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Dimensionen und Kategorien für das 19./20 Jahrhundert

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

„Ich würde als die leitende Tendenz unserer Zeit aufstellen: die Auseinandersetzung beider Prinzipien, der Monarchie und der Volkssouveränität, mit welcher alle anderen Gegensätze zusammenhängen; ferner die unendliche Entwickelung der materiellen Kräfte und die überaus vielseitige Entwickelung der Naturwissenschaften.“ (Ranke 1854)

Dimensionen (Wehler 2008, 420ff.):
Politik
Wirtschaft
Gesellschaft
Kultur

Leitkategorien:
Modernisierung, klassische Moderne, Liberalisierung/Liberalismus, Bürgertum, Postmoderne
Revolution („Politisch-wirtschaftliche Doppelrevolution“)

Definition von „Modernisierung“ (Herbert 2002, S. 12):
Drei Prozesse:

  1. wirtschaftliche und technische Modernisierung – im Sinne ökonomischer Rationalisierungs- und Wachstumsprozesse
  2. politische und soziale Modernisierung – im Sinne von Parlamentarisierung der politischen Entscheidungen, Demokratisierung von Verwaltung und Abbau von unüberwindlichen Klassenunterschieden und -schranken
  3. die Modernisierung der Lebensweisen und -normen und der politischen Einstellungen im Sinne von Partizipation, Pluralität und Abbau hierarchischer und autoritärer Strukturen (Liberalisierung 1 )

„Bürgerliche Gesellschaft“ bzw. „Zivilgesellschaft“ 2 als Resultat der Modernisierung (Herbert 2002, S. 12f.) – Merkmale:

  1. Rechtsstaatlichkeit
  2. Marktwirtschaftliche Effizienz
  3. Sozialpolitischer Ausgleich
  4. Entfaltete Öffentlichkeit
  5. Balance zwischen staatlichen Institutionen und privaten Unternehmungen

„Damit gemeint ist die Vision einer pluralistischen und säkularisierten Gesellschaft freier und selbstständiger Individuen, die ihre Beziehungen zueinander friedlich und vernunftgeleitet regeln – auf der Grundlage eines Wertekanons und institutionellen Arrangements: die Garantie von Menschen- und Bürgerrechten, der Rechts- und Verfassungsstaat, breite Partizipationsmöglichkeiten, die Ermöglichung freier wirtschaftlicher Betätigung und ihre weitgehende Regelung über den Markt, der Schutz der sozial Schwachen, die Ersetzung und Ergänzung der Tradition durch Öffentlichkeit und Diskurs als Legitimationsbasis, vor allem aber die Möglichkeit zur beständigen Veränderung und Anpassung dieser Strukturen an sich wandelnde Bedingungen und Bedürfnisse.“

(Herbert 2002, S. 13; vgl. auch Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau, 1998, S. 13ff.; Kocka, in: APuZ 9-10/2008, S. 4f., zit. in GuG 11, S. 91f.)

Sozialökonomische und soziopolitische Scharnierprozesse im 19. Jahrhundert (Nolte 2006, 119) :
Industrialisierung
Klassenbildung
Nationalstaatsbildung
Liberalismus, Liberalisierung 3

20. Jhdt.: Projekt Moderne (Nolte 2006, 124):
Institutionalisierter Zwang
Disziplinierung
Ein-/Ausgrenzung, Inklusion/Exklusion, Vernichtung (Holocaust, vgl. Bauman)

Leitbegriffe (Bauer 2004):
Säkularisierung – Rationalisierung
Emanzipation – Partizipation
Differenzierung – Integration (Nationsbildung, nationale Einigung, Nationalstaat)
Industrialisierung – technische Revolution
Bürgertum (als Initiator und Träger des Prozesses)

(Franz J. Bauer, Das „lange“ 19. Jahrhundert. Profil einer Epoche. Stuttgart 2004, S. 29)

Phänomene und Entwicklungen, die den spezifischen Charakter der Epoche des 19. und 20. Jahrhunderts in Europa ausmachen (Nonn 2007):
Expansion, Europäisierung, Globalisierung
Industrialisierung, Verkehr und Kommunikation
Familie, Geschlechterbeziehungen, Geburt und Tod
Revolutionen
Säkularisierung: säkulare Weltanschauungen, Rückzug der Religion

(Christoph Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert. Paderborn 2007, S. 9)

Langfristige Strömungen (Osterhammel 2007):
Industrialisierung eines nordatlantischen Zentrums innerhalb expandierender Strukturen globalen Austauschs
Demographischer Aufstieg des Westens und Wanderungsbewegungen über lange Distanzen
Imperien im alten Stil (das Habsburger, Osmanische und Romanov-Reich) neben modernisierten imperialen Nationalstaaten
Universalisierung des Liberalismus als einer zentralen bürgerlichen Überzeugung
Siedlungsexpansion an frontiers und Angriff auf nichtsesshafte Lebensformen
Emanzipation und neuer Exklusion, der Befreiung und des Rückzugs von Weltoffenheit und Toleranz

(Osterhammel 2007, S. 123 - 130)

Herkömmliche Leitbegriffe, mit denen die Haupttendenzen des Zeitalters gemeinhin und zutreffend beschrieben werden (Osterhammel 2009):
Industrialisierung
Urbanisierung
Nationalstaatsbildung
Kolonialismus
Globalisierung
„und einige andere mehr“

(Osterhammel 2009, S. 1286)

Fünf weniger geläufige Gesichtspunkte (Osterhammel 2009):
Asymmetrische Effizienzsteigerung (Arbeitsproduktivität, Militär, Kontrolle von Staatsapparaten über die Bevölkerung der eigenen Gesellschaft)
Gesteigerte Mobilität (Auswanderung, Warenzirkulation, Weltkapitalmarkt)
Asymmetrische Referenzverdichtung (Zunahme interkultureller Wahrnehmungen und Transfers)
Spannung zwischen Gleichheit und Hierarchie (Rechtsgleichheit, Beseitigung von Diskriminierungen vs. Rassismus)
Emanzipation

(Osterhammel 2009, S. 1286ff.)

Langewiesche 2003 (Kapitelüberschriften):
Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel
Prozess der Nationsbildung
Bürgerliche Leitbilder und staatliche Reformen
Reform durch Revolution
Imperialismus

Kocka 2001:

Untertitel:
Arbeit
Nation
Bürgerliche Gesellschaft

Kapitelüberschriften:
Industrialisierung
Bevölkerungsexplosion und Wanderungen (Auswanderung, Binnenwanderung)
Nationsbildung, Nationalstaat
Bürgertum, bürgerliche Gesellschaft

Wirsching 2006, S. 17ff:
Bürgerliche Gesellschaft
Industrialisierung
Nation als Deutungskategorie
Politisches Denken, politische Strömungen
Revolution der Wissenschaften

Fundamentale Transformationsprozesse (van Dülmen 2003, S. 10):
Artikel:
Industrialisierung
Nation, Nationalismus
Faschismus
Revolution

Kategorien:
Langer Katalog:
Modernisierung, Moderne
Liberalismus, Liberalisierung
Revolution
Emanzipation, Partizipation
Säkularisierung, säkulare Weltanschauungen, Ideologien, (Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus), Rückzug der Religion
Rationalisierung, Bildung, Wissenschaft, Bürokratie
Nation, Nationalismus, Chauvinismus
Industrialisierung, Technisierung
Bürgertum, bürgerliche Gesellschaft
Konstitutionalisierung, Parlamentarisierung
Radikalismus, Extremismus, Ideologisierung
Geschlechterbeziehungen, Familie
Expansion, Kolonialismus, Europäisierung, Globalisierung, Alterität
Mobilität, Migration
Kommunikation, Medien
[Individualisierung 4 ]

Systematisierter Katalog:
Basisprozesse: Modernisierung , Moderne, Liberalisierung („Liberalisierung aller Lebensbereiche, der Wirtschaft und Gesellschaft ebenso gut wie der Politik und Kultur […] als Kern allseitiger gesamteuropäischer Modernisierung“ 5 ); Postmoderne , „Zweite Moderne“, „Reflexive Moderne“ usw.
Revolutionen (politisch-wirtschaftliche Doppelrevolution, gescheiterte Revolution 1848, „Revolution von oben“ 1870/71, Oktoberrevolution 1917, „nationale Revolution“ 1933, „Sozialrevolution“ 1943 - 48 6 , Chinesische Revolution 1949, gescheiterte Revolution 1953, „68er-Revolution“, „digitale Revolution“ 1970er-Jahre, „islamische Revolution“ 1979, „friedliche Revolution“ 1989)
Industrialisierung : Industriegesellschaft, Klassenbildung, Urbanisierung, Mobilität, Rationalisierung, Standardisierung, Verwissenschaftlichung, Expansion, Imperialismus, Globalisierung, Migration
Bürgerliche Gesellschaft : Emanzipation und Partizipation (liberales Ordnungsmodell)
Emanzipation : Liberalismus, Rechtsstaat, Menschen- und Bürgerrechte, Säkularisierung, Individualisierung, Öffentlichkeit (Kommunikation, Medien)
Partizipation : Demokratisierung, Teilhaberechte, Konstitutionalisierung, Parlamentarisierung, Bildungsexpansion, sozialpolitischer Ausgleich
Nation, Nationalismus , liberaler vs. radikaler Nationalismus 7
Radikalismus , Extremismus, Totalitarismus (Sozialismus, Kommunismus, Rassismus, Nationalsozialismus, Faschismus): Antiliberale Ordnungsmodelle


1 „Dieser letztgenannte Bereich lässt sich für unseren Gegenstand mit dem Begriff der „Liberalisierung“ treffender fassen, weil hier eine stärker wertbezogene und damit aussagekräftigere Komponente hineinspielt als bei dem neutralen Formationsbegriff der Modernisierung.“ (Herbert 2002, S. 12)

2 Zur begrifflichen Unterscheidung vgl. Herbert 2002, S. 14: „Demgegenüber wird die liberale, „bürgerliche“ Gesellschaft als eine Utopie des 19. Jahrhunderts verstanden, deren Umschreibung auf das 20. Jahrhundert mit ihrer starken Orientierung auf das angelsächsische, vor allem das US-amerikanische Modell durch den Begriff der „civil society“ symbolisiert wird, der in gewisser Weise als Dachbegriff für politisch-institutionelle, wirtschaftliche und kulturelle Prozesse fungieren kann.“

3 Zur begrifflichen Unterscheidung vgl. Herbert 2002, S. 14: „Während ‚Liberalismus’ als Begriff für politische und ökonomische Programme verstanden wird, bezogen vor allem auf Stärkung der Individuen und Rückbindung der Kompetenzen des Staates auf die Garantien der Grundrechte, auf Leistungsidee, Marktorientierung und Rechtsgleichheit, so ist ‚Liberalisierung’ im hier verwendeten Zusammenhang ein wert- und handlungsbezogener Begriff der politischen Kultur, der sich vor allem auf Mentalitäten, Wahrnehmungs-, Aktions- und Reaktionsmuster bezieht, mithin auf Dispositionsstrukturen der Gesellschaft von der Familie bis zur Regierung.“

4 Osterhammel 2009, S. 1281: „Eine Kategorie wie ‚Individualisierung’ lässt sich kaum im Zeitverlauf fixieren.“

5 Peter Brandt, Liberalismus, in: Lutz Niethammer u.a., Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. Frankfurt/Main (Fischer) 1990, 143

6 Martin Broszat u.a. (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München 1988.

7 Ute Frevert, Nation, Nationalismus, in: van Dülmen, Fischer Lexikon Geschichte. Frankfurt/Main (Fischer) 2003, 277, 280.


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