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Religion trennt und bindet

Das Konflikt- und das damit einhergehende Gewaltpotenzial von Religion hat der aus der Schweiz stammende Philosoph Jean-Jacques Rousseau vor 250 Jahren prägnant auf den Punkt gebracht, wenn er in seinem „Contract Social“ schreibt: „Man kann unmöglich mit Leuten in Frieden leben, die man für verdammt hält... Man muss sie bekehren oder verfolgen.“ Ähnlich äußert sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Philosoph Ludwig Feuerbach in seinem Werk „Das Wesen des Christentums“. Laut ihm liegt das Verdammen Anders- oder Ungläubiger gerade „im Wesen des Glaubens“, und der Glaube geht „notwendig in Hass, der Hass in Verfolgung“ über.

Auch für heutige Religionskritiker ist das für das Zusammenleben destruktive Potenzial von Religion evident. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty sieht in Religion einen „conversation stopper“, eine „Gesprächsblockiererin“, die wegen ihres unerbittlichen Wahrheitsanspruchs Gläubige diskursunfähig macht, von daher das demokratische Zusammenleben belastet und folglich in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat. Für den britischen Biologen Richard Dawkins erscheint der Gottesglaube als ein sozial schädlicher Komplex gefährlicher Viren, den er für kognitiv obsolet, ethisch verwerflich und pädagogisch höchst gefährlich erklärt.

Jedoch nicht nur notorische Religionskritiker denunzieren die Tauglichkeit von Religion für die moderne Gesellschaft. Auch von religionswissenschaftlicher Seite wird das Konflikt- und Gewaltpotenzial von Religionen bedacht. Der Religionswissenschaftler Mark Juergensmeyer etwa stellt eine „Globalisierung religiöser Gewalt“ fest. Er verweist auf die Ausbreitung religiös motivierter Gewalt in Gestalt von Rebellionen, Glaubens-, Bürger- und global ausgerichteten Kriegen in diversen Religionen. Der deutsche Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg befasst sich ebenfalls mit „Religionskriegen im Zeitalter der Globalisierung“. Er deutet Gewalt gegen Anders- bzw. Ungläubige als religiöse Gemeinschaftshandlung, welche von religiösen Gemeinschaften getragen werde.

Eine bemerkenswerte Studie über die desintegrativen wie integrativen Kräfte von Religion(en) in den Vereinigten Staaten haben die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler Robert Putnam und David Campbell vorgelegt. Unter dem Titel „American Grace. How Religion Divides and Unites Us” untersuchen sie, unter welchen Bedingungen Religion zu politischen Polarisierungen und gesellschaftlichen Spaltungen führt bzw. solche zementiert. Umgekehrt zeigen sich auf, wann Gläubige und Religionsgemeinschaften zum Brückenbauen über konfessionelle, ethnische, politische und soziale Differenzen hinweg beitragen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Putnam hatte bereits zuvor in verschiedenen Publikationen zwei gesellschaftlich unverzichtbare Formen von Sozialkapital identifiziert, die er bonding und bridging nennt. Bonding bezeichnet die Fähigkeit, langfristige, verlässliche, enge Bindungen zu anderen einzugehen. Bridging bedeutet demgegenüber die Bereitschaft und Fähigkeit, die Grenzen der eigenen Gemeinschaft zu überschreiten, auf andere zuzugehen, Beziehungen zu ihnen aufzubauen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zwischen bridging und bonding besteht eine Spannung: Je enger und exklusiver die Bindung an und die Einbindung in die eigene Gemeinschaft, umso schwieriger wird das Brückenbauen. Zu starke Bindungen können eine Verbindung und Verständigung mit anderen verhindern. Exklusive Integration in eine Gruppe kann die gesellschaftliche Integration sabotieren bzw. gefährden.

Der lange Zeit als nicht besonders religionsfreundlich geltende Philosoph Jürgen Habermas unterstreicht in seinem gerade erschienenen 1752-seitigen Wälzer „Auch eine Philosophiegeschichte“, in dem es um das Verhältnis von Glauben und Wissen geht, dass Religionen mittels Riten und insbesondere in der liturgischen Praxis der Gemeinden sozial integrative sakrale Bindungskräfte mobilisieren und damit „zur Erzeugung und Stabilisierung gesellschaftlicher Solidarität beitragen“.

 

Fachvortrag von Prof. Edmund Arens: Herunterladen [pdf][160 KB]

 

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