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M2 Ngũgĩ wa Thiong’o: Sprache als Kommunikation

Ngũgĩ wa Thiong’o (*1938) ist ein kenianischer Schriftsteller und Sprachtheoretiker. Er hat zahlreiche Romane, Theaterstücke und theoretische Texte verfasst. Für seine Schriften ist er verfolgt und inhaftiert worden. Er hat seine literarischen Texte zunächst in Englisch geschrieben und veröffentlicht, seit 1978 dann nur noch in seiner Muttersprache.

Drei Aspekte oder Elemente eignen der Sprache als Kommunikation. Da ist zunächst das, was Karl Marx einmal als die Sprache des wirklichen Lebens bezeichnet hat. Diese ist die Grundlage der gesamten Konzeption der Sprache, ihres Ursprungs und ihrer Entwicklung: Das heißt, die Beziehungen, die die Menschen untereinander eingehen, die Bindungen, die sie notwendigerweise untereinander als Volk, als Gemeinschaft menschlicher Wesen begründen, die Wohlstand oder die zum Leben erforderlichen Dinge wie Essen, Kleidung, Häuser schaffen. Eine menschliche Gemeinschaft beginnt ihr historisches Dasein als Gemeinschaft tatsächlich in der Zusammenarbeit, bei der Herstellung über die Arbeitsteilung: deren einfachste besteht zwischen Mann, Frau und Kind in einem Haushalt […], die kompliziertesten arbeitsteiligen Beziehungen bestehen in den modernen Fabriken, in denen ein einziges Produkt Ergebnis der Arbeit vieler Hände und Hirne ist. Produktion bedeutet Kooperation, bedeutet Kommunikation, bedeutet Sprache, ist Ausdruck einer Beziehung zwischen Menschen und ist spezifisch menschlich.

Der zweite Aspekt der Sprache als Kommunikation ist die Rede und diese imitiert die Sprache des wirklichen Lebens, das heißt der Kommunikation in der Produktion. Die verbalen Wegweiser reflektieren und unterstützen die Kommunikation und die Beziehungen, die Menschen bei der Produktion ihrer für das Leben erforderlichen Güter eingehen. Die Sprache als System verbaler Wegweiser ermöglicht diese Produktion. Das gesprochene Wort verhält sich zu den Beziehungen zwischen Menschen wie die Hand in der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Durch Werkzeuge vermittelt die Hand zwischen Mensch und Natur und formt die Sprache des wirklichen Lebens: Das gesprochene Wort vermittelt zwischen den Menschen und formt die Sprache der Rede.

Der dritte Aspekt betrifft die geschriebenen Zeichen. Das geschriebene Wort imitiert das gesprochene. Entwickeln sich die ersten beiden Aspekte der Sprache als Kommunikation durch die Hand und das gesprochene Wort historisch mehr oder weniger gleichzeitig, stellt der geschriebene Aspekt eine weit spätere geschichtliche Entwicklung dar. Schreiben ist die Darstellung des Klangs mittels visueller Symbole, vom einfachsten Knoten bei den Schafhirten, um die Herdengröße zu übermitteln, oder den Hieroglyphen bei den kenianischen Sängern und Dichtern, bis zu den höchst komplizierten und unterschiedlichen Systemen der Brief- und Bildersprache in der heutigen Welt.

In den meisten Gesellschaften stimmen geschriebene und gesprochene Sprache dahingehen überein, dass sie einander wechselseitig repräsentieren. Was auf dem Papier steht, kann einer anderen Person vorgelesen werden und wird vom Rezipienten als die Sprache empfangen werden, mit der er aufgewachsen ist. In einer solchen Gesellschaft besteht für ein Kind weitgehende Harmonie zwischen den drei Aspekten der Sprache als Kommunikation. Seine Interaktion mit der Natur und mit anderen Menschen findet in geschriebenen oder gesprochenen Symbolen oder Zeichen ihren Ausdruck. Die Wahrnehmung eines Kindes ist mit der Sprache verbunden, mit der es aufwächst und in der es sein Leben erfährt.

Ngũgĩ wa Thiong’o: Dekolonisierung des Denkens. Essays über afrikanische Sprachen in der Literatur. Unrast Verlag. Münster 2017, S. 47-48.

Aufgaben (M2)

  1. Stellen Sie die drei Aspekte der Sprache, die Thiong‘o nennt, in eigenen Worten dar.
  2. Erläutern Sie, inwiefern es zu einer Harmonie dieser Aspekte kommen kann und wie diese zerstört werden kann.
  3. Diskutieren Sie: Ist Sprache ein Produkt der Arbeitsteilung? Was spricht dafür, was dagegen?
  4. Wie kann es für Ngũgĩ wa Thiong’o zu einem sinnvollen Sprachwandel kommen?

Sprachkritik: Herunterladen [docx][43 kB]