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Per­spek­tiv­ver­lust und Gro­tes­ke

Al­fred Lich­ten­stein

Die Däm­me­rung

Ein di­cker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum ge­fan­gen.
Der Him­mel sieht ver­bum­melt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schmin­ke aus­ge­gan­gen.

Auf lange Krü­cken schief her­ab­ge­bückt
Und schwat­zend krie­chen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blon­der Dich­ter wird viel­leicht ver­rückt.
Ein Pferd­chen stol­pert über eine Dame.

An einem Fens­ter klebt ein fet­ter Mann.
Ein Jüng­ling will ein wei­ches Weib be­su­chen.
Ein grau­er Clown zieht sich die Stie­fel an.
Ein Kin­der­wa­gen schreit und Hunde flu­chen.

(1913)

Die_Dämmerung_(Lichtenstein)

Ab­druck im Sim­pli­cis­si­mus (po­li­tisch-sa­ti­ri­sches Wo­chen­ma­ga­zin, ge­grün­det 1896 in Mün­chen) Bild­quel­le: http://​de.​wi­ki­pe­dia.​org

Tipp

Krea­ti­ve Schreib­for­men er­mög­li­chen den spie­le­ri­schen und ex­pe­ri­men­tel­len Um­gang mit Spra­che. Die Phan­ta­sie des Schrei­ben­den kann sich frei as­so­zia­tiv oder unter be­stimm­ten Vor­ga­ben ent­wi­ckeln. Im letz­ten Fall kommt es auf die ge­naue Er­fas­sung der Vor­la­ge an, bevor es an die krea­ti­ve Um­set­zung geht. Ein­füh­lung und Re­fle­xi­on sind glei­cher­ma­ßen wich­tig.

 

1. Schrei­ben Sie das Ge­dicht um aus der Sicht der „na­tür­li­chen“ Nor­mal­per­spek­ti­ve.

Ein di­cker Junge spielt an einem Teich.
Der Wind streicht durch einen Baum
Der Him­mel sieht blau aus und weich
Als wäre er ein Traum.
...

 

2. Wel­chen Ef­fekt er­zielt Lich­ten­stein durch die Ver­schie­bung und Ver­tu­schung von Wirk­lich­keits­ebe­nen?

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info Lich­ten­stein und die Gro­tes­ke

In sei­ner Gro­tes­ke „Café Klöß­chen“ sagt Lich­ten­steins Held Kuno Kohn Fol­gen­des: „Das Ge­fühl der voll­kom­me­nen Hilf­lo­sig­keit, das dich über­fal­len hat, habe ich häu­fig. Der ein­zi­ge Trost ist: trau­rig sein. Wenn die Trau­rig­keit in Ver­zweif­lung aus­ar­tet, soll man gro­tesk wer­den. Man soll spa­ßes­hal­ber wei­ter­le­ben. Soll ver­su­chen, in der Er­kennt­nis, dass das Da­sein aus lau­ter bru­ta­len hunds­ge­mei­nen Scher­zen be­steht, Er­he­bung zu fin­den.“

Zi­tiert nach: Die deut­sche Li­te­ra­tur in Text und Dar­stel­lung: Ex­pres­sio­nis­mus und Da­da­is­mus, hrsg. von Otto F. Best, Stutt­gart (Re­clam 9653) 1974, S. 78.

 

3. Wel­che Funk­ti­on be­kommt die Natur vor dem Hin­ter­grund sei­nes Ver­ständ­nis­ses von Gro­tes­ke?

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Wie Sie einen er­wei­ter­ten Blick be­kom­men:

Die Ver­or­tung von Tex­ten in grö­ße­ren Sinn­zu­sam­men­hän­gen oder –kon­tex­ten wird in der mo­der­nen Li­te­ra­tur immer we­sent­li­cher. So ist wich­tig, die in­halt­li­chen und for­ma­len Ein­flüs­se der bil­den­den Kunst auf die Li­te­ra­tur zu be­ach­ten, weil so eine wech­sel­sei­ti­ge Er­hel­lung des Sinn­ge­halts mög­lich ist. Auch pro­gram­ma­ti­sche Vor­stel­lun­gen der Au­to­ren in ihrem Dich­tungs­ver­ständ­nis sind von gro­ßer Be­deu­tung, da sie ein bes­se­res Er­fas­sen der oft sehr kom­ple­xen Texte er­mög­li­chen. Je of­fe­ner die Schreib­wei­se eines Ge­dichts ist, desto mehr krea­ti­ve Um­ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten bie­ten sich für den Leser, die eben­falls den Zu­gang zu den Tex­ten er­leich­tern.

 

wei­ter: Neue Sach­lich­keit – Exil – Nach­kriegs­ly­rik