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Herausforderungen für die Zukunft

Im Bereich des "cognitive Enhancements" werden wir auf viele Probleme zusteuern. Bereits jetzt gibt es eine zwar kleine, aber doch relevante Gruppe an Studierenden, die zu Stimulanzien greift, um ihre Leistung mutmaßlich zu verbessern. Auch in dem Maße, wie unsere Gesellschaft kompetitiver wird, wird die Nachfrage nach alternativen Wegen zur Leistungssteigerung zunehmen. Sean McCabe konnte in seiner groß angelegten Studie auch zeigen, dass sich die Prävalenz des Missbrauchs im letzten Jahr in weniger kompetitiven Umgebungen (1,3%) von der in kompetitiveren (4,5%) und sehr kompetitiven Umgebungen (5,9%) signifikant unterscheidet (19). Dieser Missbrauch wirkt sich auch auf die anderen aus, die darum fürchten müssen, dass ihre"natürliche" Leistung im relativen Vergleich schlechter abschneiden wird. Aus diesem Grund spricht Anjan Chatterjee von der Universiiy of Pennsylvania in Anlehnung an den Roman "Alice im Wunderland" von dem "Red Queen principle" (22): Eines Tages könnte es so weit sein, dass man sich "kognitiv enhancen" muss, um im Wettbewerb relativ gesehen einfach nur gleich gut zu bleiben -so wie die rote Königin im Roman unter großer Anstrengung in beide entgegengesetzte Richtungen läuft, ohne sich vom Fleck zu rühren. Spätestens dann, wenn sich die Mitbewerber auf eine Stelle zum "cognitive Enhancement" bekennen, könnte es zu einer Benachteiligung und damit zu einem passiven Druck auf diejenigen kommen, die sich nicht "enhancen" wollen. Hier kollidieren individuelle Freiheitsrechte mit einem individuellen Schutz vor indirektem Zwang zum "Enhancement". Das Problem auf gesellschaftlicher Ebene zu ignorieren, führt nicht zu seinem Verschwinden, sondern zu anderen Regulationsmechanismen. Die Nachfrage derjenigen, welche die Risiken vernachlässigen, sich ein zusätzliches Plus an Leistungsfähigkeit wünschen, gesellschaftliche Restriktionen ignorieren und das nötige Kleingeld dafür besitzen, trifft schon heute auf ein breites Angebot auf dem Internet-Schwarzmarkt.

Um das Problem auf gesellschaftlicher Ebene zu regulieren, muss es erst einmal als solches wahrgenommen werden. Dabei sollte man weder die Möglichkeiten der Psychophannakologie dämonisieren, noch naiven Heils- oder Werbeversprechungen folgen. Eine nicht unrealistische Option besteht darin, bestimmten Berufsgruppen, bei denen kognitive Leistung besonders (lebens-)wichtig ist, beispielsweise Piloten oder Ärzten, ein "Enhancement" über das natürliche Maß hinaus zu erlauben. Der gesellschaftliche Nutzen dieser Form davon wäre evident. Ob das auch für Schüler oder Studierende gilt, die sich auf Prüfungen vorbereiten, steht auf einem anderen Blatt. Im Falle eines Verbots des "cognitive Enhance-ments" für schulische Lernleistung müsste seine Einhaltung auch kontrolliert werden, wie es schon im Sport der Fall ist. Denn es wäre eine naive Vorstellung, dass sich alle an ein Verbot halten würden und damit die Fairness im gesellschaftlichen Wettbewerb gewahrt bliebe. Vielleicht werden die Abiturienten in Zukunft also einmal zur Urinprobe gebeten, bevor sie den Prüflingsraum betreten dürfen.

Insgesamt sollte aber nicht vergessen werden, dass es sich bei vielen Problemen, die uns zum "cognitive enhancement" treiben könnten, um gesellschaftliche Probleme handelt und sich Lösungen jenseits der Pharmakologie anbieten. Wie wäre es z.B. mit ausreichenden Ruhezeiten für Piloten und Ärzte?

Eines jedoch ist klar: Davon, einen guten "cognitive Enhancer" zu haben, der die Leistung nicht nur in einzelnen kognitionspsychologischen Tests, sondern in der Alltagswelt verbessert, ohne ein Gesundheitsrisiko darzustellen, sind wir noch meilenweit entfernt. Doch natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Substanz entwickelt wird. Bis wir auch das nötige Wissen hätten, um eine informierte politische Entscheidung zu treffen, würden erst noch Jahre, wenn nicht gar Dekaden vergehen, bevor die notwendigen ökologisch vali-den und langfristigen Tests durchgeführt wären. Das BeispielderAmphetaniine lehrt uns, dass auch mehr als 100 Jahre Forschung vergehen können und sich immer noch mehr neue Fragen zu den Wirkmechanismen ergeben, als Antworten gefunden werden (23). Wir können und müssen aber schon heute darüber entscheiden, ob "cognitive Enhancement" ein erstrebenswertes Ziel ist und wir solche Versuchsreihen deshalb fördern sollten. Bis die relevanten Fragen gelöst sind, muss man aber vor individuellen Selbstversuchen ebenso warnen wie vor Drogengebrauch, denn der alte Lehrsatz der Pharmakologie gilt nach wie vor: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung.

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Schleim, S; Walter, H.; Cognitive Enhancement. Fakten und Mythen; in: Nervenheilkunde 1-2 / 2007, S. 83-87.

Nervenheilkunde

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