Zur Haupt­na­vi­ga­ti­on sprin­gen [Alt]+[0] Zum Sei­ten­in­halt sprin­gen [Alt]+[1]

Ver­ra­te mir deine Ab­sich­ten

Mit einem an­de­ren Ver­suchs­auf­bau mach­ten kürz­lich John-Dylan Hay­nes und seine Kol­le­gen auf sich auf­merk­sam, die auch schon zuvor ei­ni­ge Stu­di­en mit den Me­tho­den der Mus­ter­er­ken­nung durch­ge­führt hat­ten (33-36). Dies­mal soll­ten sich ihre Ver­suchs­per­so­nen über­le­gen, ob sie lie­ber eine Ad­di­ti­on oder eine Sub­trak­ti­on durch­füh­ren möch­ten und ihre Ab­sicht (In­ten­ti­on) für 3 bis 12 Se­kun­den lang auf­recht­er­hal­ten. An­schlie­ßend be­ka­men sie auf einem Bild­schirm zwei Zah­len prä­sen­tiert, mit denen sie die aus­ge­such­te ma­the­ma­ti­sche Ope­ra­ti­on durch­füh­ren soll­ten. Auf dem letz­ten Bild­schirm waren vier Zah­len ab­ge­bil­det, von denen zwei das je­wei­li­ge Er­geb­nis der Ad­di­ti­on oder Sub­trak­ti­on dar­stell­ten und zwei zu­fäl­lig dazu ge­mischt wur­den. Jetzt soll­ten die Pro­ban­den wäh­len, wel­ches das Er­geb­nis ihrer Rech­nung war, so­dass die For­scher eine In­for­ma­ti­on dar­über be­ka­men, was die vor­he­ri­ge In­ten­ti­on ge­we­sen war. Aus der mul­ti­va­ria­ten Ana­ly­se der Daten wäh­rend der Phase, als die Ver­suchs­per­so­nen ihre Ab­sicht auf­recht er­hal­ten soll­ten, konn­ten die For­scher mit 71 %iger Ge­nau­ig­keit aus Ak­ti­vie­run­gen im an­te­rio­ren me­dia­len prä­fron­ta­len Kor­tex (MPFC) be­stim­men, ob sie sich für eine Ad­di­ti­on oder Sub­trak­ti­on ent­schie­den hat­ten (37). In­ter­es­san­ter­wei­se hal­fen die Daten die­ser Re­gi­on wäh­rend der Durch­füh­rung der Re­chen­auf­ga­be gar nicht bei der Be­stim­mung der Ab­sicht, dafür aber eine wei­ter pos­te­ri­or ge­le­ge­ne Zone des MPFC. Mit etwas ge­rin­ge­rer Ge­nau­ig­keit fan­den die For­scher auch noch Mus­ter im lin­ken la­te­ra­len fron­to­po­la­ren Kor­tex, dem lin­ken in­fe­rio­ren fron­ta­len Sul­kus, sowie dem rech­ten mitt­le­ren fron­ta­len Gyrus und dem lin­ken fron­ta­len Operku­lum. In allen die­sen Be­rei­chen lag die Ge­nau­ig­keit der Vor­her­sa­ge deut­lich über 60%. Der Frage, wie eine Ab­sicht im Ge­hirn ver­ar­bei­tet wird, füh­len sich die For­scher mit ihrem Er­geb­nis deut­lich näher ge­kom­men als vor­he­ri­ge Stu­di­en, die mit her­kömm­li­chen Me­tho­den le­dig­lich zei­gen konn­ten, dass im prä­fron­ta­len Kor­tex stär­ke­re neu­ro­na­le Ak­ti­vie­rung vor­lag. Ob diese mit der ge­nau­en In­ten­ti­on oder nur mit einer un­spe­zi­fi­schen Vor­be­rei­tung der Auf­ga­be in Ver­bin­dung stehe, könne man damit nicht be­ur­tei­len. In­ter­es­sant ist in die­sem Zu­sam­men­hang auch, dass Hay­nes und seine Kol­le­gen in ihrer Ziel­re­gi­on im MPFC keine all­ge­mein stär­ke­re BOLD-Ak­ti­vie­rung mes­sen konn­ten. De­noch wer­den die bei­den In­ten­tio­nen dort nicht in Form eines all­ge­mei­nen An­stiegs neu­ro­na­ler Ak­ti­vi­tät an einer Stel­le, son­dern eines un­ter­schied­li­chen räum­li­chen Mus­ters in der Ak­ti­vi­tät ver­ar­bei­tet, wie es eben nur die mul­ti­va­ria­ten Ana­ly­se­ver­fah­ren er­ken­nen kön­nen.

Dabei stellt sich die Frage, wie nah diese Funde an der wirk­li­chen In­ten­ti­on sind. Den guten räum­li­chen und zeit­li­chen Ei­gen­schaf­ten der fMRT zum Trotz re­prä­sen­tiert ein ein­zi­ges ge­mes­se­nes Voxel in Hay­nes' Stu­die ca. 250 000 Neu­ro­nen und ihre Dy­na­mik über einen Zeit­raum über 2700 Mil­li­se­kun­den (Time of Re­pe­ti­ti­on). An­ge­sichts die­ser - in neu­ro­na­len Di­men­sio­nen ge­spro­chen - gro­ben Auf­lö­sung sind die Er­geb­nis­se mit­hil­fe der Mus­ter­er­ken­nung je­doch er­staun­lich und zei­gen, dass die her­kömm­li­chen uni­va­ria­ten Ver­fah­ren die Aus­sa­ge­kraft des BOLD-Si­gnals bei wei­tem nicht aus­schöp­fen. Auch ist es schwer, die ge­naue Be­deu­tung eines sol­chen Mus­ters zu ver­ste­hen. Zwar kön­nen wir es durch­aus vi­su­ell dar­stel­len, doch sehen wir ihm mit dem heu­ti­gen Wis­sen nicht an, ob es nun eine Ad­di­ti­on oder eine Sub­trak­ti­on re­prä­sen­tiert. Tat­säch­lich könn­te man uns ir­gend­ein Mus­ter zei­gen und wir könn­ten die­ses nicht von denen un­ter­schei­den, die aus den wirk­li­chen Mess­da­ten stam­men. Den­noch stellt die Ar­beit von Hay­nes und an­de­ren Hirn­for­schern, die mit die­sen Me­tho­den ar­bei­ten (38, 39), einen wich­ti­gen Schritt zum Ver­ständ­nis von In­ten­tio­nen, Ab­sich­ten und Mei­nun­gen dar, die für unser so­zia­les und ge­dank­li­ches All­tags­le­ben eine ent­schei­den­de Rolle spie­len.

Wir kön­nen auch davon aus­ge­hen, dass diese Me­tho­den eine Reihe prak­ti­scher An­wen­dun­gen nach sich zie­hen wer­den. Dabei muss man nicht nur an die Chan­ce für Pa­ti­en­ten den­ken, die bei­spiels­wei­se an einer amyo­tro­phen La­te­ral­skle­ro­se er­krankt und des­halb be­we­gungs­los in ihrem Kör­per ge­fan­gen sind. Die­sen Men­schen könn­ten Me­tho­den des Ge­dan­ken­le­sens eines Tages eine kom­for­ta­ble Schnitt­stel­le zur computer­vermittelten Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Au­ßen­welt bie­ten. Man muss auch kri­tisch be­ob­ach­ten, dass Me­tho­den der Mus­ter­er­ken­nung schon zur Lü­gen­de­tek­ti­on (40) ver­wen­det wur­den und sich da­durch eine neue Dis­kus­si­on über die Zu­läs­sig­keit der Ver­fah­ren im Straf-, Zivil- und Ver­fas­sungs­recht an­bahnt. Ge­gen­über der her­kömm­li­chen Aus­wer­tung bie­ten die mul­ti­va­ria­ten An­sät­ze zwar den Vor­teil, auch auf in­di­vi­du­el­ler Ebene Vor­her­sa­gen tref­fen zu kön­nen, doch in­wie­fern sich die ge­dank­li­chen Mus­ter ma­ni­pu­lie­ren las­sen (Neu­ro­feed­back-Trai­ning) und wie es sich mit ihnen ver­hält, wenn sie bei­spiels­wei­se bei einer nicht-ko­ope­ra­ti­ven Ver­suchs­per­son ge­mes­sen wer­den, das sind noch of­fe­ne Fra­gen, die von der bis­he­ri­gen For­schung nicht un­ter­sucht wur­den. Letzt­lich stellt sich auch mit der Mög­lich­keit des Ge­dan­ken­le­sens die Frage nach der Ge­dan­ken­frei­heit. Dürf­te ein mut­maß­li­cher Täter etwa dazu ge­zwun­gen wer­den, einem Ge­dan­ken­test un­ter­zo­gen zu wer­den, der seine Schuld oder Un­schuld be­wei­sen soll? Dürf­te man das Ver­fah­ren dazu ver­wen­den, um das Ri­si­ko für die Ge­sell­schaft zu er­mit­teln, das ehe­ma­li­ge Straf­tä­ter oder Er­krank­te mit einer dis­so­zia­len Per­sön­lich­keits­stö­rung dar­stel­len? Dürf­ten Un­ter­neh­men, die heute schon weit rei­chen­de In­for­ma­tio­nen über ihre zu­künf­ti­gen Mit­ar­bei­ter in As­sess­ment-Cen­tern er­he­ben, ihre Be­wer­ber auch zu einem Ge­hirn-Check mit der fMRT schi­cken? Nicht zu­letzt auch in einer Zeit der ter­ro­ris­ti­schen Be­dro­hung mögen Ver­fah­ren zum Ge­dan­ken­le­sen in be­stimm­ten Krei­sen Be­gehr­lich­kei­ten er­we­cken (41). Wie das deut­sche Ärz­te­blatt kürz­lich mit­teil­te, wurde in Bay­ern für einen ers­ten Feld­ver­such auf dem in­ter­na­tio­na­len Flug­ha­fen Mün­chen ein Pro­to­typ eines fMRT-Lü­gen­de­te­kors auf­ge­stellt, um ver­däch­tig aus­se­hen­de Flug­gäs­te auf ter­ro­ris­ti­sche Ab­sich­ten hin zu über­prü­fen (42). Wie die Zeit­schrift wei­ter­hin be­rich­tet, hat das US-Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um die Idee auf­ge­grif­fen und den Pro­to­typ „Munch­hau­sen" im Ge­fan­ge­nen­la­ger Gu­an­ta­na­mo Bay tes­ten las­sen. Diese be­sorg­nis­er­re­gen­de Mit­tei­lung wird ein­zig und al­lein durch die Er­kennt­nis ge­mil­dert, dass sie am 1. April ver­öf­fent­licht wurde.

Zur­zeit sind es vor allem Zu­kunfts­sze­na­ri­en und Scher­ze, die die Ge­mü­ter er­hei­tern oder er­re­gen. Wie so oft hilft ein Blick in die USA, um künf­ti­ge Ent­wick­lun­gen ab­schät­zen zu kön­nen. So wur­den dort ei­ner­seits ge­ra­de zwei Fir­men ge­grün­det, wel­che die Lü­gen­de­tek­ti­on durch fMRT an­bie­ten (43, 44). An­de­rer­seits haben sich in den USA Ju­ris­ten und Neu­ro­wis­sen­schaft­ler zu einem »Cen­ter of Co­gni­ti­ve Li­ber­ty and Ethics« (CCLE) zu­sam­men ge­schlos­sen, um den Schutz der Pri­vat­sphä­re auf den geis­ti­gen Be­reich aus­zu­wei­ten (45) - nicht zu­letzt wegen der prin­zi­pi­el­len Mög­lich­kei­ten des Ge­dan­ken­le­sens. Es gibt zwar ernst­zu­neh­men­de Ar­gu­men­te gegen deren prak­ti­sche Ver­wend­bar­keit, etwa den Ver­weis auf die Kom­ple­xi­ti­tät, Fle­xi­bi­li­tät und Um­welt­ab­hän­gig­keit von Ge­dan­ken. Doch es scha­det nicht, auf Vor­rat zu den­ken und sich schon jetzt auf kom­men­de Kon­tro­ver­sen und Dis­kus­sio­nen ein­zu­stel­len.

Wei­ter: Of­fe­ne Fra­gen