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Tu­gen­de­thik

Im Ge­gen­über und zum Teil im Ge­gen­satz zur Nor­me­nethik hat sich schon in der An­ti­ke die Tu­gen­de­thik ent­wi­ckelt. In der ak­tu­el­len Ethik­dis­kus­si­on fin­det die in der Tra­di­ti­on von Aris­to­te­les und Tho­mas von Aquin ste­hen­de Tu­gen­de­thik be­son­de­re Be­ach­tung. Tu­gend kann ver­stan­den wer­den als eine Dis­po­si­ti­on, wel­che un­se­re Hand­lun­gen, aber auch un­se­re Ge­dan­ken und Emo­tio­nen formt. Bei der Tu­gend geht es nicht um ein ein­ma­li­ges Han­deln, auch nicht um ein Set von prak­ti­schen Ver­hal­tens­re­geln, son­dern um blei­ben­de Ein­stel­lun­gen und Ge­neigt­hei­ten (Grund­hal­tun­gen), die sich in einem guten Le­bens­stil nie­der­schla­gen und dem Han­deln­den ein „mo­ra­li­sches Ge­sicht“ ver­lei­hen. Meis­tens redet man von Tu­gen­den im Plu­ral, z. B. den Kar­di­nal­tu­gen­den (Klug­heit, Tap­fer­keit, Be­son­nen­heit, Ge­rech­tig­keit). Spricht man von Tu­gend im Sin­gu­lar, ver­steht man dar­un­ter ins­be­son­de­re die freie und leich­te Ent­schei­dung zum Guten, die so­dann in den Ein­zel­tu­gen­den zum Aus­druck kommt. Wie das Den­ken und das Han­deln des Men­schen sind auch Tu­gen­den auf ge­schicht­li­che Si­tua­tio­nen be­zo­gen und er­hal­ten in ihnen ihren Sinn. Groß­mut war für Aris­to­te­les eine ethi­sche Tu­gend, heute ist sie fast ver­ges­sen. Die die ei­ge­ne Per­son zu­rück­neh­men­de Tu­gend der Demut hielt Aris­to­te­les für so wenig wert wie Selbst­über­schät­zung und Auf­ge­bla­sen­heit. Im Mit­tel­al­ter wurde die Demut unter dem Ein­fluss des Chris­ten­tums zu einer we­sent­li­chen Tu­gend; in der Ge­gen­wart ist sie voll­kom­men ver­blasst und drückt eher eine ne­ga­tiv ver­zich­ten­de Hal­tung aus. Da­ge­gen war die heute hoch­ge­schätz­te Tu­gend der Fair­ness Aris­to­te­les un­be­kannt. Tu­gen­den sind stark im Wan­del be­grif­fen.

Die Frage nach der Be­deu­tung von ein­zel­nen Tu­gen­den für das sitt­li­che Han­deln ist zu un­ter­schei­den von der Frage nach der Mög­lich­keit einer Tu­gen­de­thik in Ab­set­zung von einer nor­ma­ti­ven Ethik de­on­to­lo­gi­scher wie te­leo­lo­gi­scher Art. Die Ethik und Mo­ral­theo­lo­gie der letz­ten Jahre waren sehr von der Norm­pro­ble­ma­tik ge­prägt und haben damit eine Ge­stalt von Ethik und Mo­ral­theo­lo­gie vor­an­ge­trie­ben, die auf ein Sol­len und Müs­sen ab­zielt. Eine Tu­gen­de­thik be­zieht sich we­ni­ger auf die Denk­form des Sol­lens, son­dern mo­ti­viert durch ein ent­wi­ckel­ba­res Kön­nen, das im Ge­lin­gen auf ein Gutes hin­führt. Eine Tu­gen­de­thik trägt vor allem der Be­deu­tung des Af­fek­ti­ven und der Mo­ti­va­ti­on in der sitt­li­chen Hand­lung Rech­nung.

Den­noch ist die Leis­tungs­fä­hig­keit einer Tu­gen­de­thik be­grenzt. Sie ent­hält keine voll­stän­di­ge Ant­wort auf die Fra­gen, was soll, was muss sein, was ist zu tun? Wer Rat sucht, dem ist unter Um­stän­den wenig ge­hol­fen mit dem Hin­weis: Hand­le tap­fer! Hand­le als ein guter Freund! Au­ßer­dem ver­mag eine Tu­gen­de­thik nicht die ge­le­gent­lich auf­tre­ten­den (und un­ver­meid­ba­ren) tra­gi­schen Aus­wir­kun­gen mensch­li­chen Han­delns di­rekt ein­zu­schät­zen, da ihr Be­griffs­sche­ma in der Vor­stel­lung vom guten Men­schen wur­zelt. Tu­gen­den sind we­sent­li­che Mo­men­te mo­ra­li­schen Le­bens, ma­chen aber Kri­te­ri­en zur Be­ur­tei­lung einer Hand­lung nicht über­flüs­sig.

Auch wenn in der Theo­lo­gie­ge­schich­te die ka­tho­li­sche Moral einer Tu­gend­leh­re mehr zu­ge­neigt war als die evan­ge­li­sche Ethik, ist heute kein grund­le­gen­der Un­ter­schied fest­zu­stel­len. Seit ei­ni­gen Jah­ren sucht auch die evan­ge­li­sche Ethik in Auf­nah­me von tu­gen­de­thi­schen Fra­ge­stel­lun­gen die mit Tu­gen­den an­zu­spre­chen­den Ver­hal­tens­dis­po­si­tio­nen der Men­schen und in­ne­re Über­zeu­gun­gen in den Mit­tel­punkt zu rü­cken. Beide plä­die­ren für eine Kom­ple­men­ta­ri­tät im Sinne einer Er­gän­zung einer Nor­me­nethik durch die Tu­gen­de­thik.

Quel­le:

Bi­la­te­ra­le Ar­beits­grup­pe der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz u. der Ver­ei­nig­ten Evan­ge­lisch-Lu­the­ri­schen Kir­che Deutsch­lands, Gott und die Würde des Men­schen, Pa­der­born 2017, S. 62f

© 2017 by Bo­ni­fa­ti­us GmbH, Pa­der­born und Evan­ge­li­sche Ver­lags­an­stalt GmbH, Leip­zig

 

Ar­beits­auf­trä­ge

  1. Lies den obi­gen Text auf­merk­sam und un­ter­strei­che un­be­kann­te Be­grif­fe, die du noch re­cher­chie­ren musst.

  2. Er­schlie­ße dir die Be­deu­tung die­ser Be­grif­fe mit Hilfe der aus­lie­gen­den Le­xi­ka oder mit Hilfe des In­ter­nets.

  3. Bei der noch­ma­li­gen Lek­tü­re strei­che die Zei­len, die dei­ner Mei­nung nach für die Kern­aus­sa­gen des Ge­samt­tex­tes un­wich­tig sind, durch.

  4. Ver­fas­se auf die­ser Grund­la­ge eine In­halts­an­ga­be des Tex­tes.

  5. Suche dir nun eine/n Part­ner/in, stellt euch ge­gen­sei­tig eure In­halts­an­ga­ben vor und klärt even­tu­el­le Un­ter­schie­de.

 

 

Tu­gen­de­thik: Her­un­ter­la­den [docx][21 KB]

Tu­gen­de­thik: Her­un­ter­la­den [pdf][401 KB]

 

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