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Konzeption

I. Bildungsplan Geschichte , 3.4.2. (8)

Fenster zur Welt:

die Expansion des faschistischen Italien in Afrika vor dem Zweiten Weltkrieg charakterisieren (Italienisch-Ostafrika, Kolonie, Imperium)

II. Sachanalyse

Zum Begriff „Faschismus“:

Der Begriff „Faschismus“ entstand zunächst im Umfeld des italienischen revolutionären Syndikalismus des 19. Jahrhunderts, wurde dann aber von der radikalnationalistischen Bewegung um Benito Mussolini nach 1922 zur Selbstbeschreibung verwendet (fascismo). Bereits in den 1930er Jahren wurde er als „Kampfbegriff“ (Arnd Bauernkämper) auf andere europäische Länder übertragen, der sowohl von den radikalnationalistischen Kräften selbst („British fascists“ etc.) wie auch von der kommunistischen Internationalen verwendet wurde, von der letzteren hauptsächlich auch zur Beschreibung einer besonders aggressiven Form des Kapitalismus.1 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff zunehmend historisiert und für die Analyse bestimmter politischer Erscheinungsformen der Politik der gesamten europäischen Zwischenkriegszeit fruchtbar gemacht.2 Faschismus wurde mithin ein Gattungsbegriff. In diesem Zuge entstanden zahlreiche Theorien bzw. Schulen zur Beurteilung des Faschismus in sozialgeschichtlicher, ideengeschichtlicher und politikgeschichtlicher Hinsicht. Zentrale Fragen betrafen z.B. die wesentliche Trägerschichten (Landarbeiter, Kleinbürgertum …), Faschismus als reaktionäres oder modernes Phänomen oder auch die Festlegung eines „faschistischen Minimums“, das auf alle faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit angewendet werden kann3. Besonders umstritten war dabei die Frage, ob der Nationalsozialismus auch als faschistische Spielart gelten könne oder aber, vor allem mit Verweis auf den Vernichtungsantisemitismus, eine eigene Kategorie darstelle. Die Annahme eines „generischen Faschismus“ für die europäische Zwischenkriegszeit und die Ablehnung des Versuchs, den Nationalsozialismus aus dem Faschismus hinauszudefinieren, sind jedoch mittlerweile Grundkonsens der Forschung 4. Gerade im Falle Italiens haben jüngere Studien die Bedeutung von Rassismus und Antisemitismus vor 1939 sowie deren systematische politische Umsetzung in den Kolonialkriegen in Lybien und Abessinien herausgearbeitet.5 Ebenso wurde die Rolle der faschistischen Milizen und damit die Gewalttätigkeit als Strukturmerkmal des italienischen Fachismus betont.6 Der Unterschied zwischem dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialsmus wird daher nur noch als gradueller, nicht struktureller gesehen.7

Didaktische Reduktion: Dimensionen des Faschismus

Für die Durchführung der vorgeschlagenen Doppelstunde ist es nicht von Bedeutung, welcher Faschismustheorie die Lehrkraft (implizit oder explizit) anhängt. Da der Bildungsplan Nationalsozialismus und Faschismus als Gegenmodelle zur demokratischen Moderne in der Zwischenkriegszeit definiert, soll hier der Interpretation von Arnd Bauernkämper gefolgt werden. Gemäß dieser wird Faschismus in Europa als

„nationalistische, aber mit dem italienischen Leitmodell verflochtene politische Strömung gefasst, die aus einer Struktur- und Orientierungskrise im ungleichzeitigen Übergang zur voll entfalteten, pluralistischen Industriegesellschaft, zur demokratischen Massenpolitik und zur nationalen Integration hervorging. Der Faschismus oszillierte zwischen den Organisationsprinzipien einer Bewegung und einer Partei, trat für eine radikale politisch-kulturelle Erneuerung unter reaktionären Auspizien ein, suchte über traditionale Milieuabgrenzungen hinweg unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, aber vor allem Jugendliche zu gewinnen und inszenierte sich als verschworene Gemeinschaft eines missionarischen, maskulinen Kampfbundes.“8

Die verschiedenen Ausprägungen und Formen des italienischen Faschismus werden ferner auf fünf Dimensionen reduziert, die für einen unterrichtlichen Vergleich mit dem deutschen Nationalsozialismus anschlussfähig sind:

Schaubild der fünf Dimensionen:

Schaubild Faschismus

Faschismus als Krisenmanifestation:

Faschismus ist ohne die Erfahrung von Gewalt und Gefolgschaft im Ersten Weltkrieg, ohne die Hoffnungen und Enttäuschungen der Nachkriegsordnung und ohne den übersteigerten Nationalismus (auch als Antwort auf Orientierungskrisen in der Moderne) nicht zu erklären. Seine Wurzel ist die (radikale) Ablehnung einer pluralistischen Industriegesellschaft mit demokratischer Massenpolitik. Dies zeigt das italienische Beispiel in besonderem Maße.

Ideologie und Selbstverständnis des italienischen Faschismus:

Der italienische Faschismus weist als Taktgeber der europäischen Faschismen typische ideologische Komponenten auf: Antikommunismus, Antiliberalismus, Antisemitismus, Heroismus (der das Körperliche und Irrationale (Triebe, Emotionen) im Menschen betont und jede Form intellektuellen Austausches ablehnt), Führerkult, Freund-Feind-Denken, Radikaler Nationalismus. Es ist aber zu beachten, den Faschismus nicht nur als „geistesgeschichtliches Phänomen“ zu behandeln, bei dem die Ideologie gewissermaßen das Prae zu allen weiteren Handlungen darstellt. Vielmehr liegt in der (gewaltbereiten)Tat selbst, „in actu“ (Sven Reichardt), das zentrale Element der faschistischen Herrschaft.

Organisation des faschistischen Staates:

Der italienische Faschismus durchläuft exemplarisch die beiden von der Forschung geschiedenen Phasen:

  1. Phase, in der die faschistische Bewegung nach der Übernahme der Staatsgewalt trachtet (Bewegungsphase): Bewaffnete Parteimiliz mit militärischer Ordnung
  2. Phase, in der die faschistische Bewegung die Staatsgewalt übernommen hat (Regimephase): „totalitarismo“: totale Erfassung und Unterordnung der Gesellschaft; Ausschaltung der Grundrechte

Integrationsverband: Mussolini und das faschistische Ritual

Der italienische Faschismus verdankt seinen Erfolg in großen Teilen einer gesellschaftlich umfassenden, sinnstiftenden Mobilisierung. Selbstinszenierung, symbolische Kommunikation und quasireligiöse Rituale bewirkten erst eine faschistische Realität. Dazu gehört in besonderem Maße der Kult des Duce (ducismo) als besondere Form charismatischer Herrschaft Mussolinis.

Handlungspraxis: Expansionistische und imperialistische Außenpolitik

Die dem italienischen Faschismus inhärente, gleichsame genuine Gewalttätigkeit zeigte sich in besonderem Maße in der imperalistischen Außenpolitik mit dem Ziel der Wiederherstellung des Imperium Romanum im Mittelmeerraum. Die Kolonialkriege in Lybien und Abessinien können nach neueren Untersuchungen als auch rassisch motivierte Angriffskriege, letzterer sogar als „erster Vernichtungskrieg“ gewertet werden9. Der Schweizer Historiker Aram Mattioli hat in seiner Untersuchung 10 des Abessinienkrieges dazu folgende Argumente angeführt:

  • Die indigene Bevölkerung wurde gezielt von ihren Ländern vertrieben und ausgebeutet. Italienische Siedler sollten dort angesiedelt werden.
  • Im Laufe von Krieg und Besatzung kamen zwischen 360 000 und 750 000 äthiopische Soldaten und Zivilisten zu Tode. (bei 8 – 12 Millionen Einwohner)
  • Gegen die Bevölkerung wurde auch das völkerrechtlich verbotene Giftgas eingesetzt.
  • Widerstand, wie z.B. das missglückte Attentat auf den italienischen Vizekönig, bezahlten 6000 willkürlich verhaftete Geiseln mit dem Leben, weitere ca. 150 000 kamen bei den anschließenden Repressalien um.

III. Didaktische Hinweise

Die Charakteristik der Expansion des faschistischen Italiens soll mit der Zielsetzung einer abschließenden vergleichenden Bewertung mit dem deutschen Nationalsozialismus und dessen Weltanschauungskrieg erfolgen. Dafür werden im ersten Teil der Doppelstunde arbeitsteilig Grundzüge der Ideologie und der Herrschaftspraxis des faschistischen Italiens erarbeitet, die einen ersten Vergleich auf typologischer Ebene erlauben. Bei allen vier Unterthemen steht die ausgeübte Gewalt bzw. die Gewaltbereitschaft im Mittelpunkt, so dass diese als zentrales Element und notwendige Bedingung für die Vertiefungsphase erarbeitet werden kann.

Gruppe 1: Faschismus als Krisenphänomen

Gruppe 2: Ideologie und Selbstverständnis des italienischen Faschismus

Gruppe 3: Organisation des faschistischen Staates

Gruppe 4: Mussolini und das faschistische Ritual

Im zweiten Teil der Doppelstunde erfolgt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der italienischen Afrika-Politik vor 1939, die dann vor dem Hintergrund des Weltanschauungskrieges Deutschlands beurteilt werden kann.

 

1 Arnd Bauernkämper, Der Faschismus in Europa 1918-1945, Stuttgart 2006, S. 13. Zur zeitgenössischen Verwendung des Faschismusbegriffs vgl. Ernt Nolte, Zeitgenössische Theorien über den Faschismus, in: VfZ 15 (1967), S.247-268, zur kommunistischen Verknüpfung von Kapitalismus und Faschismus vgl. Leonid Luks, Entstehung der kommunistischen Faschismustheorie. Die Auseinandersetzung der Komintern mit Faschismus und Nationalsozialismus 1921-1935, Stuttgart 1984.

2 Für die verschiedenen Phasen der Faschismusforschung vgl. Thomas Schlemmer/Hans Woller, Politischer Deutungskampf und wissenschaftliche Deutungsmacht. Konjunkturen der Faschismusforschung, in: dies. (Hrsg.), Der Faschismus in Europa, München 2014, S. 7-16.

3 Wolfgang Wippermann, Faschismustheorien: Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. Darmstadt 1997.

1 Vgl. die Beiträge in: Karl Dietrich Bracher/Leo Valiani (Hrsg.), Faschismus und Nationalsozialismus, Berlin 1991, sowie Sven Reichardt/Armin Nolzen, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich, Göttingen 2008, S. 10ff.

5 Vgl. Thomas Schlemmer/Hans Woller, Der italienische Faschismismus und die Juden 1922 bis 1945, in: VfZ 53 (2005), S. 164-201 (mit weiterer Literatur); dies, politischer Deutungskampf, a.a.O., S.13 (mit weiterer Literatur).

6 Sven Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2009.

7 Sven Reichardt, Faschistische Tatgemeinschaften. Anmerkungen zu einer praxeoogischen Analyse, in: Schlemmer/Woller (Hrsg.), Der Faschismus in Europa, S. 73-88, S.82.

8 Arnd Bauernkämper, Der Faschismus, a.a.O, S. 42.

9 Zu Lybien: Eric Salerno, Genocidio in Libia. Le atricità nasciste dell‘avventura coloniale italiana (1911-1931), Rom 2005; zu Abessinien: Asfa-Wossen Asserate/Aram Mattioli (Hrsg.), Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935 – 1941, Köln 2006. Gabriele Schneider, Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien 1936 – 1941, Köln 2000.

10 Aram Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005. Mattioli sieht im Abessinienkrieg ein „Experimentierfeld“ für eine entgrenzte Kriegsführung, die den Namen Vernichtungskrieg verdient.

 

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