Kommunikation und im Wahlkampf ein – zum Beispiel indem Biden auf TikTok für eine Tasse mit seinem Dark-Brandon-Konterfei wirbt. Das vielleicht eingängigste Meme ist aber vermutlich "Pepe the Frog". Der eigentlich unpolitische Cartoon-Frosch wurde auf dem Imageboard 4chan von den User*innen gekapert und zu einem Symbol für rassistisches Gedankengut und im weiteren Verlauf ein Symbol für die Unterstützung von Donald Trump. Inzwischen ist Pepe auch international ein Symbol für rechte Gruppierungen. Dass Memes aber unplanbar sind, zeigt, dass Pepe 2019 von den pro-demokratischen Protestierenden in Hongkong als Symbol wurde, obwohl diese sich von rechtsextremen Gedankengut abgrenzten. Memes im Politischen bedeuten also immer auch einen Kampf um die Deutungshoheit. Denn sie können unter Umständen Stimmungen aus dem digitalen Raum ins „Real Life“ übertragen, Identitäten schaffen und Menschen mobilisieren. Das sind alles Faktoren, die in politischen Debatten den Unterschied machen können. „Ich denke schon, dass Memes bestimmte gesellschaftliche Themen stärker in den Fokus rücken können“, sagt Dr. Straub. „Die Schnelllebigkeit von Memes im Netz führt aber eben auch dazu, dass politische Themen von neuen ersetzt und verdrängt werden“, so Straub weiter. Die Frage bleibt aber offen: Wenn der Kampf um die Deutungshoheit von Symbolen und Memes wichtiger wird als die inhaltliche Auseinandersetzung zu Themen – ist das nicht eher ein Problem für politische und gesellschaftliche Diskurse?

Memes und eine memetische Debattenkultur können demokratische Prozesse erschweren – aber sie bergen auch große Chancen für eine offene Gesellschaft. Denn Sie sind ein Mittel zur Meinungsäußerung und Partizipation. „Das politische Potenzial von Memes zeigt sich vielleicht am deutlichsten in Gesellschaften, in denen politische Partizipation von den jeweils Herrschenden sehr beschränkt wird“, sagt Dr. Straub. So gebe es beispielsweise in China das Meme des „Tank Man“ – also das Foto eines Mannes, der sich während des Massakers am Tian’anmen Platz 1989 vor einen Konvoi von Panzern stellte und ihre Abfahrt blockierte. Die Verbreitung des Bilds ist bis heute in China verboten. „Trotz aller Restriktionen verbreiten chinesische Nutzer*innen das Bild in zahlreichen Photoshop-Montagen“, erzählt Dr. Straub. Der „Tank Man“ sei ein deutliches Beispiel, wie Memes politische Partizipation ermöglichen können.

Gleichzeitig dienen Memes vielen Menschen auch als Informationsquelle, wie Florian von hauptstadt.memes erklärt: „Meine Follower berichten mir sehr oft, dass sie von bestimmten politischen Themen zuerst durch hauptstadt.memes erfahren.“ Informationsquellen, die zu ideologisch oder parteiisch gefärbt sind, können memetische Muster weiter anfachen. „Das rechte Lager hat früh genug die Relevanz der Plattformen erkannt und dadurch einen geradezu uneinholbaren Reichweitenvorsprung erhalten“, sagt Florian. Das zeigt sich gerade aktuell an den Diskussionen zur Stärke der AfD auf TikTok. „Die AfD hat auf Social Media mehr Einfluss als alle anderen Parteien zusammen. Das macht mir persönlich Angst.“ Durch ihren identitätsstiftenden und vereinfachenden Charakter können Memes von populistischen oder extremistischen Gruppen zu mehr Radikalisierung und einer Verrohung des Diskurses oder zur Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen führen. Das merkt auch Florian in den Kommentarspalten: „Leider muss ich zunehmend feststellen, dass die Zahl hetzerischer Kommentare immer mehr zunimmt. Auch der Ton in direkten Nachrichten wird rauer. Natürlich nehme ich den gratis Algorithmus-Push durch die Kommentare gern mit. Wenn die Beleidigungen ausufern, bleibt einem aber nichts anderes übrig, als die Kommentarfunktion der beleidigenden Accounts einzuschränken.“

Link zu neueshandeln.de/Mehr Memes für politische Kommunikation

 

 

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