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Doku-Soaps in der Kri­tik [Ma­te­ri­al 20]

Der ab­ge­druck­te Text be­fasst sich kri­tisch mit der Zu­nah­me an Doku-Soaps im Fern­se­hen. Er­ar­bei­te den In­halt mit Hilfe der unten ab­ge­druck­ten Auf­ga­ben. Ihr könnt den Text dazu auch in Grup­pen auf­tei­len.

Alex­an­der Buck:

Ge­hor­sam, Dis­zi­plin und kör­per­li­che Er­tüch­ti­gung: Das Er­zie­hungs­camp

Wenn die Ju­gend­hil­fe zur Doku-Soap in­stru­men­ta­li­siert wird
„Wer kämpft, kann ge­win­nen – wer nicht kämpft, hat schon ver­lo­ren.“ – Nein, wir be­fin­den uns nicht in einem (zu­min­dest klas­si­schen) Straf­la­ger oder bei pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dun­gen, son­dern im Er­zie­hungs­camp von Lo­thar Kan­nen­berg, dem Ge­samt­lei­ter der Ju­gend­hil­feein­rich­tung Durch­bo­xen im Leben e.V. Die Ein­rich­tung dient seit De­zem­ber 2006 als Ku­lis­se für die RTL2-Doku-Soap Das Er­zie­hungs­camp und reiht sich in das Sen­der­sche­ma neben „Frau­en­tausch“ und „Hül­len­los – Auch nackt gut aus­se­hen“ schein­bar naht­los ein. Wem „Big Bro­ther“ (im­mer­hin sind die dort "In­haf­tier­ten" frei­wil­lig ein­ge­zo­gen) und Kon­sor­ten noch nicht „do­ku­men­ta­risch“ genug sind, der be­kommt hier zudem den Thrill der Stra­ße: Ghet­to­kids, Ge­walt­tä­ter, Dro­gen­ab­hän­gi­ge – das ge­sam­te Spek­trum soll hier ab­ge­bil­det wer­den. In einem Um­er­zie­hungs­la­ger mit päd­ago­gi­schem An­strich. Sieht so Ju­gend­hil­fe aus?

„Wir schaf­fen es!“
Neu ist die Ein­mi­schung re­spek­ti­ve Per­ver­tie­rung in die und von der So­zia­len Ar­beit. Was mit „Die Su­pernan­ny“ be­reits mehr als frag­wür­di­ge Aus­ma­ße er­reicht hat, wird im „Er­zie­hungs­camp“ auf zwei Ebe­nen er­wei­tert: Nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild wer­den Ju­gend­li­che in „Camps“ ge­steckt und dort auf ge­sell­schaft­li­che Eig­nung ge­trimmt. Zudem wird sug­ge­riert, nur (noch) so könne man die­sen jun­gen Men­schen bei­kom­men. Der Er­folg die­ser päd­ago­gi­schen Ar­beit misst sich in der Un­ter­ord­nung sowie un­re­flek­tier­ten Über­nah­me von Le­bens­weis­hei­ten. Das Ganze wird ge­wohnt rei­ße­risch auf­be­rei­tet und in sechs Tei­len mit je­weils 60 Mi­nu­ten dar­ge­reicht. Da wird auch gerne mal die „Grup­pen­sit­zung“ ge­filmt, in der Ju­gend­li­che von Kan­nen­berg („Du ka­pierst es ein­fach nicht ...“; „Ich hab’ keine Lust mehr, du kannst gehen!“) zum Wei­nen ge­bracht wer­den, der Rest der Grup­pe sieht ängst­lich zu. Jeder kann der Nächs­te sein.
Den „in­haf­tier­ten“ Ju­gend­li­chen bleibt kaum eine Wahl: Ent­we­der sechs Mo­na­te Drill mit La­ger­lei­ter Kan­nen­berg („ ... unser Dril­lin­struc­tor“ – Zitat RTL2) oder in ge­schlos­se­ne Ein­rich­tun­gen, bzw. ins Ju­gend­ge­fäng­nis.

Kon­zep­tio­nel­le Ver­mi­schung von Ebe­nen
Es ist schwie­rig, bei der vor­lie­gen­den Ver­mi­schung von Rea­li­tät und Un­ter­hal­tungs­fern­se­hen, wie sie ty­pisch für eine Doku-Soap ist (und mei­nes Er­ach­tens ge­plant und ge­wollt), eine dif­fe­ren­zier­te Kri­tik zu äu­ßern. Viel­leicht so: Ein frag­wür­di­ges päd­ago­gi­sches Kon­zept wird me­di­al so auf­be­rei­tet, dass es ei­ner­seits den ex­hi­bi­tio­nis­ti­schen Ge­lüs­ten des Fern­seh­pu­bli­kums ge­recht wird, an­de­rer­seits (und dies ist eben­so fatal) als Blau­pau­se für Kor­rek­tu­ren an ge­sell­schaft­li­chen Pro­ble­ma­ti­ken an­ge­wen­det wer­den kann. Er­zie­hung und (so­zi­al-)päd­ago­gi­sche Ar­beit wird mit be­din­gungs­lo­ser Un­ter­ord­nung, ex­tre­mer kör­per­li­cher Be­tä­ti­gung sowie un­re­flek­tier­ter Über­nah­me von funk­tio­na­len Tech­ni­ken gleich­ge­setzt. Eman­zi­pa­to­ri­sche An­sät­ze, Em­power­ment, Gen­der, das sind Fremd­wor­te im von Re­geln do­mi­nier­ten Kon­zept, wel­ches von Horst Köh­ler mit einer Bun­des­ver­dienst­me­dail­le ver­se­hen wurde.
Aber viel­leicht ist dies sym­pto­ma­tisch: Vor­bei die Zei­ten der Auf­klä­rung, das Ideal des mün­di­gen Bür­gers – eine funk­tio­na­lis­ti­sche Ge­sell­schaft will ein re­gel­werk­haf­tes, zu­ver­läs­si­ges Po­ten­zi­al von Kor­rek­tur­werk­stät­ten. Kol­lek­ti­ver Zwang statt in­di­vi­du­el­le Ein­sicht, mo­no­to­ne Vor­ga­ben statt Be­rück­sich­ti­gung von Nei­gun­gen und Fä­hig­kei­ten. 

Ge­schlechts­spe­zi­fisch? Aber si­cher!
Da nur männ­li­che Ju­gend­li­che von männ­li­chen „Re­spekt­trai­nern“ (wel­che mit­tels Tril­ler­pfei­fen kom­man­die­ren!) trai­niert wer­den, kann sich das Pro­gramm auch ge­schlechts­spe­zi­fisch schimp­fen. Der Ta­ges­plan ist auf die Ju­gend­li­chen ab-ge­stimmt (so wie es sich Kan­nen­berg und seine „Re­spekt­trai­ner“ vor­stel­len): Von 5.55 bis 22.30 Uhr (außer sonn­tags) ist der Tag mi­nu­ti­ös durch­ge­plant. Früh­sport, Über­le­bens­trai­ning, 500 (!) Lie­ge­stüt­ze, Zehn-Ki­lo­me­ter-Lauf, Re­spekt­trai­ning, Nacht­lauf und bis zu drei­mal täg­lich du­schen. Ein wei­te­rer, we­sent­li­cher Be­stand­teil ist das Box­trai­ning – schließ­lich sol­len sich die Ju­gend­li­chen ja „im Leben durch­bo­xen“.
Wich­tig für die Ju­gend­li­chen sind auch klare Hier­ar­chi­en. Die Ju­gend­li­chen durch­lau­fen drei Pha­sen, wer sich gut „durch­bo­xen“ kann steigt in den nächst hö­he­ren Rang auf. Für das Pu­bli­kum wird die Rang­ord­nung durch die ver­schie­de­nen T-Shirts kennt­lich ge­macht. Neben der kör­per­li­chen Er­tüch­ti­gung ma­chen Ri­tua­le den Camp-All­tag aus: Hier­zu zäh­len das Will­kom­mens-, Über­le­bens-, Es­sens-, Grab-, Kreis-, Tages-, Baum- und Ver­ab­schie­dungs­ri­tu­al.
Wem all­mäh­lich Zwei­fel auf­kom­men mögen, der darf sich von Kan­nen­berg be­ru­hi­gen las­sen, schließ­lich kommt er, wie seine Kom­bat­tan­ten, von „ganz unten“ und Boxen för­dert die Dis­zi­plin. Jungs boxen eben gerne.

Fach­per­so­nal – Fehl­an­zei­ge
Sie gehen wegen fun­dier­ter Rechts­be­ra­tung noch zum Rechts­an­walt oder ver­trau­en bei ge­sund­heit­li­chen Fra­gen einem Fach­arzt? Wie rück­stän­dig und über­flüs­sig: Schließ­lich kann jeder, der schon ein­mal recht­li­che oder ge­sund­heit­li­che Pro­ble­me hatte, Sie be­ra­ten. Diese Ana­lo­gie ver­mit­telt „ Das Er­zie­hungs­camp“ . Eine päd­ago­gi­sche Lei­tung ist zwar (noch) nötig, aber sonst kön­nen in die­sem Be­tä­ti­gungs­feld eben­so gut ehe­ma­li­ge Boxer, Straf­fäl­li­ge, NVA-Of­fi­zie­re ihre Le­bens­weis­hei­ten wei­ter­ge­ben.
Nun lässt sich (mitt­ler­wei­le) schwer­lich RTL2 der Vor­wurf ma­chen, un­re­flek­tier­te und frag­wür­di­ge For­ma­te zu pro­du­zie­ren – zu viele gab es be­reits. Und dass Er­wach­se­ne zu Vie­lem be­reit sind, so­lan­ge sie ins Fern­se­hen kom­men und der mo­ne­tä­re As­pekt stimmt, ist auch nicht neu.
Neu ist die un­er­träg­li­che Form der Ver­mi­schung von So­zia­ler Ar­beit im All­ge­mei­nen sowie pro­fes­sio­nel­ler Ju­gend­hil­fe im Spe­zi­el­len mit einer haar­sträu­ben­den Kon­zep­ti­on plus me­dia­ler Auf­be­rei­tung (selbst die ein­zi­ge So­zi­al­ar­bei­te­rin in Folge sechs ist so kli­schee­haft dar­ge­stellt, dass es schon an Dis­kre­di­tie­rung einer Pro­fes­si­on grenzt).

Quel­le: www.​merz-​zeit­schrift.​de/?​RE­COR­D_​ID=4534 (24.01.2015)

 

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