5. Baustein: Existiert Gott?
Einführung in die Thematik
Im Zentrum dieser Doppelstunde steht die inhaltsbezogene Kompetenz: 3.3.4 (2) sich mit Argumenten für und gegen die Existenz Gottes auseinandersetzen. Wichtig ist hier, klar zu unterscheiden, dass es nicht um Argumente für und gegen den christlichen Glauben geht, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Für und Wider die Existenz Gottes. Hierzu sollen sich die SuS einem begründeten eigenen Urteil annähern. In den gängigen Lehrbüchern zu Klasse 9/10, älteren wie neuen, finden sich in der Regel Unterrichtsbausteine, mit denen man zu diesem Problemfeld exemplarisch arbeiten kann, z. B. zur Theodizee, zu Gottesbeweisen oder zu Glaube und Naturwissenschaft.1 Einige neue Lehrwerke beinhalten zudem die Auseinandersetzung mit der Religionskritik von Feuerbach und Marx. Doch könnte hier kritisch angefragt werden, ob diese Religionskritiker nicht nach wie vor ihren Platz in der Kursstufe haben, zumal der Bildungsplan 2016 erst für Klasse 11/12 Entsprechendes explizit vorsieht2.
Dagegen möchten wir hier vorschlagen, an der Auseinandersetzung mit dem Für und Wider die Existenz Gottes die Argumentations- und Dialogfähigkeit der SuS zu fördern, auch im Hinblick auf weitere kontroverse Themen in 9/10 (z. B. Umgang mit Sterben und Tod, Bibelverständnis, Fundamentalismus, Ethik, Sinn des Lebens). Hier erfolgt die Problemeröffnung über den Brief einer Neuntklässlerin, die darin ihre religiöse Entwicklung beschreibt, mittlerweile dem Glauben gegenüber kritisch bzw. ablehnend eingestellt ist und in der Argumentation für viele SuS exemplarisch stehen kann. Der Brief lädt dazu ein, sich auf den Beginn einer Argumentation für und wider die Existenz Gottes einzulassen und ggf. auch die eigene religiöse Entwicklung zu reflektieren. Auch spricht für diesen Brief als Einstiegsmedium, dass er nicht von Fehlformen des christlichen Glaubens auf die Nichtexistenz Gottes schließt, sondern Gottes Existenz an sich bezweifelt. An dieser Stelle wird im Unterricht noch einmal deutlich auf diesen Unterschied hinzuweisen sein. Die Diskussion um die Existenz Gottes erfährt dann eine Erweiterung, indem sich die SuS mit weiteren, von der Lehrkraft eingespielten (oder selbst gefundenen) Argumenten auseinandersetzen. Hierfür eignet sich die Methode der „Strukturierten Kontroverse“. Anders als in der freien Diskussion können sich die SuS damit gezielt für eine Position vorbereiten. Da die Argumente zunächst in Kleingruppen statt im Plenum ausgetauscht werden, kommt allen Lernenden eine aktive Rolle zu. Zudem sieht die Methode einen Perspektivenwechsel vor und erleichtert dadurch eine mögliche Konsensbildung.
Ergebnis einer vertieften Auseinandersetzung mit Argumenten für und wider die Existenz Gottes könnte sein, dass den SuS bewusst wird, dass sich die Frage nach dem unverfügbaren Gott nicht mit menschlichen Argumentationsfiguren beantworten lässt. Und trotzdem ist diese Auseinandersetzung lohnend: Sie kann uns „anregen und dazu bringen, über ‚Gott und die Welt‘, über Ursprung, Sinn und Ziel unseres Lebens nachzudenken. Wer sich auf diese Gedankengänge einlässt (…), hat schon begonnen, Philosophie und Theologie zu betreiben. Er hat die Scheuklappen eines bewusstlosen Materialismus abgelegt.“3
Unterrichtsverlauf
Problemeröffnung
Anknüpfung an den Advance Organizer: „Wir hatten uns Gedanken gemacht, warum es Religion gibt, wo wir von außen berührt werden und Religion in unser Leben einbricht. Dabei schien auch immer wieder die Frage durch, ob es eine dahinterstehende Macht – wir Christen nennen sie Gott – überhaupt gibt. Wir wollen darum erheben, wie ihr als Klasse zu dieser Frage steht. Gibt es Gott?“
Die SuS zeigen ihre Meinung (ja, weiß nicht, nein) jeweils durch Handheben mit geschlossenen Augen an. Das numerische Ergebnis wird unkommentiert an der Tafel festgehalten.
Überleitung
„Die Meinung jedes Einzelnen hätte evtl. vor fünf Jahren noch anders ausgesehen. Wir können vermuten, dass unsere Erfahrung uns geprägt hat. Ein junges Mädchen, Anne, hat für ein universitäres Forschungsprojekt einen Brief verfasst, in dem sie sich mit ihrer Glaubensentwicklung und den damit verbundenen Erfahrungen auseinandersetzt.“
Erarbeitung I
- Die SuS bearbeiten den Brief (M 5.01) und halten ihre Anmerkungen am Rand mit vorgegebenen Zeichen („???“ / „!!!“) fest; sie arbeiten zudem Argumente für und gegen den Gottesglauben heraus.
- Mögliche Methode zur Ergebnissicherung Speed-Dating/Karussellgespräch4 in drei Runden: Jeweils eine Runde für „???“ und „!!!“ sowie die unterstrichenen Argumente.
- Plenum: Sammlung der Argumente an der Tafel in Pro und Contra getrennt.
Mögliche Ergebnissicherung:
Pro: Oma erzählte schöne Geschichten von Gott; Gott beschützt mich; die Erinnerung an den Glauben an Gott als Kind erzeugt ein schönes Gefühl.
Contra: Erfahrungen in der Grundschule (Unsicherheit der Lehrerin bzgl. der Wahrheit der Bibel); mehr Wissen über die naturwissenschaftliche Erklärung der Weltentstehung führt zum Zweifel an Existenz Gottes; der Glaube an Gott wird nicht mehr gebraucht.
Optionale weiterführende Frage: Ist diese Erfahrung typisch für Mädchen, oder könnten diese Gedanken auch von einem Jungen stammen?
Optionale Vertiefung: Die SuS reflektieren ihre eigene religiöse Entwicklung.5
Erarbeitung II
- L. bringt mit M 5.02 weitere Aussagen von Jugendlichen zur Frage nach der Existenz Gottes ein. Die SuS erhalten zunächst Gelegenheit, sich den darin enthaltenen Aussagen/ Argumenten zur Frage „Existiert Gott?“ intuitiv anzunähern. Mögliche Gesprächsimpulse: Welche Fragen haben die SuS noch zu einzelnen Aussagen/ Argumenten? Welche Aussagen/ Argumente können die SuS nachvollziehen, welche eher nicht? (Ggf. zu jedem Argument Punkte auf einer Skala von 1 bis 4, von kaum nachvollziehbar bis sehr gut nachvollziehbar vergeben lassen.) M 5.02 lässt auch Raum für eigene Überlegungen.
- Die SuS bearbeiten die Aufgabe in M 5.02.
Didaktischer Hinweis:
Die Zuordnungsaufgabe in M 5.02 soll den SuS die Erkenntnis ermöglichen, dass nicht jedes Argument gegen den Gottesglauben die Existenz Gottes an sich bezweifelt. Ggf. als Ergebnis festhalten: „Achtung: Unterscheide Argumente
für oder wider die Existenz Gottes von Aussagen, die Fehlformen des Glaubens, religiöse Institutionen (z. B. Kirche) und deren Vertreter kritisieren.“
Im Anschluss UG: Wo würden die SuS die Haltung Annes (M 5.01) einordnen?
Überleitung
„Auch wenn die Kritik an Fehlformen des Glaubens, an religiösen Institutionen wie der Kirche sowie an deren Vertretern durchaus berechtigt ist, sie bezieht sich nicht direkt auf die Frage, ob Gott existiert oder nicht. Wir wollen uns darum in der Folge nur mit denjenigen Argumenten weiter auseinandersetzen, die versuchen, Gottes Existenz zu belegen oder zu widerlegen.“
Erarbeitung III
Vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten aus M 5.02, die sich ausschließlich auf die Frage nach der Existenz Gottes beziehen: Die SuS prüfen die Argumente mit der Methode der Strukturierten Kontroverse.
Didaktischer Hinweis:
Die Methode wird zuvor von der Lehrkraft eingeführt (siehe zum Ablauf M 5.03)6 und dafür notwendige Regeln gemeinsam vereinbart (z. B. gegenseitige Achtung und Wertschätzung, einander ausreden lassen und aufeinander Bezug
nehmen, die Positionen
aller an der Diskussion Beteiligten würdigen, Fähigkeit zur Selbstkritik, Geduld, miteinander und nicht gegeneinander denken, die Arbeit in der Gruppe auf faire Art und Weise koordinieren). Zudem ist es hilfreich, im Vorfeld eine Art
Argumentationstraining durchzuführen und/oder den SuS für ihre Gruppenarbeit Argumentationshilfen an die Hand zu geben.7 Exemplarisch sind mögliche sinngemäße Schülerlösungen zu einem Pro- sowie zu einem Contra-Argument in M 5.02*
ausgeführt.
Überleitung
„Wir haben uns mit verschiedenen Argumenten für und wider die Existenz Gottes auseinandergesetzt. Einige lassen sich mit unseren Erfahrungen und unserem Wissen gut, andere weniger gut nachvollziehen. Doch welche Quelle haben wir dazu noch nicht befragt? Welche Quelle ist gerade für (uns) evangelische Christen einzig leitend, wenn es darum geht, von Gott zu sprechen? (Mögliche Schülerantwort abwarten.) Befragen wir nun die Bibel: Was sagt sie über den Versuch, Aussagen über Gott zu machen? Und warum meint der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer in diesem Zusammenhang die These aufstellen zu können: ‘Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht‘?“
Vertiefung
Die SuS bearbeiten M 5.04 und setzen dabei Zitate aus der Bibel zu dem Bonhoeffer-Zitat in Beziehung: Einen Gott, der sich in menschliche Denkkategorien, in ein von Menschen gemachtes Gottesbild zwängen lässt, gibt es nicht, denn er wäre nicht mehr Gott! Im Anschluss zeigen die SuS die Konsequenzen dieser Erkenntnis für die Versuche auf, der Frage nach der Existenz Gottes mit Argumenten beizukommen. Mögliche Methode: Think – Pair – Share.
Optionale Vertiefung: Die SuS bearbeiten M 5.05, einen Text von Eberhard Jüngel, der Gott als Geheimnis exponiert, weil „Gott vom Denken nicht eigentlich erkannt werden kann“.
Didaktischer Hinweis: Nach der Erarbeitungsphase könnte sinngemäß folgende Ergebnissicherung stehen: Gott entzieht sich unseren Versuchen, seine Existenz mit Argumenten zu belegen oder zu widerlegen. Solche Versuche bleiben stets immanent, auf das menschliche Denken begrenzt. Gott offenbart sich uns, wie er will und nicht wie wir es wollen. Diese Unverfügbarkeit Gottes wird in der Bibel immer wieder zum Ausdruck gebracht: Wir sollen uns kein (menschliches) Bild von ihm machen (Ex 20, 4-6; vgl. auch Jes 40, 18-20; Hos 11, 9b); unser Denken und Sprechen von Gott bleibt immer nur vorläufig (vgl. 1. Kor 13,12). Gott offenbart sich als Geheimnis, vertraut sich uns als solches an. So lässt er sich allenfalls transzendent erfahren, etwa durch ein Berührt-Werden von außen, welches wir im Glauben als Gotteserfahrung wahrnehmen können.
Metakognition
Die SuS notieren ihre individuellen Antworten (und ggf. Fragen) in das dafür vorgesehene Feld („Religion als Antwort auf die vorausgesetzte Existenz Gottes“) auf dem Advance Organizer (M 1.02).
Evaluation
Um die SuS zu einer Gesamtreflexion über alle Bausteine (1-5) der Unterrichtssequenz anzuregen und den Lernstand zu erheben, verfassen sie eine Stellungnahme zu der Ausgangsfrage „Ist Religion (un-)sinnig?“. Ggf. können sie dafür den Advance Organizer und die Hefteinträge zur Unterstützung verwenden.
Alternative Aufgabenstellung: Setzt euch mit der folgenden Aussage aus Annes Brief auseinander, indem ihr euch unter Verwendung eures Fachwissens aus dem vorangegangenen Unterricht dazu begründet positioniert: „Religion ist für viele meiner Freunde was Komisches. Ich habe auch gemerkt, dass ich ohne den Glauben leben kann.“
1 Vgl. z.B. Das Kursbuch Religion 3; hg. v. H. Dierk u.a., Stuttgart 2017, S. 44-47.
2 Vgl. im Bildungsplan 2016 für die Klassen 11/12 (zwei- und vierstündig): „Die Schülerinnen und Schüler können zu einer religionskritischen Konzeption aus Philosophie, Psychologie oder Naturwissenschaft (zum Beispiel D. Diderot, J. O. de La Mettrie, L. Feuerbach, K. Marx, F. Nietzsche, S. Freud, R. Dawkins, K. Hendrikse, M. Onfray) theologisch begründet Stellung nehmen.“ Eine nicht nur exemplarisch empfohlene (vgl. im Bildungsplan 2016 für Klasse 9/10 z.B. den Bereich 3.3.4 oder für Klasse 11/12 die ibK 3.4.3 [1]), sondern explizit geforderte Auseinandersetzung mit der Theodizee findet sich zudem nur im vierstündigen Kurs: „Die Schülerinnen und Schüler können Erfahrungen von Leid und Ungerechtigkeit als Herausforderung für den Glauben an Gott erörtern (zum Beispiel Hiob, G. W. Leibniz, Voltaire, G. Büchner, A. Camus, H. Jonas)“.
3 Zit. n. P. Kliemann, Glauben ist menschlich, 17. Aufl., Stuttgart 2016, S. 26.
4 Zur Methode vgl. https://www.uni-due.de/imperia/md/images/zfh/mentoring-tutorien/speed_dating.pdf
5 Vgl. hierzu methodisch z. B. P. Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, München und Stuttgart 2012, S. 64ff. und 128ff.
6 Vgl. hierzu auch http://www.religionsunterricht-pfalz.de/fileadmin/user_upload/ru-pfalz/Kompetenzorientierte_Methoden_22.09.2014/Strukturierte_Kontroverse_Praesentation.pdf
7 Zum Argumentieren findet man Arbeitshilfen im Fach Deutsch. Vgl. auch https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-ev/gym/bp2016/fb6/2_aufbau/2_eth2/ S. 12ff.
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