Inhalt
Die Erzählung weist zwei separate Geschichten auf, die auf unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelt sind und einen eigenen Erzähler haben: 1. Die Geschichte der Begegnung und Auseinandersetzung des Erzählers mit dem armen Spielmann (Jakob) inkl. dessen Lebensgeschichte, Tod und Beisetzung (Rahmenhandlung). 2. Die Geschichte des verarmten Hofratssohnes Jakob bis zu dessen gescheiterten Beziehung zu Barbara und seinem einsamen Leben als Straßengeiger (Binnenerzählung, Jakob als Erzähler). Das quantitative Verhältnis zwischen Rahmen- und Binnenerzählung beträgt ca. ein Drittel zu zwei Dritteln. Der Rahmenerzähler, der sich selbst als „dramatischen Dichter“ bezeichnet, gibt zu Beginn eine Art kulturgeschichtliche Hinführung zu dem jährlich im Juli stattfindenden Kirchweih-Fest in der Wiener Brigittenau. Er bezeichnet das Ereignis enthusiastisch als Volksfest, bei dem soziale Unterschiede nivelliert seien, die Bewegung der zusammenströmenden Massen zeige ihm zufolge naturhafte Dynamik und archaische Ursprünglichkeit. Als Seelenfest biete es dem interessierten Beobachter immer wieder auch kleine Schicksale einfacher Menschen, in denen sich große Tragödien mythischen Ausmaßes spiegelten. Derart begeistert sei er auch „vor zwei Jahren“ wieder einmal dorthin gegangen, um sich dem Zuge der Menge hinzugeben und auf „seitwärts am Wege“ Befindliches zu achten. Neben allerlei skurrilen Gestalten findet er dort einen alten Geiger, der „mit lächelnder, sich selbst Beifall gebender Miene“ auf einer „vielzersprungenen Violine“ spielt. Fasziniert von dessen Musizieren in Einklang mit sich selbst bei gleichzeitiger kakophonischer Verzerrung des Gespielten, erwacht seine unbezwingbare Neugier, mehr über den Bettelmusikanten mit edler Gestalt und humanistischer Bildung (dieser äußert einen lateinischen Spruch) zu erfahren. Auf seinem Heimweg begegnet er ihm ein weiteres Mal, als dieser für Kinder spielt, die sich irritiert von ihm abwenden, und es kommt zu einem ersten Gespräch. Der Erzähler erkundigt sich sogleich nach dem Grund für sein frühes Aufbrechen trotz guter Verdienstmöglichleiten auf dem Fest. Als dieser geordnet und reflektiert erklärt, dass nach getaner Arbeit unter Leuten (Spielen nach Noten) der Abend für ihn und sein Phantasieren auf der Violine vorbehalten sei, wundert sich der Erzähler umso mehr über diese widersprüchliche Erscheinung, die höchsten Kunstsinn zeigt, aber unfähig ist, einen Walzer zu spielen. Er fragt ihn nach seiner Adresse, um ihn demnächst zu besuchen. Mit dem Hinweis des Spielmanns auf sein Selbstverständnis, d.h. das Musizieren im Geiste der alten Meister zur Erziehung der Jungen und Veredlung ihrer Herzen, verabschieden sie sich voneinander. Einige Tage darauf kommt es zum Besuch beim Spielmann in dessen ärmlicher Dachkammer. Bei der Ankunft exerziert der Alte genussvoll und versunken auf der Geige, während der Erzähler nur mit Mühe einen Faden in dem „Labyrinth“ der Töne erkennt. Aus seiner Trance erwachend begrüßt jener den Erzähler und die beiden unterhalten sich über die Behausung und seine Lateinkenntnisse. Der Alte spürt die Neugier des Erzählers und willigt nach dessen Bitten ein, seine Geschichte zu erzählen, obgleich er keine Geschichte hat („Heute wie gestern und morgen wie heute“). Die Binnenerzählung des Spielmanns Jakob beginnt mit der Erwähnung seiner Familie – Vater Hofrat, Brüder mit Beamtenkarriere, alle inzwischen tot. In jungen Jahren sei ihm vor allem Verständnislosigkeit entgegengeschlagen. Vom ehrgeizigen Vater als „langsamer Kopf“ abgekanzelt, habe er nicht die von ihm benötigte Zeit und Ordnung erhalten, habe sich gedrängt gefühlt und sei dadurch „stockisch“ geworden. Sein Musizieren gilt den anderen als „Ohrenfolter“. Nach dem Nichtbestehen einer Lateinprüfung wird er vom Vater, der ihn protegiert hat, fallen gelassen und in eine Schreibkanzlei gegeben, wo er gerne, aber ohne Erfolg und durch seinen Perfektionismus blockiert, arbeitet. Während dieser Zeit hört er eines Tages ein von einer Mädchenstimme gesungenes Lied, ist sofort ergriffen und spielt es weinend vor Rührung auf der Violine nach. Von diesem Erweckungsmoment an wird die Violine sein ständiger Begleiter in seinem einsamen Leben, die Musik jenseits von Komposition und Stil wird ihm zur absoluten göttlichen Offenbarung, zum Atmen der Seele. Als er erfährt, dass die Sängerin des Liedes eine Kuchenbäckerin aus der Nachbarschaft ist, unternimmt er zaghafte Annäherungsversuche. Nach zwei eher peinlichen Begegnungen wagt er es, sie um die Noten des Liedes zu bitten. Sie singt es ihm erneut vor und verspricht, vom Organisten der Peterskirche (einem Kunden des Vaters) eine Transkription anfertigen zu lassen. Weder das Lied noch die junge Frau namens Barbara geht ihm fortan aus dem Kopf und er streicht immer wieder um deren Haus herum, wo er eines Tages von ihrem Vater des versuchten Diebstahls bezichtigt wird. Als er seine familiäre Herkunft enthüllt, wird der Vorwurf rasch fallen gelassen. Peinlich berührt, aber mit der Notenabschrift in den Händen macht er sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen erfährt er von seiner Verbannung aus dem Elternhaus, die auch eine räumliche Entfernung von Barbara nach sich zieht. Nach Schicksalsschlägen in der Familie (Tod des Vaters und eines Bruders, Flucht des zweiten Bruders ins Ausland) versinkt der jetzt ganz alleinstehende Jakob in Trauer und Einsamkeit. Vergeblich sucht er Trost bei Barbara. Diese gibt ihm den Rat, nicht gleich jedermann zu trauen, da man es nach seiner Erbschaft nicht gut mit ihm meine. Dennoch willigt er leichtfertig in den Plan eines ehemaligen Sekretärs seines Vaters ein, in die Finanzierung von dessen Kopier- und Übersetzungskontor einzusteigen. Während er sich nun zum Mann erhoben fühlt, ahnt Barbara Böses und tadelt ihn unaufhörlich ob seiner Unvernunft. Einen Höhepunkt erreicht die ‚Beziehung‘, als er eines Tages, angelockt durch ihr Summen ‚seines‘ Liedes, nicht an sich halten kann und ihren Leib umfasst, woraufhin er sich eine schallende Ohrfeige einfängt. Als Entschädigung für den schmerzhaften Schlag im Affekt küsst sie ihn dann auf die Wange und er sieht sich in seinem Werben ermuntert; sie flieht zur Glastür und hält sie zu, während er auf der anderen Seite ihr den Kuss durch das Glas zurückgibt. Anstatt eine weitere Annäherung zuzulassen, stellt Barbara den naiven Jakob zur Rede und formuliert klare Forderungen an eine mögliche gemeinsame Existenzgründung (Kauf eines Putzladens) und an ihn selbst („Ändern müssen Sie sich! Ich hasse die weibischen Männer“). Jakob erwähnt sein Investitionsgeschäft, das er weitgehend dem Sekretär überlassen hat, und Barbara ahnt, dass man ihn hintergangen hat. Dies bewahrheitet sich, als der Sekretär als Betrüger entlarvt wird, der mit dem ganzen ihm anvertrauten Geld verschwunden ist. Jakob, nun mittellos, wird von Barbaras Vater des Hauses verwiesen. Auch Barbara wendet sich bitter enttäuscht von ihm ab. Bei ihrem finalen Abschiedsbesuch macht sie ihm heftige Vorwürfe, sie und v.a. sich selbst aus Unfähigkeit, „seine eigenen Sachen […] in Ordnung [zu] halten“, unglücklich gemacht zu haben, und sagt ihm für immer Lebwohl, nicht ohne ihn mit einem Kreuzeszeichen zu segnen. Spätere Nachforschungen Jakobs ergeben, dass Barbara die Frau eines Fleischers geworden ist und zwei Söhne bekommen hat, während er selbst seine Tage als armer Musikant fristet. – Beeindruckt von Jakobs Lebensgeschichte, legt der Erzähler ein paar Silberstücke auf den Tisch und geht, während Jakob beginnt, sein Lied zu spielen. Nach einer längeren Reise kehrt der Erzähler im Winter nach Wien zurück und denkt nicht weiter an den Spielmann, bis er ihn anlässlich einer starken Überschwemmung der Vorstädte im Frühjahr wieder ins Gedächtnis ruft. Mit der Absicht, Spenden in die betroffene Gegend zu bringen, betritt er Jakobs Haus, um dort von einer Nachbarin zu erfahren, dass Jakob sein sicheres Dachzimmer verlassen hat, um Kinder vor dem Ertrinken und zuletzt auch noch Steuerbücher und Wertpapiere vor der Zerstörung zu retten. Nach kurzer Fieberkrankheit, während der er im Delirium stets sein Lied sang, sei er mit einem Lächeln im Gesicht gestorben. Im Dachzimmer angekommen trifft der Erzähler auf eine Frau, die sich als Barbara zu erkennen gibt. Sie lässt es sich nicht nehmen, den Leichenzug und die Beisetzung Jakobs zu organisieren, der auch der Erzähler beiwohnt. Tage später besucht dieser Barbara und bietet ihr an, Jakobs Geige für einen hohen Betrag zu erwerben. Diese lehnt entrüstet ab („Die Geige gehört unserem Jakob“) und verwahrt die neben Spiegel und Kruzifix an der Wand hängende Geige fortan in einer Schublade. Im Gehen erkennt der Erzähler, dass ihr die Tränen „stromweise über die Backen“ laufen.
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