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Lerntheoretische Grundlagen

Ungewissheitsorientierung - Gewissheitsorientierung

Unsere Welt wird immer unübersichtlicher, das Leben selbst immer weniger kalkulierbar. Eigentlich müssten wir froh darüber sein, denn traditionelle Motivationstheorien besagen, dass sich alle Menschen in Situationen, die sie mit Ungewissheit bzw ungelösten Problemen konfrontieren, intensiv mit dem Problem bzw. der Problemlösung auseinandersetzen würden. Folgerichtig müssten alle unsere Schülerinnen und Schüler in Unterrichtssituationen,
die im Sinne von Ungewißheit neue Anforderungen und persönliche Herausforderungen an sie stellen, darauf positiv reagieren und sich gerne auf neue, unbekannte Wege begeben. Handlungsorientierung als wesentliches Element eines modernen Unterrichts mit schülerzentrierten und kooperativen Lernformen müssten alle Lernenden demgemäß begrüßen und den traditionell noch vorherrschenden streng vom Lehrenden geführten Frontalunterricht eher ablehnen.

Aus der Alltagserfahrung mit Lehren und Lernen in der Schule wissen wir, dass dies so nicht stimmt. Viele Schülerinnen und Schüler lehnen beispielsweise Kooperation mit anderen ab und lernen viel lieber alleine. Und in vielen Lerngruppen scheint der vom Lehrenden Schritt für Schritt angeleitete Weg zum Erkenntnisgewinn beliebter, als selbst Lösungen zu suchen und sich mit anderen Lernenden dabei auseinanderzusetzen.
Neuere Forschungen bieten für dieses Verhalten, das vor allem in eher offen gestalteten Lernsituationen zutage tritt, interessante Erklärungen an.

Die Grundannahmen dieser Forschung beruhen auf dem Konstrukt der„Gewissheitsorientierung“ bzw. „Ungewissheitsorientierung“ als Orientierungsgrundmuster von Personen in bestimmten Lebenssituationen. Grob vereinfacht, werden gewissheitsorientierte Personen durch ungewisse Situationen eher nicht angesprochen und fühlen sich unwohl, während die Ungewissheitsorientierten sich zu intensiver Auseinandersetzung in ungewissen Situationen angeregt fühlen. Es scheint so zu sein, dass in heutigen Schulklassen die Zahl der gewissheitsorientierten Lerner die der Ungewissheitsorientierten bei weitem übersteigt.
( Vgl. Huber; Günter L.: Lehren und Lernen in Zeiten der Ungewissheit /
Günter L. Huber und Jürgen H.W.Roth.- Schwangau: Huber,1999)

 

Was bedeutet die Unterscheidung in Ungewissheitsorientierung und Gewissheitsorientierung für Lehr- und Lernbedingungen im Unterricht?

Beispiele für Lehr- und Lernbedingungen für ungewissheitsorientierte Lernende:

  • Hohes Informationsangebot
  • Unterrichtsgestaltung mit kooperativen Lernformen
  • Stärkung der Eigenverantwortlichkeit
  • Problemorientierte Aufgabenstellungen mit vielen Lösungsalternativen
  • Mitwirkung bei der Bewertung von Leistungen, z.B. durch Selbstbewertung und Reflexion der Arbeitsprozesse
  • Betonung offener Unterrichtsformen im Gesamtgeschehen des Unterrichts

Beispiele für Lehr- und Lernbedingungen für gewissheitsorientierte Lernende:

  • Begrenzung des Informationsangebots
  • Begrenzung der Alternativen bei Problemlösungsprozessen
  • Klar strukturierte Unterrichtsformen mit hoher Transparenz
  • Klare Arbeitsaufträge mit konkreten Vorschlägen zur Vorgehensweise
  • Schrittweises Vorgehen bei Einführung von Neuem und viele Übungsmöglichkeiten
  • Wiederholung von Bekanntem und Einüben von Routinen
  • Phasen der Einzelarbeit und angeleitete Phasen der Kooperation

Es scheint beinahe unmöglich, beide Lehr- und Lernsituationen gleichzeitig in einer Lerngruppe zu erfüllen.

Was bedeuten die unterschiedlichen Lehr-und Lernbedingungen für die Unterrichtsgestaltung mit SOL?
Im Unterricht mit SOL wird jede neue Kompetenz, die von den Lernenden erworben werden soll, schrittweise eingeübt. Kompetenztreppe Dies ermöglicht den gewissheitsorientierten Schülerinnen und Schülern, ihre Ängste und ihre Unsicherheiten langsam abzubauen, während gleichzeitig die Ungewissheitsorientierten nicht vernachlässigt werden dürfen.

Zusätzliche Angebote für ungewissheitsorientierte Schülerinnen und Schüler, z. B. in Form von freiwilligen Zusatzaufgaben oder Arbeitsaufträge mit einem höherem Grad an Selbständigkeit und Lösungsvielfalt, stellen eine größere Komplexität im Lernarrangement her.

Der Aufbau der Unterrichtsarrangements nach dem Sandwichprinzip garantiert, dass sowohl individuelle als auch kooperative Lernphasen berücksichtigt werden. Durch den Wechsel der Lernphasen nach dem Sandwichprinzip können mit SOL unterschiedliche Lernsituationen differenziert gestaltet werden, die den verschiedenen Lernenden gerecht werden und sie gezielt fördern können.

Konstruktivismus
Traditionelle Ansätze, die darauf beruhen, dass Wissen sozusagen vom Lehrerkopf direkt in den Schülerkopf transferiert werden kann, gehen vom eher passiv Lernenden aus, da er die Lerninhalte sozusagen nur in der vorgegebenen Form in sein Gehirn übernehmen muss. Ein weit verbreiteter Irrtum besteht beispielsweise in der Annahme, dass es nur darauf ankommt, Wissen in der „richtigen“ Struktur den Lernenden anzubieten – dann kann es sozusagen ohne Anstrengung einfach in das Schülergehirn übertragen werden.

Didaktik, die auf den Grundsätzen des Konstruktivismus aufbaut, stellt den aktiv Lernenden in den Mittelpunkt. Die zentrale Annahme des Konstruktivismus ist die, dass Menschen ihre Realität durch aktive Verarbeitungsprozesse ihrer Wahrnehmung selbst konstruieren müssen. So setzt auch jeder Lernprozess eine aktive Konstruktion von Wissen voraus, Wissen muss sozusagen in Eigenregie selbst erzeugt und kann keinesfalls nur passiv absorbiert werden. Einfacher Wissenstransfer vom Lehrenden zum Lernenden ist damit unmöglich.

Der Lernende ist also prinzipiell subjektiv frei in dem, was und wie er es konstruiert. Trotzdem findet Lernen immer in einem kulturellen Umfeld statt, das zugleich die Ansichten und Perspektiven des Einzelnen formt und bestimmt, was er letztendlich als richtig oder falsch erkennt. Lernen ist damit unausweichlich an einen sozialen Kontext gebunden.

Dies bedeutet beispielsweise für den Unterricht, dass

  • handlungsorientierte Unterrichtsmethoden bevorzugt eingeplant werden,
  • Phasen der Instruktion durchaus ihre Berechtigung haben, aber mit entsprechenden schülerzentrierten Unterrichtsformen kombiniert werden,
  • die von den Lernenden selbst erarbeiteten Wissensinhalte in dafür geeigneten Unterrichtsphasen gründlich reflektiert und evaluiert werden,
  • die Rolle der Lehrenden sich grundlegend ändert: Vom Wissensvermittler zum Lernberater und Lernbegleiter, der eine vertrauensvolle Lernumgebung schafft,
  • der soziale Kontext einen wesentlichen Einfluss auf die Lernprozesse ausübt.

SOL baut auf diesen Überlegungen auf.