Zwischenspurt als Förderangebot
Die Feststellung, dass es sich beim Fördern „nicht um einen Fachterminus der Erziehungswissenschaft handelt“ (Wischer 2014, 6), mag überraschen. Angesichts dieses Statements stellt sich umso dringlicher die Frage, was mit einem Förderangebot für den gymnasialen Deutsch-Unterricht intendiert sein kann.
Wenn fördern bedeutet, „jmdn., etw. in seiner Entwicklung vorwärtsbringen, unterstützen“1 , dann ist dies zunächst einmal die Aufgabe jeden Unterrichts. Eine Abgrenzung von über den Regelunterricht hinausgehendem Förderunterricht ist weder leicht noch scharf. Man könnte sogar zugespitzt formulieren: Förderunterricht folgt zunächst denselben Grundsätzen wie guter Fachunterricht, wenn auch auf entgegenkommenderem Niveau (z. B. adaptive Texte, Scaffolding, engere Führung).
Es scheint zunächst auch nicht weiterzuhelfen, wenn man festhält, dass Förderung individuell sein soll – dieser Anspruch wird seit langem auch für jeden Unterricht erhoben (ob er auch angesichts der obwaltenden Randbedingungen eingelöst werden kann, steht auf einem anderen Blatt). Als Abgrenzungskriterium wird oft die Adaptivität genannt, d. h. es muss ein spezifischer Bedarf bestehen. Dieser muss festgestellt werden, verschwindet mit Erreichen des Ziels und geht in Zuschnitt (z. B. Aufgaben, Begleitung) und Rahmenbedingungen (z. B. Gruppengrößen, Lernzeiten) über den Regelunterricht hinaus. Schon hier wird deutlich: Förderung bedarf einer sinnvollen Umsetzung, die mit den Materialien des
Zwischenspurts unterstützt, aber nicht von ihnen geleistet werden kann.Förderung ist ein positiver Hochwertbegriff. Er soll Bildungsgerechtigkeit angesichts unterschiedlicher Voraussetzungen und Lernstände herstellen. Daher werden darunter zumeist Unterstützungsmaßnahmen für schwächere Lernende verstanden; Begabtenförderung spielt eine eher randständige Rolle. So ist auch die Zielgruppe des vorliegenden Förderkonzepts definiert. Aus der Idee der Bildungsgerechtigkeit leitet sich ein Anspruch auf Förderung her.
Andererseits setzt, wer dabei helfen möchte, „den Anschluss wieder herzustellen“, implizit immer eine Gruppennorm an.2 Förderung ist damit immer auch mit einer Selektion verbunden. Selektion ist zunächst und zumeist negativ konnotiert. Dies ist prekär, denn zentral für jede Förderung ist die Motivation bzw. das Evozieren von Engagement. Er ist kein „Nachsitzunterricht“ und darf auch niemals als solcher wahrgenommen werden. Dies ist die erste Herausforderung an die Motivation.
Eine zweite liegt in der Natur der Sache: Kompetenzerwerb bedarf immer auch der Übung. Sie ist ein wichtiger Teil des Förderunterrichts – auch und gerade, wenn es um den Erwerb von hierarchieniedrigen Kompetenzen geht, die ja gerade durch ihre Automatisierbarkeit definiert sind. Das Gewinnen von Routine und Erfahrung betrifft aber genauso die hierarchiehohen Kompetenzen wie z. B. die Textplanung, das Verwenden von Lesestrategien oder die Reflexion von Körpersprache. Auch hier gilt aber: Motivation und Zielorientierung sind wichtig, ebenso ggf. Erarbeitungsphasen, wenn Voraussetzungen fehlen und Kompetenzdefizite bestehen.
Insbesondere mit Blick auf hierarchiehohe Kompetenzen gilt – und zwar für jeglichen Unterricht –, dass sie effektiv und nachhaltig nur vernetzt erworben und gefördert werden. Das Verhältnis von hierarchiehohen und hierarchieniedrigen Kompetenzen ist auch nicht so zu denken, dass die hierarchieniedrigen Kompetenzen eine notwendige Voraussetzung für die hierarchiehöheren wäre und zeitlich stets vorangehen müssten. Vernetzung erfordert eine zielführende und funktionale Einbettung der Aufgaben in Erkenntnis- und Anwendungszusammenhänge. Dem trägt die thematische Ausrichtung der Module des Zwischenspurts Rechnung. Sie intendiert darüber hinaus eine Anbindung an den regulären Unterricht. Dazu gehört aber auch die hier angesetzte Aufgabenkultur der Förder-Arrangements. Damit einher geht auch, dass Förderunterricht, auch wenn er tendenzielle eine engere Führung und ein kleinschrittigeres Vorgehen verlangt, nicht nur geschlossene Aufgaben stellen darf, sondern immer auch Gestaltungsmöglichkeiten bieten muss.
Handlungsträger des Förderns sind Schüler(innen) und Lehrkräfte gleichermaßen. In dieser Feststellung liegt keine Abkehr vom Paradigma der Schülerzentrierung und Schüleraktivierung, die unbestreitbar notwendig ist. Eine Stärkung der Eigenaktivität z. B. durch das Verwendenkönnen von Strategiewissen oder Metakognition ist integraler Teil des
Zwischenspurts . Auf der anderen Seite kann man diesen Aspekt positiv wenden: Förderung bedarf immer einer engen Begleitung durch die Lehrkraft. Guter Förderunterricht ist kein reiner Selbstlernunterricht – wie individualisiert und auf eigenständige Bearbeitung angelegt auch immer Selbstlernmaterialien sein mögen. Eine hohe Bedeutung kommt der unterrichtlichen Einbettung zu, die mindestens so wichtig ist wie die angebotenen Aufgaben. Wichtig sind zudem auch Formen kooperativen Lernens (z. B. reziprokes Lesen, Feedbackprozesse, kooperatives und kollaboratives Schreiben und Überarbeiten …).Ein entscheidendes Element für eine erfolgreiche Förderung ist ein geschützter, bewertungsfreier Raum des gegenseitigen Vertrauens. Alle Schwierigkeiten müssen von den Schülerinnen und Schülern angstfrei angesprochen werden können.
1 DWDS. Fördern leitet sich vom ahd. furdiren her, was „weiter nach vorne bringen“ bedeutet. Darin steckt „fürder“ als Steigerung von „fort“ = vorwärts, weiter, wie es als Präfix noch in „fortkommen“, „fortpflanzen “ oder „Fortschritt“ steckt. Die bergmännische Bedeutung „aus dem Erdinnern fortschaffen, durch Abbau gewinnen “ stammt aus dem 16. Jhdt., die Ableitung befördern im Sinne von im Beruf aufrücken kommt im 18. Jhdt. auf (vgl. Duden: Etymologie (1989), 199, 201).
2 Diese Norm kann rechtlich (z. B. Inklusionsgesetz) oder ökonomisch (z. B. was die Gesellschaft braucht) begründet werden (vgl. Heinrich 2014).
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