Wilhelm Raabe: Stopfkuchen – Eine See- und Mordgeschichte (1891)
Empfehlung für das LeistungsfachKurzinformation
Der Auswanderer Eduard kehrt nach vielen Jahren in sein preußisches Heimatstädtchen zurück. Dort sucht er einige Tage nach seiner Ankunft seinen ehemaligen Mitschüler Heinrich Schaumann auf. Wegen seiner Körperfülle hat man Schaumann in der Schule als „Stopfkuchen“ verspottet und ausgegrenzt. Schaumann erzählt Eduard, wie sich sein Leben nach der leidvollen Schulzeit inzwischen zum Besseren gewendet hat. Er hat geheiratet und ist sogar Herr über ein kleines Landgut, das ihm sein Schwiegervater vermacht hat. Lange hat man Schaumann und seine Familie in der Kleinstadt ausgegrenzt, weil sein Schwiegervater des Mordes an einem Pferdehändler verdächtig gewesen ist. Im Gespräch mit Eduard enthüllt Schaumann jedoch sein bislang verschwiegenes Wissen über den tatsächlichen Mörder. Tief bewegt von der Begegnung mit seinem ehemaligen Mitschüler verlässt Eduard Preußen und segelt zurück in seine Wahlheimat Südafrika. Noch auf dem Schiff schreibt er seine Erlebnisse nieder.
Der recht unspektakuläre Plot der Erzählung kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass Raabe mit seinem bekanntesten Roman thematisch und auch erzähltechnisch Neuland betritt. Lange blieb dies auch der Raabe-Forschung verborgen, die den Stopfkuchen vornehmlich als moralisierende Kritik am Provinzialismus des Kaiserreichs mit Schaumann als antibürgerlichem Helden gelesen hat. Neuere Lesarten verweisen jedoch auf die erzählerische Raffinesse Raabes, der die preußische Provinz mit dem südafrikanischen Kolonialismus verklammert. Vor allem die Titelfigur, die nur vordergründig als Sympathieträger angelegt ist, entpuppt sich ganz wie ihr koloniales Spiegelbild Eduard als schizophrenes Opfer einer gewaltvollen Sozialisation (vgl. Baßler, Winkels, 2019). Raabes komplexes Erzählgeflecht aus verschiedenen geographischen und zeitlichen Ebenen macht den Roman in ungewöhnlicher Weise anschlussfähig an zeitgenössische wie aktuelle Debatten (Ideologiekritik, Diskriminierungsdiskurse, gesellschaftliche Zerrüttung, Postkolonialismus).
Textausgaben:
Wilhelm Raabe: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Textausgabe mit Anmerkungen, Worterklärungen, Literaturhinweisen und einem Nachwort von Alexander Ritter, Stuttgart 1986 (= Reclam Universal-Bibliothek 9393)
Wilhelm Raabe: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte Edition Holzinger. Taschenbuch. Berliner Ausgabe, Berlin 2016
Wilhelm Raabe: Stopfkuchen – Eine See- und Mordgeschichte (1891)
Literaturwissenschaftl. Einordnung & Deutungsperspektiven
Raabe: „Stopfkuchen“: Herunterladen [pdf][208 KB]
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