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Fa­schis­ti­sche Ri­tua­le

Eine Ge­schich­te zur Ent­ste­hung fa­schis­ti­scher Ri­tua­le

Das mäch­tigs­te Mit­tel der Mas­sen­be­ein­flus­sung des Fa­schis­mus ist 1919 von dem ita­lie­ni­schen Dich­ter Ga­brie­le D'An­nun­zio kre­iert wor­den: Die Äs­the­ti­sie­rung der Po­li­tik er­reich­te hier­mit neue Di­men­si­on. Fa­schis­ti­sche Füh­rer - auch Hit­ler – konn­ten sich dort be­die­nen, und das taten sie auch.

D'An­nun­zio, Dich­ter und Kriegs­held, war mit Kriegs­heim­keh­rern in die Stadt Fiume auf­ge­bro­chen, die in den Pa­ri­ser Vor­ort­ver­trä­gen dem neu ge­grün­de­ten Staat Ju­go­sla­wi­en zu­ge­schla­gen wor­den war, ob­gleich Ita­li­en als Sie­ger­macht die Stadt für sich be­an­spruch­te. In dem einen Jahr in Fiume ent­stand ein neues, sehr wirk­sa­mes po­li­ti­sches Ri­tu­al.

  • Das wich­tigs­te Mit­tel der Mas­sen­be­ein­flus­sung war die "Rede vom Bal­kon". Unten auf dem Platz - große Plät­ze waren zen­tra­ler Be­stand­teil und be­vor­zug­ter Ge­gen­stand der spä­te­ren fa­schis­ti­schen Ar­chi­tek­tur - waren die An­hän­ger auf­ge­stellt, oben vom Bal­kon sprach der Füh­rer, der sich selbst glei­cher­ma­ßen als Her­aus­ge­ho­be­ner wie als einer der Vie­len dar­stell­te.
  • Mit der Masse kam es zu einer Art Wech­sel­re­de: Der Dich­ter stell­te Fra­gen, die ge­mein­sam im Chor wie mit einer Stim­me be­ant­wor­tet wur­den.
  • Auch die wich­tigs­ten Re­de­fi­gu­ren D'An­nun­zios wur­den Be­stand­teil fa­schis­ti­scher Be­we­gun­gen: Die Welt wurde in alt und jung, häss­lich und schön, ver­dor­ben und ge­sund, müde und er­wacht ein­ge­teilt.
  • Po­li­tik wurde her­aus­ge­ho­ben, re­li­gi­ös.
  • Im Ge­mein­schafts­ri­tu­al spiel­ten Mär­ty­rer­sym­bo­le, Klei­dungs­res­te ge­fal­le­ner Ka­me­ra­den, Fah­nen, Wim­pel, Stan­dar­ten eine be­son­de­re Rolle. Ge­fal­le­ne Teil­neh­mer der Fiume-Ex­pe­di­ti­on wur­den bei ihren Be­gräb­nis­sen pseu­do­re­li­gi­ös hoch­sti­li­siert.
  • Sinn­sprü­che und Sym­bo­le be­glei­te­ten alle Ri­tua­le. Der Pfeil sym­bo­li­siert Schnel­lig­keit und Treff­si­cher­heit, die Flam­me ist Sym­bol für das reine Feuer, wel­ches die alte Welt ver­zehrt. Auch der rö­mi­sche Gruß mit den Dol­chen in der er­ho­be­nen Rech­ten ge­hör­te zum Ri­tu­al.
  • Die Sol­da­ten von Fiume waren eine "ver­schwo­re­ne Ge­mein­schaft", auf der das Heil der Zu­kunft ruhte.
  • Die Stim­mung der Be­völ­ke­rung war fest­lich-or­gi­as­tisch und lud zu einer In­sze­nie­rung ein. Bei die­ser Iden­ti­täts­stif­tung fiel der Musik eine Schlüs­sel­rol­le zu. Was in Fiume fest­lich und spon­tan ge­we­sen war, wurde im Fa­schis­mus durch das Über­maß an Or­ga­ni­sa­to­ri­schem er­setzt.
  • Be­son­ders wirk­sam war, dass die po­li­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­rung keine Aus­ein­an­der­set­zung mit Ar­gu­men­ten mehr war, son­dern das Ri­tu­al und die Sym­bo­lik di­rekt den Weg in die Seele der Masse fan­den.

Mög­lich­kei­ten un­ter­richt­li­cher Um­set­zung

Bei den ört­li­chen Kreis­bild­stel­len fin­det sich ein drei­tei­li­ger Film „Ur­sa­chen des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus“, des­sen 1. Teil auf einer VHS-Kas­set­te die „Mas­sen­ver­füh­rung durch Pro­pa­gan­da“ ana­ly­siert. Neue­re Spiel­fil­me oder Do­ku­men­ta­tio­nen mögen dem Ge­gen­warts­ge­schmack und den ak­tu­el­len Qua­li­täts­er­war­tun­gen eher ent­ge­gen­kom­men, nichts­des­to­trotz ge­lingt hier­mit ein ein­drück­li­cher Ein­stieg (ca. 20 Mi­nu­ten).

Eine ziel­ge­rich­te­te Film­re­zep­ti­on kann re­le­van­te As­pek­te der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen In­sze­nie­run­gen zu­sam­men­tra­gen, sor­tie­ren, in ihrer Wir­kung be­ur­tei­len. Dass diese Dra­ma­tur­gie auch in an­de­ren Kon­tex­ten wirkt, zeigt ja der Rück­blick auf Fiume nicht we­ni­ger als die ak­tu­el­le Re­cher­che da­nach, wie (pseu­do)fa­schis­ti­sche Ri­tua­le ge­ra­de in ge­walt­be­rei­ten Grup­pen heute prä­sent sind.