Literaturwissenschaftl. Einordnung & Deutungsperspektiven
Die Räuber entstehen größtenteils um 1780, während Schiller noch ein zusätzliches Jahr an der Militärschule von Herzog Carl Eugen bleiben muss. Die von Schiller heimlich besuchte Uraufführung findet 1782 in Mannheim statt. Sie ist ein großer Publikumserfolg. Gefördert wird sie durch den Intendanten des Mannheimer Hoftheaters Wolfgang Heribert von Dalberg. Besondere Höhepunkte der Inszenierung stellen die eindrücklichen Gebärden Franzens durch den Schauspieler Iffland in der Mannheimer-Inszenierung sowie die Sprengkraft des Rebellischen und des Revolutionären – etwa in der Berliner Aufführung Piscators von 1926 – dar (vgl. zur Rezeptionsgeschichte ausführlich: Sautermeister 2013). Das Sturm-und-Drang-Drama erscheint 1781 als Lesedrama. Es gehört zu den meistrezipierten Dramen des Sturm und Drang und fordert heute noch viele Regisseure zu Neuinszenierungen auf prominenten Bühnen Deutschlands heraus.
Gemäß dem Aufbrechen der drei aristotelischen Einheiten von Zeit, Ort und Handlung spielt die Handlung an verschiedenen Orten (böhmische Wälder, Schloss u.a.), der zeitliche Rahmen beträgt ungefähr zwei Jahre und die Handlung weist verschiedene Stränge auf. Vereinfacht gesagt verlaufen die Franz- und die Karl-Handlung lange Zeit parallel nebeneinander und sind dabei aufeinander bezogen, auch wenn sich die verfeindeten Brüder nie treffen. Beeindruckend ausgestaltet sind vor allem die Charaktere der Brüder. Im Rahmen der „doppelten Tragödie der feindlichen Brüder“ (Brittnacher 2011) laden beide Söhne Moors mit ihren extremen Charakteren und ihrer verbrecherischen Radikalität Schuld auf sich. An der Figur des Franz zeigt sich eindrücklich, wie tiefgreifend sich Zurücksetzung und fehlende Liebe in der Familie auswirkt. Aus der familiären Benachteiligung generieren sich Frustrationen, Ressentiments und übermäßige Gewalt zur Kompensation. Franz’ nihilistische und materialistische Lebensphilosophie verteidigt das Recht des Stärkeren („Das Recht wohnet beim Überwältiger […]“, I, 1). Besonders seine pessimistischen Weltanschauungen, aber auch Karls gesellschaftskritische Einsichten werden über lange Monologe vermittelt, die einen unmittelbaren Einblick in die Gedankenwelt der Protagonisten erlauben. Den rational agierenden Menschenverächter Franz plagen letztlich Gewissensqualen, die in der Imagination des Jüngsten Gerichts kulminieren und ihn in den Wahnsinn und Selbstmord treiben, womit die Umkehr seiner Perversion rationaler Argumentationen durch ausbrechende Affekte wie die irrationalen Todesängste vorgestellt wird. Der durch seine Gefühle gesteuerte Karl verwirft hingegen einen Selbstmord als Ausweg. Seine Opferung und Tötung Amalias und sein Entschluss, sich selbst der weltlichen Gerichtsbarkeit freiwillig auszuliefern, können als Versuche gewertet werden, die durch ihn gestörte Ordnung wieder herzustellen. Dabei kommen allerdings auch wieder seine Selbstbezogenheit und sein Hang zur Großtuerei zum Vorschein.
Beide Brüder reiben sich letztlich an einer gestörten Väterordnung auf, die zugleich Züge des familiären, politischen wie religiösen Vaters (Familienoberhaupt, Fürst/Herrscher, Gott) trägt. Diese geht auf den überempfindsamen und schwachen Vater zurück, der sich im Blick auf beide Söhne als „schlechter Erzieher“ (Martini 1972) erweist. Derart überlagern sich der Familien- und Gesellschaftskonflikt (vgl. Martini 1972).
Inhaltlich kann das Drama demnach gleichermaßen als Dokument für eine kritische Durchdringung der Aufklärung, des Idealismus und der Empfindsamkeit betrachtet werden (vgl. Brittnacher 2011). Die problematische Variante einer „Dialektik der Aufklärung“ (vgl. Hinderer 2005) verkörpert der nihilistische und materialistische Franz, der ohne ethischen Horizont Zerstörungen rational und zynisch kalkuliert. Mit der Figur Karls wird zugleich das Scheitern einer ausufernden Selbstherrlichkeit des Genies mit seinem Hang zum Gefühlsüberschwang thematisiert (vgl. Hinderer 2005). Sein überspannter Idealismus und sein Selbsthelfertum erweisen sich ebenfalls als explosiv. Amalia und der schwache Vater verkörpern Aspekte der Empfindsamkeit wie Rührseligkeit und Schwärmerei.
Mit seinen epischen und lyrischen Einlagen, seinen Anklängen an die Operntradition und an die szenische Gebärdensprache des Balletts erweitert Schiller die Dimensionen des Theaters (vgl. Hinderer 2005, Brittnacher 2011, Sautermeister 2013.). Im Drama hebt sich ferner eine hochpathetische Tragödiensprache von der groben Ausdrucksweise der kraftmeierischen Räuber ab. Der kultische Charakter der attischen Tragödie zeigt sich am Ende, als Amalias Sühneopfer für die Räuber geradezu eine kathartische Funktion entwickelt.
Betrachtet man die Gewaltexzesse der Brüder als Ausdruck ihres narzisstischen Größenwahns, offenbart ihre „doppelte Opferhandlung“ zuletzt, wie fragil ihre Aufklärungsexperimente sind, da sie sich geradezu von innen heraus selbst zerstören (vgl. Brittnacher 2011).
Schiller: „Räuber“: Herunterladen [pdf][184 KB]
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