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Ge­wis­sen und Lehr­amt

Ge­wis­sen

[…] für die ka­tho­li­sche Lehre ist das Ge­wis­sen für die Gläu­bi­gen die ent­schei­den­de In­stanz des mo­ra­li­schen Ur­tei­lens und Han­delns. Eben­so ist cha­rak­te­ris­tisch, dass das Lehr­amt keine selbst­be­zo­ge­nen, iso­lier­ten Ent­schei­dun­gen trifft, son­dern den Glau­ben der ge­sam­ten Kir­che be­zeugt. Syn­oden und Kon­zi­li­en haben – in Ge­mein­schaft mit dem Bi­schof von Rom – eine we­sent­li­che Be­deu­tung für die Leh­rent­wick­lung in der ka­tho­li­schen Kir­che. Weil ka­tho­li­sche Lehre die Kol­le­gia­li­tät der Bi­schö­fe be­tont und den Glau­bens­sinn des Got­tes­vol­kes als theo­lo­gi­sche Er­kennt­nis­quel­le be­trach­tet, kann sie aus einem theo­lo­gi­schen Grund die Pra­xis der evan­ge­li­schen Syn­oden wür­di­gen. Al­ler­dings stellt sich für die ka­tho­li­sche Theo­lo­gie im Blick auf die Pra­xis der syn­oda­len Leh­rent­schei­dun­gen die Frage, wer mit wel­cher Kom­pe­tenz und Au­to­ri­tät an Pro­zes­sen der Ur­teils­bil­dung be­tei­ligt ist und wel­chen theo­lo­gi­schen Sta­tus die Ent­schei­dun­gen haben. Aus ka­tho­li­scher Sicht bleibt über­dies klä­rungs­be­dürf­tig, wel­che Be­deu­tung für die evan­ge­lisch-lu­the­ri­sche Seite das sola scrip­tu­ra hat und wel­cher Stel­len­wert den Tra­di­ti­ons­zeug­nis­sen zu­kommt.

Es gibt bei allen Un­ter­schie­den viele öku­me­ni­sche Ge­mein­sam­kei­ten im Blick auf die Her­aus­for­de­run­gen des ethi­schen Dis­kur­ses in der Ge­sell­schaft heute. Viele Her­aus­for­de­run­gen sind in die­sem Zu­sam­men­hang ge­mein­sam zu be­den­ken: Wel­che Be­deu­tung haben die öf­fent­li­chen Me­di­en bei der Mei­nungs­bil­dung der Ge­tauf­ten in ethi­schen Fra­gen? Wie könn­te er­reicht wer­den, dass bei­spiels­wei­se in den Fa­mi­li­en in einem of­fe­nen Ge­spräch ethi­sche The­men vor­kom­men? Wie könn­te eine Be­wusst­seins­bil­dung mit christ­li­cher Ori­en­tie­rung in ethi­schen Fra­gen ge­lin­gen?

Ge­wis­sen und lehr­amt­li­che Au­to­ri­tät

Nach ka­tho­li­scher Tra­di­ti­on ist es die vor­nehms­te Auf­ga­be der Bi­schö­fe als au­then­ti­sche Leh­rer des Glau­bens, die unter dem Wort Got­tes ste­hen, ein­zeln, un­ter­ein­an­der und in Ge­mein­schaft mit dem Bi­schof von Rom in Treue zur Lehre der Kir­che das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den. Die Ver­kün­di­gung der Bot­schaft des Glau­bens er­streckt sich auch auf das sitt­li­che Leben der Gläu­bi­gen. Diese sind ge­hal­ten, den lehr­amt­li­chen Wei­sun­gen zu fol­gen und in ihren Ge­wis­sens­ent­schei­dun­gen zu be­rück­sich­ti­gen. Dabei ist es nicht die Ab­sicht des kirch­li­chen Lehr­am­tes, den Gläu­bi­gen ein theo­lo­gi­sches oder phi­lo­so­phi­sches Sys­tem auf­zu­er­le­gen, son­dern das Wort Got­tes ge­treu aus­zu­le­gen und zu be­wah­ren. Die Auf­ga­be des Lehr­am­tes ge­ra­de in ethi­schen und mo­ral­theo­lo­gi­schen Fra­gen ist es nicht, den Gläu­bi­gen einen voll­stän­di­gen Ge­bots- oder Ver­bots­ka­ta­log vor­zu­le­gen, son­dern in be­stimm­ten Fäl­len und unter Be­rück­sich­ti­gung be­stimm­ter Um­stän­de auf die Un­ver­ein­bar­keit be­stimm­ter theo­lo­gi­scher oder phi­lo­so­phi­scher Auf­fas­sun­gen mit der von Gott ge­of­fen­bar­ten Wahr­heit hin­zu­wei­sen. In­so­weit voll­zieht das kirch­li­che Lehr­amt ein Werk der Un­ter­schei­dung, der Er­mah­nung und der Un­ter­wei­sung.

Aus ka­tho­li­scher Sicht ist das Ge­wis­sen als Ort des Ur­teils über eine Hand­lung zu be­trach­ten. Es ist ein Ur­teil in der Über­zeu­gung, das Gute zu tun und das Böse zu las­sen. In­so­fern folgt das Ge­wis­sen dem Na­tur­ge­setz. Doch ist das Ur­teil des Ge­wis­sens ein prak­ti­sches Ur­teil, das an­ord­net, was der Mensch zu tun oder zu un­ter­las­sen hat. Das Ge­wis­sen voll­zieht die An­wen­dung des all­ge­mei­nen Ge­set­zes auf den Ein­zel­fall und wird so zu einem in­ne­ren Gebot des ein­zel­nen Men­schen. Das Ge­wis­sen ist die maß­geb­li­che Norm der ei­ge­nen Sitt­lich­keit. Als per­sön­li­ches sitt­li­ches Ur­teil ist das Ge­wis­sen un­auf­heb­bar. Das Ur­teil des Ge­wis­sens ist al­ler­dings nicht frei von der Mög­lich­keit zu irren. In der Ge­wis­sens­ent­schei­dung fin­den die Gläu­bi­gen eine Hilfe im kirch­li­chen Lehr­amt.

Auch in lu­the­ri­schen Be­kennt­nis­schrif­ten fin­den sich Aus­füh­run­gen zur lehr­amt­li­chen Auf­ga­be im Zu­sam­men­hang der Ver­kün­di­gung und gläu­bi­gen An­nah­me des Evan­ge­li­ums. In den Schmal­kal­di­schen Ar­ti­kel­n1 heißt es: „Got­tes Wort soll Ar­ti­kel des Glau­bens [auf]stel­len und sonst nie­mand, auch kein Engel“. Diese Aus­sa­ge könn­te zu der fälsch­li­chen An­nah­me füh­ren, dass die lu­the­ri­schen Kir­chen jeg­li­che lehr­amt­li­che Au­to­ri­tät ab­leh­nen und in ethi­schen Fra­gen sowie in Ver­kün­di­gung und An­nah­me des Evan­ge­li­ums nur auf die an das Wort Got­tes ge­bun­de­ne Ge­wis­sens­frei­heit des Ein­zel­nen Wert legen. Eine für die rech­te Schrift­aus­le­gung und die Wei­sun­gen der Schrift bür­gen­de und sie ver­si­chern­de Au­to­ri­tät eines Lehr­am­tes kennt die lu­the­ri­sche Theo­lo­gie nicht; sie lehnt ein sol­ches ge­ra­de­zu ab. Für sie legt sich die Schrift viel­mehr in einem sehr dif­fe­ren­zier­ten Pro­zess, an dem alle Ge­tauf­ten glei­cher­ma­ßen An­teil haben, selbst aus – und zwar so, dass darin die Wahr­heit der Bi­schö­fe der ka­tho­li­schen Kir­che über ei­ni­ge grund­le­gen­den Fra­gen der kirch­li­chen Mo­ral­leh­re (6. Au­gust 1993), Got­tes­ge­schich­te Jesu Chris­ti selbst zur Ent­fal­tung kommt. Von dem Zwang und der Sorge, die Schrift und ihre au­to­ri­ta­ti­ve Aus­le­gung, auch in ethi­schen Fra­gen, si­cher­stel­len zu müs­sen, ist das kirch­li­che Lei­tungs­amt be­freit.

Ob­wohl also die lu­the­ri­schen Be­kennt­nis­schrif­ten ein der ka­tho­li­schen Lehre ent­spre­chen­des Lehr­amt nicht ken­nen, mes­sen sie dem kirch­li­chen Lei­tungs- und Lehr­amt doch eine ent­schei­den­de Auf­ga­be im Selbst­aus­le­gungs­pro­zess der Hei­li­gen Schrift zu: näm­lich Lehre zu prü­fen, dem Evan­ge­li­um wi­der­strei­ten­de Lehre zu ver­wer­fen, auf einen kirch­li­chen Kon­sens über die rech­te Lehre hin­zu­ar­bei­ten und die­sen auch dar­zu­stel­len. Dies hat al­ler­dings immer unter der Wah­rung der Vor­rang­stel­lung des Wor­tes Got­tes zu ge­sche­hen: „Das Lehr­amt der Kir­che be­sitzt keine ei­ge­ne Lehr­ge­walt neben oder gar vor der Hei­li­gen Schrift, son­dern hat nur die Lehr­ge­walt des Wor­tes Got­tes gel­tend zu ma­chen. In die­sem ab­ge­lei­te­ten Sinne ist die Lehr­ge­walt von Gott der gan­zen Kir­che, Amt und Ge­mein­de, über­tra­gen.“ Pri­mä­rer Ort die­ses Lehr­aus­le­gungs­pro­zes­ses ist die Ver­samm­lung der Glau­ben­den, „für die Amts­trä­ger in ge­ord­ne­ter Weise be­ru­fen und or­di­niert wer­den, um öf­fent­lich zu leh­ren und die Sa­kra­men­te zu ver­wal­ten (CA XIV).“ Neben dem ord­nungs­ge­mäß be­ru­fe­nen Pfarr­amt und dem Zeug­nis­amt aller Glau­ben­den sind an die­ser Aus­le­gungs­ge­mein­schaft auch das epis­ko­pa­le Auf­sichts­amt sowie Syn­oden und Leh­ren­de an den theo­lo­gi­schen Aus­bil­dungs­stät­ten be­tei­ligt. Die Ge­wis­sens­frei­heit der Glau­ben­den wird in der und durch die Teil­nah­me an der Aus­le­gungs­ge­mein­schaft ge­bil­det und ge­schärft.

Trotz un­ter­schied­li­cher Ge­stal­tung von lehr­amt­li­cher Au­to­ri­tät kön­nen Lu­the­ra­ner und Ka­tho­li­ken ge­mein­sam fest­hal­ten, „dass die Kir­che Glie­der be­nen­nen muss, die der Wei­ter­ga­be des Evan­ge­li­ums die­nen; das ist not­wen­dig für den ret­ten­den Glau­ben. Gäbe es kein Lehr­amt und wirk­te dies nicht auf je­weils spe­zi­fi­sche Weise auf den Ebe­nen der ört­li­chen Ge­mein­den und der Re­gio­nen mit meh­re­ren oder vie­len Ge­mein­den, würde die Kir­che an einem Man­gel lei­den.“ Zu­gleich haben Lu­the­ra­ner und Ka­tho­li­ken wie­der­holt ge­mein­sam fest­ge­stellt, „dass das ver­bind­li­che Leh­ren unter der Norm des Evan­ge­li­ums steht.“

Quel­le:

Bi­la­te­ra­le Ar­beits­grup­pe der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz u. der Ver­ei­nig­ten Evan­ge­lisch-Lu­the­ri­schen Kir­che Deutsch­lands, Gott und die Würde des Men­schen, Pa­der­born 2017, S. 68-71

© 2017 by Bo­ni­fa­ti­us GmbH, Pa­der­born und Evan­ge­li­sche Ver­lags­an­stalt GmbH, Leip­zig

 

Ar­beits­auf­trä­ge

  1. Lies den obi­gen Text und kenn­zeich­ne die ka­tho­li­schen und evan­ge­li­schen As­pek­te in un­ter­schied­li­chen Far­ben.

  2. Setze deine Ar­beit mit einer/em Tand­em­part­ner/in fort:

    1. Ver­gleicht eure Kenn­zeich­nun­gen und kor­ri­giert sie even­tu­ell.
    2. Stellt in einer Ta­bel­le die kon­fes­sio­nel­len Un­ter­schie­de und Ge­mein­sam­kei­ten der Textin­hal­te dar.

 

 

Ge­wis­sen und Lehr­amt: Her­un­ter­la­den [docx][24 KB]

Ge­wis­sen und Lehr­amt: Her­un­ter­la­den [pdf][414 KB]

 

Wei­ter zu Gutes Leben – für mich und die an­de­ren