Expertenwissen zum Thema Hören
Die Arten von Hörschädigungen, die uns im schulischen Alltag begegnen, sind vielfältig. Eine Hörschädigung kann einseitig sein oder beide Ohren betreffen. Sie kann leicht-, mittel- oder hochgradig ausgeprägt sein. Sichtbar – aufgrund von Dysplasien der Ohrmuschel – oder, wie überwiegend anzutreffen, unsichtbar. Die Lokalisation der Hörschädigung im Schallleitungssystem (Ohrmuschel, Gehörgang oder Mittelohr) oder dem Bereich der Schallempfindung (Innenohr), entscheidet über die technischen Versorgungsmöglichkeiten und gegebenenfalls auch über den Schweregrad einer Hörschädigung.
Das periphere Hörsystem
Schallleitungsschwerhörigkeit | Schallempfindungsschwerhörigkeit |
Die Störung liegt im Bereich der Schallleitung. Das Innenohr ist intakt. Es handelt sich hierbei um eine leichte bis mittelgradige Hörschädigung. Schallsignale werden leiser und dumpfer gehört, sind in ihrer Qualität jedoch nicht beeinträchtigt. | Die Schädigung liegt im Innenohr oder im Bereich des Hörnervs. Lautsprachliche Äußerungen werden verzerrt wahrgenommen und verändern sich in Qualität und Klangbild. |
Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit ist die Luftleitung betroffen, nicht aber die Knochenleitung. Im Innenohr können die über die Knochenleitung weitergeleiteten Schallereignisse ohne Beeinträchtigung wahrgenommen und weiterverarbeitet werden. Die Folge ist ein dumpferes, leiseres Hören.
Eine Schallleitungsschwerhörigkeit betrifft sowohl die Schallereignisse, die über die Luft- als auch jene, die über die Knochenleitung das Innenohr erreichen, da die Schädigung im Innenohr selbst liegt. Sie hat ein „verzerrtes“ Hören zur Folge und ist immer eine individuelle Hörschädigung, da die Beeinträchtigung des Hörens abhängig von den betroffenen Frequenzen ist. Diese sind in der Hörkurve sichtbar, die mit Hilfe eines Tonschwellenaudiogramms erstellt wird.
Bei einer kombinierten Schwerhörigkeit liegen sowohl im Innenohr als auch im Mittelohr/äußeren Ohr Beeinträchtigungen vor, so dass sowohl die Luftleitung als auch die Knochenleitung betroffen sind. Dominierend sind hier die Auswirkungen der Schallempfindungsschwerhörigkeit.1
Die Kenntnis des individuellen Audiogramms ist für die Schülerin/den Schüler sowie die am Entwicklungsprozess beteiligten Personen wichtig, um die individuellen Auswirkungen auf die Lernsituation einschätzen zu können. Welche Laute können beispielsweise nicht oder nur schwer wahrgenommen werden und sollten gegebenenfalls visuell unterstützt dargestellt werden? Das können beispielsweise hochfrequente Laute wie „f“, „k“ oder „t“ bei einer Hochtonschwerhörigkeit sein oder die tiefen Töne bei einer Tieftonschwerhörigkeit. Auch kann beispielsweise der sprachrelevante Mitteltonbereich von der Hörschädigung betroffen sein, während tiefe und hohe Töne gut gehört werden.
Von Gehörlosigkeit spricht man, wenn bereits vor dem Lautspracherwerb so gut wie keine Hörreste zur Aufnahme von Reizen aus der Umwelt mehr vorhanden sind. Diese tritt auf, wenn die Haarsinneszellen (Zilien) in der Hörschnecke oder der Hörnerv zerstört sind. Verbessert werden kann die Hörsituation in diesem Fall durch die technische Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. Einen hochgradigen Hörverlust nach dem Erwerb der Lautsprache bezeichnet man als Ertaubung.
Für einen Großteil der Menschen mit einer Hörschädigung ist der Einsatz der Gebärdensprache hilfreich.
Bei einer einseitigen Hörschädigung ist nur ein Ohr von der Hörschädigung betroffen. Obwohl das gesunde Ohr akustische Informationen aufnimmt, sind Teilbereiche der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung wie das Richtungshören, die Unterscheidung von Nutz- und Störschall (selektives Hören) sowie die Verknüpfung zeitgleicher Höreindrücke beider Ohren (binaurale Summation) beeinträchtigt.
Das Tonschwellenaudiogramm
Das Tonschwellenaudiogramm macht das eigene Hörvermögen sichtbar.
Es zeigt an, welche Frequenzbereiche ab welcher Lautstärke (0-120 dB) vom Innenohr wahrgenommen und verarbeitet werden können. Gemessen werden punktuell tiefe Töne ab 125 Hz bis hin zu hohen Tönen bis 8000 Hz.
Tonschwellenaudiogramme sind subjektive Messverfahren. Das Ergebnis wird beeinflusst von der Konzentrationsfähigkeit und Tagesform der Testperson.
Aus dem Tonschwellenaudiogramm ergibt sich der Schweregrad der Hörschädigung. Man unterscheidet leichten, mittleren, schweren oder hochgradigen Hörverlust.
In der oberen Grafik sind die Pegel- und Frequenzbereiche verschiedener Alltagsgeräusche (Vogelzwitschern oder Flugzeuglärm) bildlich dargestellt.
Für den Schulalltag besonders relevant ist die grafische Darstellung des Pegel- und Frequenzbereichs der deutschen Umgangssprache. So lässt sich verdeutlichen, warum manche Menschen einige Laute nur schwer wahrnehmen können. Für Menschen mit einer Hochtonschwerhörigkeit sind dies die hochfrequenten Laute, für Menschen mit einer Tieftonschwerhörigkeit die tieffrequenten Laute.1
Auditive Verarbeitung und Wahrnehmung – Hören ist mehr als die Aufnahme von Schallereignissen
Die auditive Verarbeitung und Wahrnehmung basiert auf der Grundlage eines intakten peripheren Hörsystems, also der funktionierenden Ohren. Probleme im peripheren Hörorgan führen zu Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung. Diese Beeinträchtigungen sind wiederum sehr individuell und abhängig von Zeitpunkt des Auftretens und dem Grad der Hörschädigung sowie den persönlichen Ressourcen der betroffenen Person und ihrem sozialen Umfeld.
Ist das periphere Hörsystem nicht beeinträchtigt und zeigen sich bei einer altersentsprechenden kognitiven Entwicklung dennoch Auffälligkeiten in mindestens drei Teilbereichen der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung, so spricht man von einer
Störung der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung (AVWS).
Bei der Diagnose einer AVWS müssen also andere Ursachen wie Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen oder Teilleistungsstörungen differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.2
Das kann ich tun
Lehrerinnen und Lehrer | Schülerinnen und Schüler |
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1 Vgl. Mrowinski u.a., 2017, S. 24 f
2 Vgl. Ptok, M., am Zehnhoff-Dinnesen, A. & Nikisch, A. 2015, S. 21-31
Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung: Herunterladen [pdf][7,0 MB]
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