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Selbstständigkeit und Selbstbestimmung

Selbstständiges und selbstbestimmtes Handeln sind eine wesentliche Voraussetzung für Aktivität und Teilhabe in Beruf und Gesellschaft. In der Begleitung der jungen Menschen mit einer Hörschädigung übernehmen Elternhaus und Schule gleichermaßen Verantwortung. Empowerment und Ressourcenorientierung sind hierbei bedeutsame Leitmotive. Im Prozess des Empowerment erweitern die jungen Menschen mit einer Hörschädigung ihre Selbstgestaltungskräfte. „Sie sollen ermutigt werden, ihre eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu entdecken und auf diese Weise in die Lage versetzt werden, ihre Lebenswelt eigenständig und eigenverantwortlich mitzugestalten sowie Ressourcen produktiv zur Bewältigung belastender Lebensumstände einsetzen zu können.“ (Hintermair, 2008)
Für die erfolgreiche Begleitung der jungen Menschen mit einer Hörschädigung ist die Haltung der Lehrkräfte eine wesentliche Voraussetzung. Wesentlich ist eine ressourcenorientierte Sichtweise auf die jungen Menschen, welche berücksichtigt, dass alle Menschen verschieden, einzigartig und gleichwertig sind.
Die Entwicklung zu selbstständigem und selbstbestimmtem Handeln der jungen Menschen bedarf eines Rollenverständnisses von Lehrerinnen und Lehrern, in dem sich diese als professionelle Helfer zur Selbsthilfe verstehen und gerade so viel Unterstützung geben, wie benötigt wird. Des Weiteren ist ein positives Bewältigungsverhalten der Lehrkräfte und eine maximale Objektivität, Neutralität und Toleranz für die Begleitung der jungen Menschen hilfreich (vgl. Borg-Laufs 2016).
Selbstständiges Handeln ist ein wesentliches Merkmal des Empowermentprozesses.
Ausgangspunkt dafür ist die aktive Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung in die Planung und Umsetzung von Bildungszielen bezüglich ihrer besonderen Hör- und Kommunikationssituation. So nehmen diese bereits ab dem ersten Schuljahr an den Gesprächen mit den Eltern, und allen beteiligten Lehrkräften teil. Sie stehen im Zentrum der Begleitung und sind in die Absprachen und Zielsetzungen gleichwertig einbezogen.

Ein Gespräch mit einer Schülerin, deren Mutter und der Klassenlehrerin

Ein Gespräch mit einer Schülerin, deren Mutter und der Klassenlehrerin

Die individuelle Begleitung der jungen Menschen ist ihren Entwicklungsphasen angepasst. Während bei den jüngeren Kindern und Jugendlichen die Eltern als enge Bezugspersonen auch im schulischen Bereich Verantwortung für eine gute Hörsituation übernehmen, agieren die Betroffenen mit zunehmendem Alter eigenständig.
Die Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung benötigen den regelmäßigen Austausch mit den Lehrkräften – unterstützt durch den sonderpädagogischen Dienst – um die spezifischen Hilfen auf ihre Effektivität – wie z. B. den Einsatz der Höranlage – zu überprüfen.
Dieser Austausch erfolgt im Alltag häufig situativ durch einen unmittelbaren Anlass. Für die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen zu selbstständig und selbstbestimmt Handelnden ist dieser Austausch jedoch auch verbindlich, regelmäßig und strukturiert zu planen.
Die Planung und Strukturierung der Gespräche wird in der Regel vom sonderpädagogischen Dienst in Absprache mit der Klassenleitung übernommen.
Im Idealfall sind an allen Gesprächen die Schülerinnen und Schüler, Eltern (bei jüngeren Kindern), Lehrkräfte der allgemeinen Schulen oder beruflichen Schulen und des sonderpädagogischen Dienstes beteiligt. Ist dies nicht möglich, werden die Verantwortlichen über die Inhalte und Absprachen der Gespräche informiert.
Die Ressourcenorientierung bildet die Grundlage für die Entwicklungsbegleitung.
Deshalb wird für die gemeinsamen Gespräche eine Bestandsaufnahme der Ressourcen von allen Beteiligten mit Hilfe von Einschätzungsbögen erstellt. Hierfür können zum Beispiel die Vorlagen der „Standortgespräche“ aus der Schweiz eingesetzt werden. Bei dieser Bestandserhebung wird der Fokus auf alle wesentlichen Bereiche für eine gelingende Aktivität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gerichtet. (ICF-orientiert – internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen, 2011)
Mit dem Blick auf alle Lebensbereiche werden die unterschiedlichen Stärken sichtbar, die für die Umsetzung der Ziele bezüglich eines kompetenten Umgangs mit der Hörschädigung hilfreich sein können.
Die Gespräche mit allen Beteiligten können folgendermaßen durchgeführt werden:
Die Einschätzungen der Ressourcen werden vorgestellt und die besonderen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler wertgeschätzt.
Danach erfolgt die Betrachtung der individuellen Hör- und Kommunikationssituation.
Ausgehend von dem erforderlichen Bedarf wird am Alter orientiert ein Ziel ausgewählt, mit dessen Erreichen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Handeln möglich wird.
Die Zielformulierung sollte realistisch und persönlich formuliert sein, eine alltagspraktische Relevanz haben und nicht zu weit in der Zukunft liegen.

Eine Schülerin und ein Schüler beim Betrachten ihrer Hörgeräte

[ C ] Eine Schülerin und ein Schüler beim Betrachten ihrer Hörgeräte

Beispiele für eine Zielformulierung:

  • Ich möchte meine Hörgeräte selbstständig einsetzen und die Batterien wechseln können.
  • Ich möchte das Laden der Höranlage selbstständig durchführen können.

Die Zielformulierung beinhaltet, was die Schülerinnen und Schüler lernen möchten und welche Unterstützung die Lehrkräfte und Eltern übernehmen können. Der Zeitraum für die Erreichung des Zieles wird festgelegt und bei Bedarf ein Übungsplan erstellt. Für die Reflexion der Zielerreichung wird der nächste Gesprächstermin vereinbart. Durch die aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler und die abschließende Reflexion wird selbstständiges Handeln und das Erleben von Selbstwirksamkeit möglich.

Literaturempfehlung: Schulische Standortgespräche 2010, Uni Zürich;
Materialien von Ben Fuhrmann „Ich schaffs!“

Das kann ich tun

Lehrerinnen und Lehrer Schülerinnen und Schüler
  • Ich nehme durch den wertschätzenden Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und einer ressourcenorientierten Haltung eine Vorbildfunktion ein.
  • Ich setze Sprache bewusst ein:
    • Ich-Botschaften formulieren
    • positives Verhalten im Unterricht lobend erwähnen
    • den Schülerinnen und Schülern regelmäßig ihre Stärken rückmelden
    • sie an ihren Stärken orientiert für Aufgaben einsetzen
  • Ich plane Angebote für die Auseinandersetzung mit der eigenen Person in den Unterrichtsalltag ein, diskutiere und reflektiere Haltungen.
  • Hierbei berücksichtige ich die besonderen Erfahrungen und Emotionen der Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung.
  • Ich setze Instrumente (z. B. Fragebogen) zur Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler ein.
  • Ich zeige Empathie für Stimmungen und Veränderungen von Schülerinnen und Schülern und signalisiere Interesse für deren persönliche Situation.
  • Ich informiere mich beim sonderpädagogischen Dienst über die Erfahrungen bezüglich der Persönlichkeitsentwicklung von Menschen mit einer Hörschädigung.
  • Ich mag mich, kenne meine Stärken und weiß, dass meine Hörschädigung nur ein Teil von mir ist.
  • Ich kann über meine Gefühle, Zukunftsvorstellungen und Ziele sprechen.
  • In Bezug auf meine Hörschädigung kann ich über positive und negative Erfahrungen sprechen.
  • Ich kann mir Ziele vornehmen und bei Bedarf Hilfe annehmen.
  • Ich kann Lob und Kritik annehmen, auch in Bezug auf den Umgang mit meiner Hörschädigung.
  • Ich kann Fremd- und Selbsteinschätzung hinsichtlich berufsbezogener Anforderungen reflektieren.

 

Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung: Herunterladen [pdf][7,0 MB]

 

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