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Diskursethik

Im Rückgriff auf die Kantische Ethik will eine Diskursethik im freien argumentativen Gespräch der gesellschaftlichen Individuen und Gruppen einen vernünftigen und friedlichen Konsens darüber finden, was verantwortlich zu tun ist. In Diskursen muss eine Verständigung über Geltung und Reichweite von Normen gefunden werden.

Bei der Diskursethik geht es nicht um Normenbegründung im eigentlichen Sinn, sondern um die Klärung der Frage, wie im Dialog ein Konsens hinsichtlich strittiger Normen hergestellt werden kann. Diesem Anliegen kann sich auch die theologische Ethik – gleich welcher Provenienz – nicht verschließen. Auf der Grundlage ihres christlichen Glaubens hat sie ihre Argumente sowohl rational als auch konsensorientiert einzubringen. Damit ein solcher Dialog gelingen kann, hat die Diskursethik Regeln aufgestellt, insbesondere um die Ehrlichkeit und bleibende Offenheit des Gesprächs der verschiedenen Glieder der Gesellschaft zu sichern.

  1. Jedes sprach- und handlungsfähige Subjekt darf an Diskursen teilnehmen.
  2. Jeder und jede darf jede Behauptung problematisieren, aber er oder sie muss Gründe dafür angeben.
  3. Jede und jeder soll nur das in den Diskurs einbringen, wovon sie oder er auch tatsächlich überzeugt ist.
  4. Niemand darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses herrschenden Zwang daran gehindert werden, seine oder ihre Diskursrechte wahrzunehmen.

Der Vorteil der Diskursethik ist, dass sie im Kontext moderner Gesellschaften eine hohe Plausibilität aufweist. Sie versteht sich als kultur- und zeitunabhängig, von allen vernünftigen Wesen in gleicher Weise nachvollziehbar, also universal. Dennoch ist sie für die ständigen Wandlungen des Lebens offen und versucht die Erfahrungen der Menschen aufzunehmen. Was sich im Diskurs als Konsens erweist, besitzt dann normative Gültigkeit. Hinterfragt wird die Diskursethik hauptsächlich deswegen, weil sie jeden Grundlagenkonflikt für prozedural lösbar hält. Auch setzt der Diskurs bereits elementare moralische Prinzipien wie die Ehrlichkeit der Diskursteilnehmerinnen und Diskursteilnehmer, deren wechselseitiges Lebensrecht und deren Meinungsfreiheit voraus; diese moralischen Prinzipien werden mithin nicht erst durch Diskurs hergestellt. Zu erörtern ist weiterhin, wie man mit der Abwesenheit der zukünftig Betroffenen (Embryonen, Kleinkinder, künftige Generationen) und mit jenen umgeht, die (noch) nicht diskursfähig sind (geistig Schwerstbehinderte). Schließlich stellt sich die kritische Frage, ob und inwieweit überhaupt ein Konsens diskursiv erzielt werden kann. Von den normativen Ansprüchen der Diskursethik zu unterscheiden, wenn auch nicht zu trennen, ist die diskursive Verständigung über Inhalte. Die christlichen Kirchen suchen in modernen Gesellschaften die diskursiven Verständigungen zu stärken.

Quelle:

Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz u. der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Gott und die Würde des Menschen, Paderborn 2017, S. 60-62

© 2017 by Bonifatius GmbH, Paderborn und Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig

 

 

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