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In­halt

Die Hand­lung des Ro­mans er­streckt sich über die Zeit vom Som­mer 1931 bis An­fang 1932 und be­ginnt in einer nicht näher be­zeich­ne­ten ,mitt­le­ren Stadt’ im Rhein­land, der die Prot­ago­nis­tin Doris schließ­lich in die ,große Stadt’ Ber­lin ent­flieht. Die Glie­de­rung des Ro­mans in drei Teile ori­en­tiert sich am chro­no­lo­gi­schen Wech­sel der Jah­res­zei­ten vom Som­mer, über den Herbst bis hin zum Win­ter. Diese Drei­tei­lig­keit nimmt auch der to­po­gra­phi­sche Wech­sel der Auf­ent­halts­or­te der Ti­tel­hel­din (mitt­le­re Stadt, große Stadt, ein War­te­saal) auf.

Be­reits zu Be­ginn wer­den die zen­tra­len The­men des Ro­mans an­ge­deu­tet: Doris, eine 18-jäh­ri­ge nie­de­re Ste­no­ty­pis­tin, fühlt sich zu Hö­he­rem be­ru­fen und träumt vom so­zia­len Auf­stieg. Sie ver­lässt sich auf ihr an­spre­chen­des Äu­ße­res und eine auf­fäl­li­ge Gar­de­ro­be, um fi­nan­zi­ell bes­ser ge­stell­te Män­ner ken­nen­zu­ler­nen. Ihre Af­fä­ren die­nen aus­schließ­lich ihrem ma­te­ri­el­len Vor­teil und haben das Ziel, ihren Le­bens­un­ter­halt ab­zu­si­chern und einen etwas auf­wän­di­ge­ren Le­bens­stil zu fi­nan­zie­ren. Ein­zig Hu­bert, eine jun­ger Na­tur­wis­sen­schaft­ler bil­det eine Aus­nah­me. In ihn, der selbst arm ist und auf so­zia­len Auf­stieg hofft, ver­liebt sich die junge Frau.

Doris kün­digt an, ihr Leben in ta­ge­buch­ar­ti­gen No­ti­zen be­schrei­ben zu wol­len. Dabei ori­en­tiert sie sich an einer fil­mi­schen Er­zähl­wei­se, die der bild­haf­ten Art, wie sie ihr ei­ge­nes Leben wahr­nimmt, ent­spricht. Die ta­ge­buch­ar­ti­gen Rück­bli­cke sind in­te­griert in eine Ich-Er­zäh­lung, von der sie kaum zu un­ter­schei­den sind. Das Tem­pus des Prä­sens und die Dia­lo­ge, die den ge­sam­ten Roman kenn­zeich­nen, er­zeu­gen eine At­mo­sphä­re von Un­mit­tel­bar­keit.

Doris schil­dert im ers­ten Teil des Ro­mans selbst­be­wusst, wie sie sich vor den Män­nern in­sze­niert und sie an sich zu bin­den ver­sucht. Bei ihrer gro­ßen Liebe Hu­bert ge­lingt ihr dies je­doch nicht,. Bald ver­lässt er sie, als er eine Frau ken­nen­lernt, deren Vater ihm bei sei­nem be­ruf­li­chen Auf­stieg von Nut­zen sein kann. Als Doris ihn Jahre spä­ter wie­der­trifft, ver­su­chen die bei­den ihre Part­ner­schaft wie­der­zu­be­le­ben, aber Hu­bert hat für Doris sei­nen Zau­ber ver­lo­ren. Doris durch­schaut seine vor­ge­ge­be­ne Be­grün­dung, sich aus mo­ra­li­schen Grün­den, näm­lich weil sie nicht un­be­rührt ist, von ihr zu tren­nen, und er­kennt seine wahre Ab­sicht, sich stan­des­ge­mäß zu ver­bin­den. Auch wenn Doris fort­an zahl­rei­che Lie­bes­af­fä­ren ein­geht, über­win­det sie die ge­schei­ter­te Be­zie­hung mit Hu­bert nie. Unter ihrem Lie­bes­kum­mer lei­det auch ihre oh­ne­hin un­ge­lieb­te Ar­beit als Ste­no­ty­pis­tin bei einem Rechts­an­walt. Die Avan­cen ihres Vor­ge­setz­ten, die nicht zu­letzt durch ihre Stra­te­gie, von Feh­lern bei der Ar­beit durch eine ero­ti­sche Aus­strah­lung ab­zu­len­ken, mo­ti­viert sind, weist sie an­ge­wi­dert zu­rück. Wenig über­ra­schend wird ihr bald dar­auf ge­kün­digt.

Sie kann nun auch nichts mehr von ihrem ge­rin­gen Lohn an ihre El­tern, bei denen sie lebt, ab­ge­ben: Dies wird vom Vater, der selbst un­fä­hig ist, Ent­schei­den­des zum Fa­mi­li­en­un­ter­halt bei­zu­tra­gen, hef­tig kri­ti­siert. Doris hat kein gutes Ver­hält­nis zu ihrem Vater, den sie für un­ge­bil­det und faul hält, weil er das we­ni­ge Geld der Fa­mi­lie in Knei­pen für Al­ko­hol aus­gibt. Zu ihrer Mut­ter da­ge­gen, die als Gar­de­ro­bie­re im Schau­spiel­haus ar­bei­tet, hat sie ein in­ni­ges Ver­hält­nis. Aus Doris’ Sicht hätte sie einen bes­se­ren Mann ver­dient. Für Doris, die ihr re­gel­mä­ßig Brie­fe vol­ler Zu­nei­gung schreibt, ist die Mut­ter „fei­nes Weib“, eine wirk­li­che „Dame“.

Neben ihrer Mut­ter fun­giert ihre Freun­din The­re­se, die eben­falls als Bü­ro­an­ge­stell­te in der An­walts­kanz­lei ar­bei­tet, als wich­ti­ge Be­zugs­per­son für Doris. An­ders als Doris ent­wi­ckelt The­re­se je­doch kei­nen Ehr­geiz im Hin­blick auf einen so­zia­len Auf­stiegs. Viel­mehr ist ihre ge­sam­te En­er­gie von der pro­ble­ma­ti­schen Be­zie­hung mit einem ver­hei­ra­te­ten Mann ab­sor­biert. Auch wenn Doris The­re­se freund­schaft­lich sehr zu­ge­tan ist, dient sie ihr gleich­zei­tig als ab­schre­cken­des Bei­spiel für eine Frau, die ihr ei­ge­nes Wei­ter­kom­men einem Mann, der seine Frau nie für sie ver­las­sen würde, op­fert.

Doris lässt sich auch nach der ge­schei­ter­ten Be­zie­hung zu Hu­bert nicht von ihren Kar­rie­re­plä­nen ab­hal­ten und er­hofft sich von einer Sta­tis­ten­rol­le am Thea­ter, die eine Be­kann­te der Mut­ter ver­mit­telt hat, eine Wende in ihrem Leben. Da sie von den an­de­ren Mäd­chen am Thea­ter, die auf eine Schau­spiel­schu­le oder das Kon­ser­va­to­ri­um gehen, nicht an­er­kannt wird, er­fin­det sie eine Af­fä­re mit dem Di­rek­tor. Die an­de­ren Mäd­chen kann sie damit be­ein­dru­cken. Doch von nun muss sie stets be­fürch­ten, dass ihr Schwin­del ent­deckt wird. Dazu ge­sel­len sich Scham­ge­füh­le wegen ihrer man­geln­den Bil­dung, die sie leicht zum Ziel des Spotts ma­chen kön­nen. Dort ist je­doch auf­merk­sam genug, die Dis­kre­panz zwi­schen dem Be­stre­ben der Mäd­chen der hö­he­ren Schu­le nach Ab­gren­zung von den nie­de­ren Schich­ten und sich gleich­zei­tig als Schau­spie­le­rin­nen als ein Mäd­chen des Pro­le­ta­ri­ats aus­zu­ge­ben, wahr­zu­neh­men. Durch eine sim­ple In­tri­ge ge­lingt es Doris, in die Schau­spiel­schu­le auf­ge­nom­men zu wer­den. Das ur­sprüng­lich vor­ge­se­he­ne Mäd­chen wird von ihr, als der Ter­min zum Vor­spre­chen ge­kom­men ist, auf der Toi­let­te ein­ge­sperrt. Doris lernt nun die Schau­spie­le­rei. Zur er­folg­rei­chen Pre­mie­re ihres ers­ten Films kom­men alle Ex-Män­ner außer Hu­bert. Doris glaubt nun ihr Ziel, ein „Glanz“ zu wer­den, er­reicht zu haben. Doch Schuld­ge­füh­le trü­ben ihre Freu­de: Sie hat sich die Rolle durch eine er­fun­de­ne Af­fä­re und In­tri­ge er­schli­chen. Um Hu­bert bei einem Tref­fen zu ge­fal­len, stiehlt sie au­ßer­dem einen Pelz­man­tel aus der Gar­de­ro­be des Thea­ters, wo ihre Mut­ter ar­bei­tet. Sie gibt dem Pelz­man­tel, der auch eine ge­sell­schaft­li­che Stel­lung re­prä­sen­tiert, die sie nicht in­ne­hat, einen Namen: „Feh“. Der dro­hen­de Ab­stieg wird ihr bald deut­lich. Sie er­kennt, dass ihre Liebe zu Hu­bert, auch nach­dem ihn seine Ge­lieb­te ver­las­sen hat, aus­sichts­los ist. Er hat seine Kar­rie­re­plä­ne auf­ge­ge­ben und will sie nur um ihre – nicht vor­han­de­ne - Gage brin­gen. Ent­täuscht, aber auch um der Ent­de­ckung zu ent­ge­hen, ver­lässt Doris ihren Hei­mat­ort und flieht nach Ber­lin.

Der zwei­te Teil des Ro­mans be­ginnt mit Doris’ An­kunft, den ers­ten Tagen ihres Auf­ent­halts in Ber­lin und den über­wäl­ti­gen­den Ein­drü­cken der Groß­stadt und ihrer Be­woh­ner auf Doris. Auch wenn das Datum ihrer An­kunft nicht er­wähnt wird, kann man es auf den 27.09.1931 da­tie­ren, denn Doris be­schreibt, wie sie Au­gen­zeu­gin des Staats­be­suchs des fran­zö­si­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Pier­re Laval und des fran­zö­si­schen Au­ßen­mi­nis­ters Aris­ti­de Bri­and wird. In Ber­lin wird sie stär­ker als in ihrer Hei­mat­stadt mit po­li­ti­schen Ideen wie dem auf­kei­men­den Na­tio­na­lis­mus und An­ti­se­mi­tis­mus kon­fron­tiert. Sie be­kennt, dass sie nichts von Po­li­tik ver­steht und damit über­for­dert ist, sich selbst durch das Lesen von Zei­tun­gen zu in­for­mie­ren. Auf­klä­rung er­hofft sie sich von Män­nern, die aber nur an einer Af­fä­re mit ihr in­ter­es­siert sind.

Doris’ Auf­ent­halt ist ge­prägt von wech­seln­den Wohn­stät­ten: Zu­nächst kommt sie bei Mar­g­re­te, einer Freun­din von The­re­se, unter. Kaum an­ge­kom­men, muss Doris sich eine Blei­be su­chen, da Mar­g­re­te, die mit ihrem ar­beits­lo­sen, un­freund­li­chen Mann in engs­ten Ver­hält­nis­sen lebt, ein ein Kind be­kommt und der Platz nicht mehr aus­reicht. Mar­g­re­te ver­mit­telt ihr die Adres­se Tilli Sche­rers, die eine Kar­rie­re beim Film an­strebt, aber keine Rol­len be­kommt. Auch Tilli lei­det unter ihrem rück­sichts­lo­sen Mann, ord­net sich ihm aber den­noch unter. An­ders als Tilli macht sich Doris wenig Il­lu­sio­nen über ihre be­ruf­li­chen Mög­lich­kei­ten wie etwa einer Kar­rie­re beim Film. Sie pflegt vor allem Be­kannt­schaf­ten mit Män­nern, die ihren Le­bens­un­ter­halt ga­ran­tie­ren. So lässt sie sich mit einem ver­hei­ra­te­ten Schrift­stel­ler ein, den sie den „roten Mond“ nennt. Ob­wohl er ihr teure Ge­schen­ke macht, ver­ab­scheut sie ihn. Bei ihren Tref­fen stielt sie heim­lich Klei­dungs­stü­cke der Frau des Schrift­stel­lers. Es fol­gen di­ver­se wei­te­re Af­fä­ren. Doch mit der Zeit wächst in Doris die Sehn­sucht nach wah­rer Liebe und einem Mann, zu dem sie sich hin­ge­zo­gen fühlt. Die Er­fah­run­gen mit den zahl­rei­chen Part­nern ver­än­dert ihre ge­ne­rel­le Hal­tung ge­gen­über Män­nern. Ro­man­ti­sche Liebe exis­tiert in ihrer Welt nicht, häu­fig do­mi­nie­ren Ge­walt und Bru­ta­li­tät ge­gen­über Frau­en, z. B. in Per­son des Nach­barn von Tilli, einem Zu­häl­ter, der Frau­en immer wie­der schlägt.

Zu einem wei­te­ren Nach­barn, dem blin­den Bren­ner, ent­wi­ckelt Doris eine in­ni­ge Be­zie­hung, die je­doch nicht auf Liebe, son­dern auf ge­gen­sei­ti­gem Re­spekt ba­siert. An­ders als in den an­de­ren Paar­be­zie­hun­gen ist hier ein Mann sei­ner kalt­her­zi­gen Frau aus­ge­lie­fert. Seine Ein­sam­keit er­weckt Mit­leid in Doris und sie be­müht sich darum, ihm Ber­lin „sicht­bar“ zu ma­chen, indem sie ihm in einer Rei­hung he­te­ro­ge­ner Bil­der die Stadt und auch sich selbst be­schreibt. Als aus der Er­zäh­lung Wirk­lich­keit wird und sie Bren­ner, bevor ihn seine Frau in einem Heim un­ter­bringt, die Stadt bei einem bei einem Aus­flug zei­gen will, re­agiert Bren­ner an­ge­sichts der Schat­ten­sei­ten der Me­tro­po­le er­nüch­tert. Er sehnt sich nach Natur und Ein­sam­keit. Dies ver­än­dert auch Doris’ Wahr­neh­mung der Stadt. Gleich­zei­tig er­kennt sie, dass Bren­ner sie nicht (mehr) braucht. Er dis­tan­ziert sich zu­neh­mend von ihr. Sie stützt sich in Af­fä­ren, zum Bei­spiel mit Alex­an­der, einem ver­hei­ra­te­ten Mann, von des­sen Reich­tum Doris bis zu des­sen Ver­haf­tung pro­fi­tiert, sowie mit Til­lis Mann, die dazu führt, dass sie die Woh­nung ver­las­sen muss. Nach ver­geb­li­chen Ver­su­chen, eine neue Un­ter­kunft zu fin­den, endet der zwei­te Teil mit der Ob­dach­lo­sig­keit Doris’.

Zu Be­ginn des drit­ten Teils be­fin­det sich Doris in einer exis­ten­ti­el­len Krise, auch ihre Kör­per­kräf­te schwin­den an­ge­sichts der schwie­ri­gen Le­bens­si­tua­ti­on und des Hun­gers. Um der Win­ter­käl­te zu ent­ge­hen, hält sich häu­fig im War­te­saal des Bahn­hofs Zoo auf. Sie schläft in einem Taxi und be­fin­det sich auf dem Weg, zu einer Pro­sti­tu­ier­ten zu wer­den. In die­ser Si­tua­ti­on bie­tet ihr kurz nach Sil­ves­ter 1932 ein Mann Un­ter­kunft bei sich an. Zu­nächst fühlt sie sich von ihm ab­ge­sto­ßen und be­zeich­net ihn als „grü­nes Moos“. Ernst, wie er ei­gent­lich heißt, ist von sei­ner Frau ver­las­sen wor­den, will nicht al­lei­ne sein und küm­mert sich um Doris, ohne An­sprü­che zu stel­len. Schließ­lich ver­liebt sie sich in ihn und führt ein häus­li­ches, so­li­des Leben mit ihm. Sie ist sogar be­reit, auf sei­nen Wunsch hin ihren „Feh“ der Be­sit­ze­rin zu­rück­zu­schi­cken. Als sie aber merkt, dass er seine Frau nicht ver­ges­sen kann, be­wegt sie diese zur Rück­kehr und ver­lässt selbst die Woh­nung. Des­il­lu­sio­niert und von Selbst­mord­ge­dan­ken ge­plagt muss sie er­ken­nen, dass ihr wegen ihrer feh­len­den Bil­dung jeg­li­che Mög­lich­kei­ten eines er­füll­ten Le­bens und ge­sell­schaft­li­chen Auf­stiegs ver­wehrt blei­ben. Sie fühlt sich nir­gend­wo zu­ge­hö­rig und hat vor­erst auch keine Blei­be. Im of­fe­nen Ende des Ro­mans stellt sie ihr Le­bens­kon­zept, ein „Glanz“ wer­den zu wol­len, und damit auch die Ober­fläch­lich­keit des Le­bens und der gla­mou­rö­sen Me­tro­po­le in Frage.

Text­aus­ga­ben:

Keun, Irm­gard: Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen. Mit Ma­te­ria­li­en, aus­ge­wählt von Jörg Ul­rich Meyer-Both­ling. 5. Auf­la­ge Mün­chen 1992 (1989).

Keun, Irm­gard: Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen. Mün­chen 1995.

Keun, Irm­gard: Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen. Ber­lin 2011.

Keun, Irm­gard: Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen. Ber­lin 2017.

Erst­aus­ga­be: Keun, Irm­gard: Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen. Ber­lin 1932.

Keun: „Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen“: Her­un­ter­la­den [pdf][190 KB]