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Kino im Hirnscanner

Einen anderen Gedanken verfolgten Uri Hasson und Rafael Malach mit ihren Kollegen. Sie zeigten fünf Versuchspersonen im Hirnscanner einfach eine halbe Stunde lang einen Ausschnitt des Westernklassikers „Zwei glorreiche Halunken" mit Clint Eastwood in der Hauptrolle. Mit den gemessenen Hirndaten wollten sie anschließend die zwei Fragen untersuchen, ob man die Signale einer Versuchsperson benutzen kann, die Hirnaktivität der anderen vorherzusagen, und ob man in einer umgekehrten Korrelation die Messdaten dafür verwenden kann, bestimmte Filmszenen zu identifizieren, die gemeinsame Hirnaktivierungen hervorrufen.

Zur Beantwortung der ersten Frage verglichen sie die zehn möglichen Kombinationen der aufgenommenen Hirnaktivierung zwischen den Versuchspersonen, nachdem ihre Aufnahmen in den standardisierten Talairach-Raum transformiert worden waren.

Im Mittel fanden sie dabei eine Korrelation zwischen den Personen von knapp 30% (23). Interessanterweise beschränkten sich diese Korrelationen jedoch nicht nur auf die visuellen und auditorischen Kortizes, sondern erstreckten sich auch auf höhere gesichts-, platz- oder objektbezogene Areale.

Um zu überprüfen, ob diese Übereinstimmung nicht nur auf Störsignale des Scanners zurückzuführen ist, stellten die Forscher einen ähnlichen Vergleich für eine Ruhebedingung an, in denen die Versuchspersonen nur einen schwarzen Bildschirm gesehen hatten. Hier korrelierten jedoch weniger als 3% der Signale miteinander.

Zur Beantwortung der zweiten Frage mittelten sie die Zeitverläufe der Messdaten der fünf Probanden und wählten die maximalen Amplituden für ausgewählte Hirnareale aus. Für die schon erwähnten FFA und PPA ergab sich dabei, dass alle der 16 Maxima in der FFA bei Szenen auftraten, die hauptsächlich die Gesichter der Schauspieler in Großaufnahme zeigten und 12 der 16 Maxima in der PPA mit der Darstellung von Plätzen im Zusammenhang standen.

Bei 15 der 16 Aktivierungsmaxima einer anderen Region, dem postzentralen Sulkus, konnten sie eine Spezifizierung für schwierige Fingerbewegungen nachweisen, etwa wenn einer der Ganoven seinen Revolver lud. Dies macht insofern Sinn, als diese Region mit der Körperwahrnehmung assoziiert ist. So gelang es Hasson und Malach durch ihre Rückwärtskorrelation, Filmszenen zusammenstellen, die für eine starke Aktivierung in ausgewählten Hirnarealen sorgten.

Diese Studie hat zwar nur am Rande mit Gedankenlesen zu tun, zeigt aber zumindest, dass die physiologischen Grundbedingungen für die Interpretation gemessener Hirnaktivität günstig sind.

So ist es auch kaum überraschend, dass Hassons und Malachs Untersuchung einen „Brain Interpretation"-Wettbewerb inspiriert hat, der letztes Jahr auf der „Human Brain Mapping"-Konferenz in Florenz zum ersten Mal ausgetragen wurde (24,25). Statt eines Westerns wählten die US-amerikanischen Forscher von der Universität Pittsburgh, die den Wettbewerb organisierten, Szenen aus der Heimwerker-Kömodie „Hör mal, wer da hämmert".

Drei Versuchspersonen wurden jeweils drei 25-minütige Sequenzen dieser Fernsehserie gezeigt, während ein MRT-Scanner ihre Hirnaktivierung aufzeichnete. Anschließend mussten die Probanden entlang zwölf ausgewählter Kategorien noch Auskunft über den Inhalt der Filmszenen erteilen und zum Beispiel bestimmen, ob der Ausschnitt mit Musik untermalt war oder in der Szene gesprochen wurde.

Die Daten der ersten beiden MRT-Durchgänge wurden dann zusammen mit den Bewertungen der Versuchspersonen den Teilnehmern des Wettbewerbs zugänglich gemacht. Der dritte Datensatz wurde jedoch ohne diese Zusatzinformation verteilt und es galt, allein anhand der Hirnaktivierung zu rekonstruieren, was die Versuchspersonen während dieses Durchgangs gesehen und erlebt hatten.

Das Preisgeld in Höhe von 10000 Dollar konnte eine Gruppe italienischer Informatiker gewinnen. Emanuele Olivetti und seine Kollegen von der Universität Trento wussten zwar nichts über das Gehirn, als sie mit ihrer Arbeit für den Wettbewerb begannen, sind dafür aber Experten im Umgang mit großen Datenmengen und kennen sich mit Algorithmen des Maschinenlernens und der künstlichen Intelligenz bestens aus. Ihr Programm, das sie auf einem Supercomputer die vielen Millionen gemessenen Datenpunkte (Voxel) der Versuchspersonen aus Pittsburgh analysieren ließen, konnte schließlich für einige Kategorien mit bis zu 84%iger Trefferquote die Angaben der Probanden für die dritte Videosequenz bestimmen. Besonders gut klappte es für Musik und Sprache, weniger Erfolg hatten sie jedoch mit der Bestimmung der Gefühle, in welche die Szenen die Betrachter versetzt hatten, sowie für den Grad der Aufmerksamkeit, den sie ihnen widmeten. Gänzlich scheiterte ihre Rekonstruktion jedoch für den Punkt, ob in der Szene gegessen wurde.

Auch den zweiten oder dritten Preis gewannen eher Fachfremde: Physiker, Mathematiker, Informatiker, aber keine Hirnforscher. Diese musste man unter den ersten zehn Plätzen der insgesamt 44 teilnehmenden Teams mit Mühe suchen.

Vielleicht war der Unterschied zwischen den normalerweise in Experimenten verwendeten einfachen visuellen oder auditorischen Stimuli zu den komplexen Filmszenen einfach zu groß. Tatsächlich beraubten die Hirnforscher mit zusätzlichen Annahmen, die auf jahrzehntelanger neurowissenschaftlicher Arbeit gründen, ihre statistischen Modelle zahlreicher Freiheitsgrade. Mit den Schätzungen der Teams, die einfach nur die mächtigsten statistischen Verfahren auf die Daten losließen, konnten sie nicht mithalten. Dabei war es das ausdrücklich formulierte Ziel der Organisatoren des Wettbewerbs, das Verständnis darüber zu vergrößern, wie das Gehirn komplexe Informationen verarbeitet.

Tatsächlich erntete man von den Gewinnerteams aber nur betretenes Schweigen auf die Frage, was ihre Lösungsansätze über das Gehirn verraten. Vielleicht haben die Organisatoren deshalb auch für die zweite Runde des Wettbewerbs (26), die am 23. März startete, einen besonderen „Neuroscience Price" vorgesehen, um diesmal wenigstens ei­ne Gruppe auszeichnen zu können, welche die neurowissenschaftliche Forschung voranbringt. Die Preisverleihung wird übrigens am 14. Juni auf der diesjährigen „Human Brain Mapping"-Konferenz in Chicago stattfinden.

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