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Ex­per­ten­wis­sen zum Thema Hören

Die Arten von Hör­schä­di­gun­gen, die uns im schu­li­schen All­tag be­geg­nen, sind viel­fäl­tig. Eine Hör­schä­di­gung kann ein­sei­tig sein oder beide Ohren be­tref­fen. Sie kann leicht-, mit­tel- oder hoch­gra­dig aus­ge­prägt sein. Sicht­bar – auf­grund von Dys­pla­si­en der Ohr­mu­schel – oder, wie über­wie­gend an­zu­tref­fen, un­sicht­bar. Die Lo­ka­li­sa­ti­on der Hör­schä­di­gung im Schall­lei­tungs­sys­tem (Ohr­mu­schel, Ge­hör­gang oder Mit­tel­ohr) oder dem Be­reich der Schall­emp­fin­dung (In­nen­ohr), ent­schei­det über die tech­ni­schen Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten und ge­ge­be­nen­falls auch über den Schwe­re­grad einer Hör­schä­di­gung.

Das pe­ri­phe­re Hör­sys­tem

Schall­lei­tungs­schwer­hö­rig­keit Schall­emp­fin­dungs­schwer­hö­rig­keit
Die Stö­rung liegt im Be­reich der Schall­lei­tung. Das In­nen­ohr ist in­takt. Es han­delt sich hier­bei um eine leich­te bis mit­tel­gra­di­ge Hör­schä­di­gung. Schall­si­gna­le wer­den lei­ser und dump­fer ge­hört, sind in ihrer Qua­li­tät je­doch nicht be­ein­träch­tigt. Die Schä­di­gung liegt im In­nen­ohr oder im Be­reich des Hör­nervs. Laut­sprach­li­che Äu­ße­run­gen wer­den ver­zerrt wahr­ge­nom­men und ver­än­dern sich in Qua­li­tät und Klang­bild.
Grafik: Das periphere Hörsystem

Das pe­ri­phe­re Hör­sys­tem. Quel­le: http://​www.​dsl-​hoeren.​de/​das-​ge­ho­er (Stand 13.05.2019)

Bei einer Schall­lei­tungs­schwer­hö­rig­keit ist die Luft­lei­tung be­trof­fen, nicht aber die Kno­chen­lei­tung. Im In­nen­ohr kön­nen die über die Kno­chen­lei­tung wei­ter­ge­lei­te­ten Schall­er­eig­nis­se ohne Be­ein­träch­ti­gung wahr­ge­nom­men und wei­ter­ver­ar­bei­tet wer­den. Die Folge ist ein dump­fe­res, lei­se­res Hören.

Eine Schall­lei­tungs­schwer­hö­rig­keit be­trifft so­wohl die Schall­er­eig­nis­se, die über die Luft- als auch jene, die über die Kno­chen­lei­tung das In­nen­ohr er­rei­chen, da die Schä­di­gung im In­nen­ohr selbst liegt. Sie hat ein „ver­zerr­tes“ Hören zur Folge und ist immer eine in­di­vi­du­el­le Hör­schä­di­gung, da die Be­ein­träch­ti­gung des Hö­rens ab­hän­gig von den be­trof­fe­nen Fre­quen­zen ist. Diese sind in der Hör­kur­ve sicht­bar, die mit Hilfe eines Ton­schwel­len­au­dio­gramms er­stellt wird.

Bei einer kom­bi­nier­ten Schwer­hö­rig­keit lie­gen so­wohl im In­nen­ohr als auch im Mit­tel­ohr/äu­ße­ren Ohr Be­ein­träch­ti­gun­gen vor, so dass so­wohl die Luft­lei­tung als auch die Kno­chen­lei­tung be­trof­fen sind. Do­mi­nie­rend sind hier die Aus­wir­kun­gen der Schall­emp­fin­dungs­schwer­hö­rig­keit.1

Die Kennt­nis des in­di­vi­du­el­len Au­dio­gramms ist für die Schü­le­rin/den Schü­ler sowie die am Ent­wick­lungs­pro­zess be­tei­lig­ten Per­so­nen wich­tig, um die in­di­vi­du­el­len Aus­wir­kun­gen auf die Lern­si­tua­ti­on ein­schät­zen zu kön­nen. Wel­che Laute kön­nen bei­spiels­wei­se nicht oder nur schwer wahr­ge­nom­men wer­den und soll­ten ge­ge­be­nen­falls vi­su­ell un­ter­stützt dar­ge­stellt wer­den? Das kön­nen bei­spiels­wei­se hoch­fre­quen­te Laute wie „f“, „k“ oder „t“ bei einer Hoch­ton­schwer­hö­rig­keit sein oder die tie­fen Töne bei einer Tief­ton­schwer­hö­rig­keit. Auch kann bei­spiels­wei­se der sprach­re­le­van­te Mit­tel­ton­be­reich von der Hör­schä­di­gung be­trof­fen sein, wäh­rend tiefe und hohe Töne gut ge­hört wer­den.

Von Ge­hör­lo­sig­keit spricht man, wenn be­reits vor dem Laut­sprach­er­werb so gut wie keine Hör­res­te zur Auf­nah­me von Rei­zen aus der Um­welt mehr vor­han­den sind. Diese tritt auf, wenn die Haar­sin­nes­zel­len (Zi­li­en) in der Hör­schne­cke oder der Hör­nerv zer­stört sind. Ver­bes­sert wer­den kann die Hör­si­tua­ti­on in die­sem Fall durch die tech­ni­sche Ver­sor­gung mit einem Co­ch­lea-Im­plan­tat. Einen hoch­gra­di­gen Hör­ver­lust nach dem Er­werb der Laut­spra­che be­zeich­net man als Er­tau­bung.

Für einen Groß­teil der Men­schen mit einer Hör­schä­di­gung ist der Ein­satz der Ge­bär­den­spra­che hilf­reich.

Bei einer ein­sei­ti­gen Hör­schä­di­gung ist nur ein Ohr von der Hör­schä­di­gung be­trof­fen. Ob­wohl das ge­sun­de Ohr akus­ti­sche In­for­ma­tio­nen auf­nimmt, sind Teil­be­rei­che der au­di­tiven Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung wie das Rich­tungs­hö­ren, die Un­ter­schei­dung von Nutz- und Stör­schall (se­lek­ti­ves Hören) sowie die Ver­knüp­fung zeit­glei­cher Hör­ein­drü­cke bei­der Ohren (bin­au­ra­le Sum­ma­ti­on) be­ein­träch­tigt.

Das Ton­schwel­len­au­dio­gramm

Das Ton­schwel­len­au­dio­gramm macht das ei­ge­ne Hör­ver­mö­gen sicht­bar. Es zeigt an, wel­che Fre­quenz­be­rei­che ab wel­cher Laut­stär­ke (0-120 dB) vom In­nen­ohr wahr­ge­nom­men und ver­ar­bei­tet wer­den kön­nen. Ge­mes­sen wer­den punk­tu­ell tiefe Töne ab 125 Hz bis hin zu hohen Tönen bis 8000 Hz.
Ton­schwel­len­au­dio­gram­me sind sub­jek­ti­ve Mess­ver­fah­ren. Das Er­geb­nis wird be­ein­flusst von der Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit und Ta­ges­form der Test­per­son.

Grafik: Tonschwellenaudiogramm

Das Au­dio­gramm. Quel­le: Med-El Elek­tro­me­di­zi­ni­sche Ge­rä­te

Aus dem Ton­schwel­len­au­dio­gramm er­gibt sich der Schwe­re­grad der Hör­schä­di­gung. Man un­ter­schei­det leich­ten, mitt­le­ren, schwe­ren oder hoch­gra­di­gen Hör­ver­lust.

In der obe­ren Gra­fik sind die Pegel- und Fre­quenz­be­rei­che ver­schie­de­ner All­tags­ge­räu­sche (Vo­gel­zwit­schern oder Flug­zeug­lärm) bild­lich dar­ge­stellt.

Für den Schul­all­tag be­son­ders re­le­vant ist die gra­fi­sche Dar­stel­lung des Pegel- und Fre­quenz­be­reichs der deut­schen Um­gangs­spra­che. So lässt sich ver­deut­li­chen, warum man­che Men­schen ei­ni­ge Laute nur schwer wahr­neh­men kön­nen. Für Men­schen mit einer Hoch­ton­schwer­hö­rig­keit sind dies die hoch­fre­quen­ten Laute, für Men­schen mit einer Tief­ton­schwer­hö­rig­keit die tief­fre­quen­ten Laute.1

Au­di­tive Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung – Hören ist mehr als die Auf­nah­me von Schall­er­eig­nis­sen

Die au­di­tive Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung ba­siert auf der Grund­la­ge eines in­tak­ten pe­ri­phe­ren Hör­sys­tems, also der funk­tio­nie­ren­den Ohren. Pro­ble­me im pe­ri­phe­ren Hör­or­gan füh­ren zu Schwie­rig­kei­ten in ver­schie­de­nen Be­rei­chen der au­di­tiven Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung. Diese Be­ein­träch­ti­gun­gen sind wie­der­um sehr in­di­vi­du­ell und ab­hän­gig von Zeit­punkt des Auf­tre­tens und dem Grad der Hör­schä­di­gung sowie den per­sön­li­chen Res­sour­cen der be­trof­fe­nen Per­son und ihrem so­zia­len Um­feld.

Grafik: Auditive Teilleistungen

Au­di­tive Teil­leis­tun­gen. Quel­le: SBBZ Luise von Baden, Son­der­päd­ago­gi­scher Dienst

Ist das pe­ri­phe­re Hör­sys­tem nicht be­ein­träch­tigt und zei­gen sich bei einer al­ter­s­ent­spre­chen­den ko­gni­ti­ven Ent­wick­lung den­noch Auf­fäl­lig­kei­ten in min­des­tens drei Teil­be­rei­chen der au­di­tiven Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung, so spricht man von einer Stö­rung der au­di­tiven Ver­ar­bei­tung und Wahr­neh­mung (AVWS).
Bei der Dia­gno­se einer AVWS müs­sen also an­de­re Ur­sa­chen wie Kon­zen­tra­ti­ons- oder Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen, ko­gni­ti­ve Be­ein­träch­ti­gun­gen oder Teil­leis­tungs­stö­run­gen dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch aus­ge­schlos­sen wer­den.2

Das kann ich tun

Leh­re­rin­nen und Leh­rer Schü­le­rin­nen und Schü­ler
  • Ich kenne die Hör­schä­di­gung mei­ner Schü­le­rin/mei­nes Schü­lers und nehme Hilfe zum Ver­ste­hen der Aus­wir­kun­gen in An­spruch.
    • Ich nehme die Be­ra­tung durch den son­der­päd­ago­gi­schen Dienst För­der­schwer­punkt „Hören“ in An­spruch.
    • Ich nehme In­for­ma­ti­ons­stun­den des son­der­päd­ago­gi­schen Diens­tes für die Klas­se in An­spruch.
    • Ich be­nen­ne schwie­ri­ge Hör- und Lern­si­tua­tio­nen in einem per­sön­li­chen Ge­spräch mit der Schü­le­rin/dem Schü­ler und wir fin­den ge­mein­sam Lö­sun­gen.
  • Ich in­for­mie­re in einer Klas­sen­kon­fe­renz mit Un­ter­stüt­zung des son­der­päd­ago­gi­schen Diens­tes zu Be­ginn des Schul­jah­res alle Fach­lehr­kräf­te über die Hör­schä­di­gung.
  • Ich be­rück­sich­ti­ge feh­len­des Rich­tungs- und Ent­fer­nungs­hö­ren bei der Un­ter­richts­ge­stal­tung und bei der The­men­wahl.
    • Ich be­hal­te den Stand­ort beim Un­ter­rich­ten wei­test­ge­hend bei.
    • Ich sage den Namen der Spre­che­rin/des Spre­chers an.
    • Ich weise mit Ges­tik auf die je­wei­li­ge Spre­che­rin/den je­wei­li­gen Spre­cher.
    • Ich ver­mitt­le be­son­de­re Auf­merk­sam­keit im Stra­ßen­ver­kehr bei der Ver­kehrs­er­zie­hung.
    • Ich be­rück­sich­ti­ge die schwie­ri­ge Un­ter­schei­dung von Nutz­schall – Stör­schall und sorge für den Ein­satz ent­spre­chen­der Hilfs­mit­tel.
    • Ich setze tech­ni­sche Hilfs­mit­tel (di­gi­ta­le Über­tra­gungs­an­la­ge, Schü­ler­mi­kro­fo­ne) ein.
    • Ich sorge für eine ru­hi­ge Ar­beits­at­mo­sphä­re.
    • Ich sorge für die Ein­hal­tung von Ge­sprächs­re­geln.
    • ch schlie­ße Fens­ter und Türen wäh­rend des Un­ter­richts, um Au­ßen­lärm zu mi­ni­mie­ren.
    • Ich er­mög­li­che Part­ner- und Grup­pen­ar­bei­ten an Rück­zugs­or­ten.
  • Ich er­leich­te­re die au­di­tive Dif­fe­ren­zie­rung.
    • Ich mache ein­zel­ne be­deu­tungs­un­ter­schei­den­de Laute oder gram­ma­ti­ka­li­sche En­dun­gen vi­su­ell sicht­bar.
    • Ich ver­wen­de Laut­ge­bär­den oder ver­ein­bar­te Ges­ten.
    • Ich biete zu­sätz­li­che ge­ziel­te Übun­gen zur au­di­tiven Dif­fe­ren­zie­rung im Sprach- und Fremd­sprach­un­ter­richt an.
  • Ich be­rück­sich­ti­ge die ein­ge­schränk­te au­di­tive Merk­fä­hig­keit.
  • Ich un­ter­stüt­ze durch den Ein­satz vi­su­el­ler Me­di­en, z. B. Whi­te­board...
  • Ich kenne meine Hör­schä­di­gung.
    • Ich äu­ße­re meine Be­dürf­nis­se.
    • Ich for­de­re Un­ter­stüt­zung ein.
  • Ich kann an­de­ren meine Hör­schä­di­gung er­klä­ren.
    • Ich übe z. B. in Rol­len­spie­len, wie ich in viel­fäl­ti­gen Si­tua­tio­nen über meine Hör­schä­di­gung in­for­mie­ren kann (auf dem Schul­hof, im Klas­sen­ge­spräch, Sport­ver­ein, etc.).
    • Ich halte einen Vor­trag über Hör­schä­di­gung in mei­ner Klas­se.
    • Ich kann mein Au­dio­gramm lesen und er­klä­ren.
  • Ich suche re­gel­mä­ßig die HNO-Ärz­tin/den HNO-Arzt und die Akus­ti­ke­rin/den Akus­ti­ker auf, um mei­nen ak­tu­el­len Hör­sta­tus zu ken­nen.
  • Ich ver­mei­de hör­schä­di­gen­des Ver­hal­ten (laute Musik über Kopf­hö­rer, ohne Hör­schutz in ge­hör­schä­di­gen­der Um­ge­bung, …).
  • Ich kenne Tipps und Tricks für das Rich­tungs- und Ent­fer­nungs­hö­ren.
    • Ich nutze die Ges­tik der Lehr­kraft und den Namen der Spre­chen­den/des Spre­chen­den als zu­sätz­li­che In­for­ma­ti­ons­quel­le, um mich der Spre­che­rin/dem Spre­cher zu­wen­den zu kön­nen.
    • Ich be­we­ge mich im Stra­ßen­ver­kehr mit er­höh­ter vi­su­el­ler Auf­merk­sam­keit.
  • Ich kann meine Hör­si­tua­ti­on ggf. selbst ver­bes­sern.
    • Ich übe in Rol­len­spie­len wie ich in ver­schie­de­nen All­tags­si­tua­tio­nen meine Be­dürf­nis­se äu­ßern kann: auf dem Schul­hof, in den Pau­sen oder im Ver­ein das Ein­hal­ten von Ge­sprächs­re­geln, eine ru­hi­ge­re At­mo­sphä­re oder räum­li­chen Rück­zug ein­for­dern.
    • Ich frage nach, wenn ich etwas nicht si­cher ver­stan­den habe.

 

1 Vgl. Mro­win­ski u.a., 2017, S. 24 f

2 Vgl. Ptok, M., am Zehn­hoff-Din­ne­sen, A. & Ni­kisch, A. 2015, S. 21-31

 

Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit einer Hör­schä­di­gung: Her­un­ter­la­den [pdf][7,0 MB]

 

Wei­ter zu Hör­tech­nik – in­di­vi­du­ell