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Die Was­ser­po­li­tik der Welt­bank unter der Lupe

04.06.2004: Zwi­schen Par­ti­zi­pa­ti­on und Pri­va­ti­sie­rung: Das Bei­spiel In­di­en of­fen­bart die Schwä­chen der Was­ser­po­li­tik der Welt­bank

Die Was­ser­po­li­tik der Welt­bank ist ent­schei­dend für den ge­sam­ten Was­ser­sek­tor. Die fi­nan­zi­el­len Zu­wen­dun­gen der Bank sind zwar ins­ge­samt ge­rin­ger als die Kre­di­te und Zu­schüs­se bi­la­te­ra­ler Geber, je­doch be­ein­flusst sie auf­grund ihrer her­vor­ge­ho­be­nen Stel­lung in der Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit die Po­li­tik so­wohl der Kre­dit neh­men­den Re­gie­run­gen als auch der bi­la­te­ra­len Geber maß­geb­lich. Die Ver­ab­schie­dung von drei Stra­te­gie­pa­pie­ren mit kla­ren Be­zü­gen zum Was­ser­sek­tor (Water Re­sour­ces Sec­tor Stra­te­gy, Water and Sa­ni­ta­ti­on Busi­ness Plan, In­fra­struc­tu­re Ac­tion Plan) im Jahr 2003 sind deut­li­che An­zei­chen dafür, dass die Welt­bank ihr En­ga­ge­ment im Was­ser­sek­tor noch aus­wei­ten wird. Erste Er­fah­run­gen aus In­di­en zei­gen je­doch, dass die Stei­ge­rung der fi­nan­zi­el­len Mit­tel nicht not­wen­di­ger Weise zu einer Ver­bes­se­rung des Was­ser­zu­gangs är­me­rer Be­völ­ke­rungs­schich­ten bei­trägt.

Im städ­ti­schen Was­ser­sek­tor legt die Welt­bank gro­ßen Wert auf die Be­tei­li­gung des Pri­vat­sek­tors und un­ter­stützt Re­gie­run­gen bei der Öff­nung des Sek­tors für pri­va­te In­ves­to­ren. Im länd­li­chen Be­reich zeich­net sich die Po­li­tik der Bank vor allem durch eine Ver­la­ge­rung der Ver­ant­wort­lich­kei­ten und Kos­ten auf die Nut­ze­rIn­nen aus. Die Welt­bank nennt die­sen An­satz "par­ti­zi­pa­tiv" und "nach­fra­ge­ori­en­tiert". Die ge­stei­ger­te Teil­nah­me der Nut­ze­rIn­nen an Ent­schei­dun­gen im Was­ser­sek­tor könn­te deren Zu­gang zu Trink­was­ser tat­säch­lich ver­bes­sern. Denn öf­fent­li­che Stel­len haben in der Ver­gan­gen­heit nicht sel­ten die In­ter­es­sen der Be­völ­ke­rung bei der Pla­nung und Durch­füh­rung von Was­ser­pro­jek­ten ver­nach­läs­sigt. Doch wer ist "die lo­ka­le Be­völ­ke­rung"? Wem ge­gen­über müs­sen In­ter­es­sen ar­ti­ku­liert und durch­ge­setzt wer­den, wer fi­nan­ziert? Gibt es ein Ge­gen­über? Wer soll die Pläne um­set­zen? Die Welt­bank hat in In­di­en be­reits seit An­fang der neun­zi­ger Jahre eng mit der Re­gie­rung zu­sam­men­ge­ar­bei­tet, um eine Öff­nung des Sek­tors für pri­va­te Ak­teu­re und eine Ver­la­ge­rung der fi­nan­zi­el­len Ver­ant­wort­lich­kei­ten auf die Nut­ze­rIn­nen durch­zu­set­zen. "In In­di­en ist Was­ser tra­di­tio­nell ein so­zia­les Gut. Seit zehn Jah­ren wird je­doch ver­sucht, Was­ser als wirt­schaft­li­ches Gut um­zu­de­fi­nie­ren", so Herr Ku­lap­pa, der im Auf­trag der Welt­bank die Re­for­men des Was­ser­sek­tors in In­di­en seit zehn Jah­ren plant und be­glei­tet. Doch wie in vie­len an­de­ren Län­dern, gehen die Re­for­men auch in In­di­en nur schlep­pend voran. Das Des­in­ter­es­se pri­va­ter Un­ter­neh­men, die Was­ser­ver­sor­gung in den armen Re­gio­nen des Sü­dens zu über­neh­men, und der Wi­der­stand der Be­völ­ke­rung gegen die Pri­va­ti­sie­rung und die Er­hö­hung der Was­ser­prei­se haben den Pro­zess ins Sto­cken ge­bracht. Erst 1999 hat die in­di­sche Re­gie­rung Re­for­men im länd­li­chen Was­ser- und Ab­was­ser­be­reich auf na­tio­na­ler Ebene ein­ge­lei­tet. Sie tra­gen sehr deut­lich den Stem­pel der Welt­bank und spie­geln den Pa­ra­dig­men­wech­sel von einem an­ge­bots­ori­en­tier­ten zu einem nach­fra­ge­ori­en­tier­ten Sys­tem wider. Die Sek­tor­re­for­men un­ter­stüt­zen par­ti­zi­pa­ti­ve An­sät­ze des Was­ser­ma­nage­ments im länd­li­chen Raum und sol­len Ge­mein­den und lo­ka­le zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Grup­pen in die Lage ver­set­zen, ihre Was­ser­ver­sor­gung selbst zu über­neh­men, ohne auf Un­ter­stüt­zung von außen be­zie­hungs­wei­se des Zen­tral­staats an­ge­wie­sen zu sein. Ein Jahr vor der Ver­ab­schie­dung des Sek­tor­re­form­pro­gramms ver­öf­fent­lich­te die Welt­bank einen ein­fluss­rei­chen Re­port über die länd­li­che Was­ser­ver­sor­gung und Ab­was­ser­ent­sor­gung in Süd­asi­en (World Bank, 1999). In dem Re­port kri­ti­siert sie, dass Was­ser für die Ver­brau­che­rIn­nen kos­ten­frei sei und die Re­gie­rung die ge­sam­te Ver­ant­wor­tung für den Sek­tor trage. Die staat­li­che Do­mi­nanz und die feh­len­de kom­mer­zi­el­le Aus­rich­tung wür­den den Pri­vat­sek­tor ab­schre­cken. Wei­ter weist die Welt­bank dar­auf hin, dass die Was­ser­ver­sor­gung auf­grund des Be­völ­ke­rungs­wachs­tums und der wach­sen­den Be­dürf­nis­se immer kost­spie­li­ger werde. Eine Er­hö­hung der staat­li­chen Aus­ga­ben für den Was­ser­sek­tor sieht sie als un­wahr­schein­lich an. Sie schlägt des­halb vor, die ge­sam­ten Kos­ten Schritt für Schritt auf die Nut­ze­rIn­nen ab­zu­wäl­zen. In dem 1999 ver­öf­fent­lich­ten Re­port heißt es: "Das wich­tigs­te Ziel die­ser Stra­te­gie ist es, die ge­sam­ten Kos­ten für die Was­ser­ver­sor­gung (In­ves­ti­tio­nen, In­stand­hal­tungs- und Re­pa­ra­tur­kos­ten) durch den Was­ser­preis zu de­cken. Falls Kre­di­te für In­ves­ti­tio­nen auf­ge­nom­men wer­den müs­sen, sol­len die Zin­sen durch den Preis ge­deckt, also von den Nut­ze­rIn­nen fi­nan­ziert wer­den." (World Bank, 1999, S. XVIII). Mit kre­dit­fi­nan­zier­ten Re­form­pro­gram­men und Pi­lot­pro­jek­ten hat die Welt­bank die Re­form­pro­zes­se in In­di­en vor­an­ge­trie­ben. Zwi­schen 1996 und 2002 hat sie ihren nach­fra­ge­ori­en­tier­ten, par­ti­zi­pa­ti­ven und kos­ten­de­cken­den An­satz in über 1.000 Dör­fern in dem in­di­schen Bun­des­staat Uttar Pra­desh ge­tes­tet. Die Of­fen­si­ve der Bank hat Früch­te ge­tra­gen: Das Sek­tor­re­form­pro­gramm der in­di­schen Re­gie­rung von 1999 gilt als das größ­te Was­ser­re­form­pro­jekt mit nach­fra­ge­ori­en­tier­tem An­satz. Im Au­gust 2001 wur­den die Re­for­men be­reits in über sech­zig Di­strik­ten des Lan­des in fast allen Bun­des­staa­ten um­ge­setzt.

Aus­wir­kun­gen der Welt­bank­po­li­tik Die ak­tu­el­le Was­ser­po­li­tik der Welt­bank ent­spricht auf den ers­ten Blick den Vor­stel­lun­gen Vie­ler nach mehr Mit­spra­che. Be­son­ders die Be­grif­fe "par­ti­zi­pa­tiv" und "nach­fra­ge­ori­en­tiert" legen nahe, die In­ter­es­sen der Be­völ­ke­rung stün­den im Mit­tel­punkt. Der An­satz der Welt­bank ist je­doch frag­wür­dig, da er die staat­li­che Ver­ant­wor­tung für die Be­reit­stel­lung von Ba­sis­dienst­leis­tun­gen ein­schränkt. Dar­über hin­aus ist das Par­ti­zi­pa­ti­ons­kon­zept der Welt­bank äu­ßerst be­grenzt und bie­tet Nut­ze­rIn­nen wenig Mög­lich­kei­ten, Pro­zes­se sel­ber zu in­iti­ie­ren, zu lei­ten oder Ent­schei­dun­gen ei­gen­ver­ant­wort­lich zu tref­fen, ob­wohl sie fi­nan­zi­ell eine viel grö­ße­re Ver­ant­wor­tung tra­gen als bis­her. Par­ti­zi­pa­ti­on be­deu­tet für die Welt­bank nicht, die Be­völ­ke­rung durch de­mo­kra­ti­sche Teil­ha­be zu be­voll­mäch­ti­gen, Re­gie­rungs­po­li­tik zu kon­trol­lie­ren und ge­sell­schaft­li­che In­ter­es­sen und Rech­te ge­gen­über der öf­fent­li­chen Hand durch­zu­set­zen, son­dern die Ein­schrän­kung staat­li­cher Pflich­ten und die Aus­wei­tung fi­nan­zi­el­ler Ver­ant­wort­lich­kei­ten der Be­völ­ke­rung. Die Um­set­zung par­ti­zi­pa­ti­ver und nach­fra­ge­ori­en­tier­ter Was­ser­kon­zep­te durch die Welt­bank hat in der Ver­gan­gen­heit kaum po­si­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die ärms­ten Be­völ­ke­rungs­schich­ten ge­habt. Jas­veen Jai­rath, Di­rek­to­rin des South Asian Con­sor­ti­um for In­ter­di­sci­pli­na­ry Water Re­sour­ces Stu­dies, hat par­ti­zi­pa­ti­ve, nach­fra­ge­ori­en­tier­te Was­ser­pro­jek­te im land­wirt­schaft­li­chen Be­reich im in­di­schen Bun­des­staat An­drah Pra­desh un­ter­sucht. Sie stellt fest, dass die Par­ti­zi­pa­ti­on der Be­völ­ke­rung, wenn sie von der Welt­bank im Rah­men eines Kre­di­tes in­iti­iert wird, sel­ten von Dauer ist: "Die schwächs­ten Mit­glie­der der Ge­mein­schaft haben kei­ner­lei Kon­trol­le in die­sen Sys­te­men und ver­lie­ren in kür­zes­ter Zeit das In­ter­es­se." Häu­fig do­mi­nie­ren die ein­fluss­rei­chen lo­ka­len Eli­ten in einem Dorf die von der Welt­bank an­ge­sto­ße­nen Par­ti­zi­pa­ti­ons­pro­zes­se. Trotz jähr­li­cher In­ves­ti­tio­nen im Was­ser­be­reich von ins­ge­samt circa drei Mil­li­ar­den US-Dol­lar ist es der Bank bis­lang nicht ge­lun­gen, den Was­ser­zu­gang der Armen spür­bar zu ver­bes­sern. Im Ge­gen­teil: Die Pri­va­ti­sie­rung der Was­ser­ver­sor­gung in vie­len Me­tro­po­len des Sü­dens und die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Was­sers (vom öf­fent­li­chen Gut zur Ware) haben den Was­ser­zu­gang in vie­len Fäl­len ver­teu­ert und ver­schlech­tert. Selbst die in­ter­ne Eva­lu­ie­rungs­ab­tei­lung (Ope­ra­ti­ons Eva­lua­ti­on De­part­ment) der Welt­bank stell­te 2002 fest, dass die Was­ser­ver­sor­gungs­pro­jek­te der Bank bis­lang keine si­gni­fi­kan­ten Aus­wir­kun­gen auf die Ein­däm­mung von Armut ge­habt hät­ten (Ope­ra­ti­ons Eva­lua­ti­on De­part­ment, 2002). Au­ßer­dem, so die bank­in­ter­ne Kon­troll­in­stanz ein Jahr spä­ter, gäbe es in kei­nem Land, das Kre­di­te der Welt­bank für Was­ser­pro­jek­te er­hält, eine strin­gen­te Re­gu­lie­rung der Was­ser­prei­se, in­klu­si­ve spe­zi­el­ler Vor­keh­run­gen für die Ärms­ten (Ope­ra­ti­ons Eva­lua­ti­on De­part­ment, 2003). Die Kon­zen­tra­ti­on der Welt­bank auf die wirt­schaft­li­che Trag­fä­hig­keit des Sek­tors und die Ver­nach­läs­si­gung der Zu­gangs­pro­ble­ma­tik ist der Haupt­grund für ihre man­geln­den Fort­schrit­te bei der Be­reit­stel­lung von Was­ser für die är­me­ren Be­völ­ke­rungs­schich­ten. Öko­lo­gi­sche, men­schen­recht­li­che, kul­tu­rel­le und re­li­giö­se Werte des Was­sers ver­schwin­den in Kal­ku­la­tio­nen der Kos­ten­de­ckung, Ef­fek­ti­vi­tät und öko­no­mi­schen Trag­fä­hig­keit. Da im nach­fra­ge­ori­en­tier­ten An­satz der Zu­gang zu Was­ser über die Kauf­kraft de­fi­niert wird, ist die Mar­gi­na­li­sie­rung des wirt­schaft­lich schwächs­ten Teils der Be­völ­ke­rung pro­gram­miert. Schließ­lich fal­len staat­li­che Steue­rungs­funk­tio­nen, die den öko­lo­gisch nach­hal­ti­gen und so­zi­al trag­fä­hi­gen Um­gang mit der Res­sour­ce Was­ser för­dern könn­ten, bei der Über­ant­wor­tung des Sek­tors an die pri­va­ten Nut­ze­rIn­nen eben­falls weg.

Au­to­rin: Ann Kath­rin Schnei­der

Li­te­ra­tur: · Ope­ra­ti­ons Eva­lua­ti­on De­part­ment, Bridging Trou­bled Wa­ters, Wa­shing­ton D.C., 2002. · Ope­ra­ti­ons Eva­lua­ti­on De­part­ment, Ef­fi­ci­ent, Sustainable Ser­vice for All? Wa­shing­ton D.C. 2003. · World Bank, Rural Water Sup­p­ly and Sa­ni­ta­ti­on, Mum­bai/Wa­shing­ton, D.C., 1999.

Aus: IN­KO­TA-Brief 128 (Juni 2004): Was­ser - öf­fent­li­che Kon­trol­le statt Kom­merz. 48 Sei­ten, 3 Euro plus Porto. Be­stel­lun­gen an in­ko­ta-brief@​in­ko­ta.​de.


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