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Ge­dan­ken­le­sen von Natur aus

Diese Idee ent­stammt dabei kei­nes­wegs der Sci­ence-Fic­tion-Li­te­ra­tur. Schließ­lich sind wir alle von Natur aus mit der (al­ler­dings be­grenz­ten) Fä­hig­keit aus­ge­stat­tet, zu er­ken­nen, was ge­ra­de im In­ne­ren eines Ge­gen­übers vor sich geht. In die­sem Zu­sam­men­hang spricht man auch in der For­schungs­li­te­ra­tur von „mind rea­ding" (1-4). Was die neu­ro­na­len Grund­la­gen die­ser auch „theo­ry of mind" oder „men­ta­li­zing" ge­nann­ten Fä­hig­kei­ten sind, ist schon aus­führ­lich in MRT-Stu­di­en un­ter­sucht wor­den (5-9). In­ter­es­sant ist, dass bei den Auf­ga­ben des na­tür­li­chen Ge­dan­ken­le­sens ein ähn­li­ches Netz­werk von Hirn­re­gio­nen ak­ti­viert zu sein scheint wie auch beim Lösen mo­ra­li­scher Pro­ble­me (10) oder selbst­be­zo­ge­ner Auf­ga­ben (11, 12).

Für die kli­ni­sche For­schung ist etwa re­le­vant, dass Pa­ti­en­ten mit au­tis­ti­scher Stö­rung bei die­sen Auf­ga­ben be­ha­viora­le De­fi­zi­te zei­gen, die in jüngs­ter Zeit auch mit bild­ge­ben­den Ver­fah­ren un­ter­sucht wur­den (13-16). Un­ter­schie­de zu ge­sun­den Ver­suchs­per­so­nen wur­den dabei bei­spiels­wei­se im so­ge­nann­ten Spie­gel­neu­ron­sys­tem fest­ge­stellt, das wie­der­um als plau­si­bler Kan­di­dat für un­se­re Fä­hig­keit ge­han­delt wird, uns ge­dank­lich in an­de­re hin­ein­zu­ver­set­zen (1,17).

Jen­seits un­se­rer na­tür­li­chen Fä­hig­kei­ten ver­su­chen Hirn­for­scher mit­hil­fe ihrer Mess­da­ten vor­her­zu­sa­gen, wel­cher ko­gni­ti­ve Pro­zess ge­ra­de in einer Ver­suchs­per­son vor­geht. Einen frü­hen Ver­such hier­zu un­ter­nah­men Kath­le­en O'Cra­ven und Nancy Kan­wis­her be­reits 2000. Sie zeig­ten Pro­ban­den im Hirn­scan­ner Bil­der von Ge­sich­tern und Plät­zen und baten sie in einem zwei­ten Ex­pe­ri­ment, sich zu be­stimm­ten Zeit­punk­ten diese Ob­jek­te le­dig­lich vor­zu­stel­len. Dabei mach­ten sich die For­sche­rin­nen die hohe funk­tio­na­le Spe­zi­fi­zi­tät zwei­er Hirn­re­gio­nen zu Nutze, die auf eben diese Sti­mu­li, Ge­sich­ter und Plät­ze, be­son­ders stark re­agie­ren: das so­ge­nann­te fu­si­for­me Ge­sichts­are­al (FFA) im ven­tra­len ok­zi­pi­to-tem­po­ra­len Kor­tex sowie ein wei­ter vorne und innen im kol­la­te­ra­len Sul­kus ge­le­ge­nes kor­ti­ka­les Areal, das als pa­rahip­po-cam­pa­le Platz­re­gi­on (PPA) be­zeich­net wird.

Bei der Aus­wer­tung der ge­mes­se­nen BOLD-Si­gna­le, die ein In­di­ka­tor für die neu­ro­na­le Ak­ti­vi­tät sind, konn­ten sie an­hand der in­di­vi­du­el­len Si­gnal­ver­läu­fe, also den MRT-Roh­da­ten, hin­ter­her be­stim­men, wann eine Ver­suchs­per­son ein Ge­sicht sah und wann einen Platz, da für ers­te­re die Si­gna­le in der FFA im Mit­tel um 1,94%, für letz­te­re in der PPA um 0,91% höher waren (18). In­ter­es­san­ter­wei­se ge­lang ihnen dies selbst dann, wenn die Pro­ban­den sich Ge­sich­ter oder Plät­ze ein­fach nur vor­stell­ten (0,72 be­zie­hungs­wei­se 0,69%).

Ein ex­ter­ner Gut­ach­ter, der nicht in die ex­pe­ri­men­tel­le Pro­ze­dur ein­ge­weiht war, konn­te an­hand die­ser Si­gnal­ver­läu­fe mit 85%iger Ge­nau­ig­keit be­stim­men, wann sich eine Ver­suchs­per­son ge­ra­de ein Ge­sicht und wann einen Platz vor­stell­te. Da es genau zwei Mög­lich­kei­ten gab, liegt die­ses Er­geb­nis deut­lich über dem Zu­falls­wert von 50%.

O'Cra­ven und Kan­wis­her zie­hen aus die­sen Er­geb­nis­sen die weit­rei­chen­den Schlüs­se, dass „der In­halt ein­zel­ner men­ta­ler Er­eig­nis­se mit einer hohen Ge­nau­ig­keit an­hand der fMRT-Roh­da­ten be­stimmt wer­den konn­te" und „der Traum davon, neu­ro­na­le Kor­re­la­te ein­zel­ner und dis­kre­ter men­ta­ler Er­eig­nis­se" nun „Rea­li­tät ge­wor­den ist" (18: 1019).

Wenn man bei­spiels­wei­se be­denkt, dass die Un­ter­schei­dung nur sehr grob­kör­nig für die all­ge­mei­nen Ka­te­go­ri­en der Ge­sich­ter und Plät­ze funk­tio­nier­te und nicht für be­stimm­te Ge­sich­ter, etwa das von Al­bert Ein­stein ge­gen­über dem An­ge­la Mer­kels, und dass es in ihrem Ex­pe­ri­ment außer den bei­den Ziel­klas­sen keine Kon­troll­ka­te­go­rie gab, zum Bei­spiel mit All­tags­ge­gen­stän­den oder Tier­fo­tos, dann wür­den wohl nicht nur kri­ti­sche phi­lo­so­phi­sche Be­gut­ach­ter, son­dern auch ihre neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Kol­le­gen die Schluss­fol­ge­run­gen als zu hoch ge­grif­fen zu­rück­wei­sen.

O'Cra­ven und Kan­wis­her kam für ihr Ex­pe­ri­ment also die Hirn­phy­sio­lo­gie ent­ge­gen, denn nur das Vor­han­den­sein so hoch spe­zia­li­sier­ter Re­gio­nen wie FFA und PPA haben die Vor­her­sa­ge an­hand der fMRT-Daten mit ihrer ein­fa­chen Me­tho­de er­laubt. An­de­re Un­ter­su­chun­gen haben zudem ge­zeigt, dass die FFA nicht aus­schließ­lich bei Ge­sich­tern, son­dern auch Bil­dern be­stimm­ter emo­tio­na­ler Va­lenz ak­ti­viert ist (19). Kan­wis­hers Theo­rie über die Ge­sichts­spe­zi­fi­zi­tät der FFA wi­der­spre­chen au­ßer­dem star­ke Ak­ti­vie­run­gen für Bil­der von Autos, die man bei Au­to­ex­per­ten ge­fun­den hat, oder für Bil­der von Vö­geln, die man bei Or­ni­tho­lo­gen ge­fun­den hat (20).

Damit würde die FFA also nicht nur spe­zi­fisch für Ge­sich­ter ak­ti­viert, son­dern ge­ne­rell für alle Sti­mu­li, für die eine Ver­suchs­per­son eine be­stimm­te Ex­per­ti­se ent­wi­ckelt hat (21). Al­ler­dings: In­zwi­schen weiß man aus Un­ter­su­chun­gen mit Ein­zel­zellablei­tun­gen bei Epi­lep­sie­pa­ti­en­ten, dass in­di­vi­du­el­le Ge­sich­ter, etwa das der Schau­spie­le­rin Jen­ni­fer Anis­ton, un­ab­hän­gig von der kon­kre­ten Be­trach­tungs­per­spek­ti­ve im me­dia­len Tem­po­ral­lap­pen von Men­schen ganz spe­zi­fi­sche neu­ro­na­le Feue­rungs­mus­ter her­vor­ru­fen (22).

Eine Un­ter­schei­dung von ge­se­he­nen oder vor­ge­stell­ten in­di­vi­du­el­len Ge­sich­tern auf die­ser fein­kör­ni­gen Ebene scheint damit zu­min­dest prin­zi­pi­ell mög­lich.

Wei­ter: Kino im Hirn­scan­ner