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In­halt

Kai­sers Drama ist nicht in Akte, son­dern in zwei Teile ge­glie­dert und reiht in der of­fe­nen Form des Sta­tio­nen­dra­mas Ein­zel­sze­nen an­ein­an­der, die zwi­schen ,der klei­nen Stadt W. und der gro­ßen Stadt B.‘, zwi­schen Wei­mar und Ber­lin, an­ge­sie­delt sind. Der na­men­lo­se Prot­ago­nist, der aus­schließ­lich über mit der Be­rufs­be­zeich­nung Kas­sie­rer vor­ge­stellt wird, be­geg­net vor­mit­tags in der Bank einer schö­nen, vor­neh­men ita­lie­ni­schen Dame, die eine grö­ße­re Geld­sum­me ab­he­ben will, hier­für aber eine noch nicht ein­ge­trof­fe­ne Be­stä­ti­gung ihrer Bank in Flo­renz be­nö­tigt. Man hält sie für eine Be­trü­ge­rin, gleich­zei­tig weckt sie aber in den An­we­sen­den eine Sehn­sucht nach Aben­teu­er, der auch der Kas­sie­rer nach einer zu­fäl­li­gen Be­rüh­rung mit der Dame er­liegt: Er ver­un­treut eine Summe von 60.000, 50.000 in Schei­nen und 10.000 in Gold, die der ört­li­che Bau­ver­ein ein­zahlt. Mit dem ge­stoh­le­nen Geld er­hofft er sich, ein neues Leben an der Seite der schö­nen Dame, mit der er flie­hen will, fi­nan­zie­ren zu kön­nen. Bald stellt sich aber her­aus, dass die Dame keine Hoch­stap­le­rin ist: Die an­ge­for­der­te Be­stä­ti­gung aus Flo­renz trifft bei der Bank ein. Es stellt sich her­aus, dass die Dame ihren Sohn be­glei­tet, der sich auf einer Art Kul­tur­rei­se be­fin­det und dabei einen Cra­nach ent­deckt hat. Er will das Ge­mäl­de einem Wein­händ­ler ab­kau­fen, wofür er die Geld­sum­me be­nö­tigt. Als der Kas­sie­rer die Dame mit sei­ner Tat kon­fron­tiert und diese sein Wer­ben ve­he­ment zu­rück­weist, er­kennt er sei­nen Irr­tum und seine miss­li­che Lage. In einem Mo­no­log re­flek­tiert er seine Si­tua­ti­on und er be­schließt, die Kauf­kraft der ver­un­treu­ten Summe aus­zu­tes­ten, wobei er dazu be­reit ist, den „vol­len Ein­satz“ zu er­brin­gen. In der frei­en Schnee­land­schaft, in der er sich be­fin­det, er­scheint ihm eine schnee­be­han­ge­ne Baum­kro­ne als ein Ge­rip­pe, das er als Vor­aus­deu­tung auf sein Schick­sal be­greift.

Im zwei­ten Teil des Dra­mas durch­läuft der Kas­sie­rer ver­schie­de­ne Sta­tio­nen, die er dar­auf­hin über­prüft, ob sie ihm die er­hoff­te Er­fül­lung sei­ner Exis­tenz ge­wäh­ren kön­nen. Sein Weg führt ihn zu­nächst zu sei­ner Fa­mi­lie. Sar­kas­tisch stellt er fest, dass das klein­bür­ger­li­che Fa­mi­li­en­idyll ihm nicht das bie­tet, wo­nach er sucht, und er ver­lässt seine Fa­mi­lie. Sein Weg führt ihn zu einem Sechs­ta­ge­ren­nen im Sport­pa­last. Von der lei­den­schaft­li­chen An­teil­nah­me an dem sport­li­chen Er­eig­nis, die dort im Pu­bli­kum herrscht, er­hofft er sich „die letz­te Bal­lung des Tat­säch­li­chen“. Durch stei­gern­de Preis­stif­tun­gen will er die Stim­mung im Pu­bli­kum noch an­hei­zen, muss aber fest­stel­len, dass sich beim Er­schei­nen einer nicht näher be­zeich­ne­ten „Ho­heit“ in der Loge statt der er­hoff­ten ent­gren­zen­den Mas­sen­hys­te­rie dis­zi­pli­nier­tes Schwei­gen beim Pu­bli­kum breit­macht, und er zieht seine Stif­tung zu­rück. Wäh­rend der Szene taucht ein Mäd­chen der Heils­ar­mee auf, das eine Zeit­schrift, den „Kriegs­ruf“, ver­kau­fen will.

Auch seine nächs­te Sta­ti­on, ein Son­der­zim­mer in einem Ball­haus, in dem er mas­kier­ten weib­li­chen Pro­sti­tu­ier­ten, die auf seine Kos­ten teu­ren Sekt trin­ken, be­geg­net, stellt sich als Täu­schung her­aus: Den An­blick der Frau­en er­trägt der Kas­sie­rer nur in mas­kier­tem Zu­stand und von der Pier­ret­te, die ihn an­zieht, weil sie an­ders zu sein scheint als die an­de­ren Damen und nicht tanzt, ent­hüllt er schließ­lich ein Holz­bein, wor­auf­hin der Kas­sie­rer das Lokal, ohne seine Rech­nung be­gli­chen zu haben, ver­lässt. Auch im Ball­haus taucht das Mäd­chen der Heils­ar­mee mit dem Kriegs­ruf auf.

Das Mäd­chen führt ihn schließ­lich in das Lokal der Heils­ar­mee, das seine letz­te Sta­ti­on sein wird. Hier wähnt er sich an sei­nem Ziel, als in sei­ner Ge­gen­wart An­we­sen­de ihre Sün­den be­ken­nen, die Par­al­le­len zu sei­nen ei­ge­nen Ver­ge­hen und den vor­an­ge­hen­den Sta­tio­nen auf­wei­sen, und bü­ßend ihre See­len zu ge­win­nen schei­nen. Er beich­tet seine Ver­feh­lun­gen, die mit der Un­ter­schla­gung des Gel­des ihren Aus­gang ge­nom­men haben. Davon über­zeugt, dass das Geld nicht nur nicht zu einer er­füll­ten Exis­tenz bei­tra­gen kann, son­dern „das Echte“ sogar ver­hüllt, schleu­dert er Geld und Gold­stü­cke in die Menge - und muss er­ken­nen, dass auch die Mit­glie­der der Heils­ar­mee käuf­lich sind, wo­durch das Be­kennt­nis zu ihrer Seele als wei­te­re Täu­schung ent­larvt wird. Ein­zig das Mäd­chen scheint un­be­ein­druckt wei­ter zu dem Kas­sie­rer zu hal­ten und sug­ge­riert ihm das Ver­spre­chen wah­rer Liebe. Als das Mäd­chen ihn an die Po­li­zei ver­rät, um die Be­loh­nung für Hin­wei­se, die zu sei­ner Er­grei­fung füh­ren, ein­zu­kas­sie­ren, sieht der Kas­sie­rer kei­nen Aus­weg mehr: Im Kron­leuch­ter er­kennt er das Ge­rip­pe wie­der. Er er­schießt sich, noch bevor der Tag zu Ende geht.

Text­aus­ga­be:

Georg Kai­ser: Von mor­gens bis mit­ter­nachts. Stück in zwei Tei­len. Fas­sung letz­ter Hand. Hg. v. Walt­her Huder, An­mer­kun­gen von Ernst Schü­rer. Stutt­gart 1964 (1994)

Kai­ser: „Mor­gens bis mit­ter­nachts“: Her­un­ter­la­den [pdf][168 KB]