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Stun­den 7 und 8

Las­sen sich psy­chi­sche Er­leb­nis­se auf Pro­zes­se im Ge­hirn zu­rück­füh­ren?

Fra­gen­de*r: Alexa, wie schmeckt Scho­ko­la­de?
Alexa: Da bin ich mir lei­der nicht si­cher.

Qua­lia-Pro­blem und Wil­lens­frei­heit

Tho­mas Nagel (*1937), Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie und Recht an der New York Uni­ver­si­ty, be­kannt durch sei­nen Essay „What Is It like to Be a Bat?“ (1974), setzt sich auch in sei­ner Phi­lo­so­phie-Ein­füh­rung „What Does It All Mean?“ (1987) mit der Be­deu­tung der Hirn­for­schung für die Phi­lo­so­phie des Geis­tes aus­ein­an­der.

„Beißt man in eine Tafel To­ble­ro­ne, so schmeckt es nach Scho­ko­la­de. Haut einem je­mand eins über den Kopf, so wird man ohn­mäch­tig. Sol­che Be­le­ge zei­gen, dass jeder Vor­gang im Geist oder im Be­wusst­sein von einem ent­spre­chen­den Vor­gang im Ge­hirn [neu­ro­na­len Kor­re­la­ten des Be­wusst­seins] ab­hän­gen muss. […] Was ge­schieht bei­spiels­wei­se, wenn man in einen Scho­ko­la­den­rie­gel beißt? Die Scho­ko­la­de schmilzt auf un­se­rer Zunge und ver­ur­sacht che­mi­sche Re­ak­tio­nen in un­se­ren Ge­schmacks­zel­len; die Ge­schmacks­zel­len sen­den elek­tri­sche Im­pul­se durch die Ner­ven hin­durch, die von un­se­rer Zunge zu un­se­rem Ge­hirn füh­ren, und wenn diese Im­pul­se das Ge­hirn er­rei­chen, so er­zeu­gen sie doch wei­te­re phy­si­ka­li­sche Re­ak­tio­nen; und schließ­lich emp­fin­den wir den Ge­schmack von Scho­ko­la­de. Was ist je­doch er? Kann er schlicht mit einem phy­si­ka­li­schen Er­eig­nis in ei­ni­gen un­se­rer Hirn­zel­len iden­tisch sein, oder muss es sich bei ihm um etwas Grund­ver­schie­de­nes han­deln?

Würde ein Wis­sen­schaft­ler un­se­re Schä­del­de­cke ent­fer­nen und in unser Ge­hirn hin­ein­se­hen, wäh­rend wir den Scho­ko­rie­gel essen, so würde er nichts wei­ter sehen als eine graue Masse von Ner­ven­zel­len. Würde er mit Mess­in­stru­men­ten be­stim­men, was dort vor sich geht, so würde er kom­pli­zier­te phy­si­ka­li­sche Vor­gän­ge der un­ter­schied­lichs­ten Art ent­de­cken. Fände er je­doch den Ge­schmack von Scho­ko­la­de? Es sieht so aus, als könn­te er ihn in un­se­rem Ge­hirn nicht fin­den, da un­se­re Emp­fin­dung des Ge­schmacks von Scho­ko­la­de in un­se­rem Geist auf eine Weise ein­ge­schlos­sen ist, die sie für jeden an­de­ren un­zu­gäng­lich macht – auch wenn er un­se­ren Schä­del öff­net und in unser Ge­hirn hin­ein­blickt. Un­se­re Er­leb­nis­se sind im In­nern un­se­res Geis­tes in einem an­de­ren Sinn von „innen“ als jenem, in dem unser Ge­hirn sich im In­nern un­se­res Kop­fes be­fin­det. Ein an­de­rer kann un­se­ren Schä­del öff­nen und sich sein In­nen­le­ben an­se­hen, er kann je­doch nicht un­se­ren Geist öff­nen und in ihn hin­ein­bli­cken – zu­min­dest nicht auf die glei­che Weise. […] Wenn un­se­re Er­leb­nis­vor­gän­ge auf eine an­de­re Weise in un­se­rem Be­wusst­sein sind, als sich die ent­spre­chen­den Ge­hirn­pro­zes­se in un­se­rem Ge­hirn be­fin­den, so sieht es so aus, als könn­ten un­se­re Er­leb­nis­se und an­de­re psy­chi­sche Zu­stän­de nicht ein­fach bloß phy­si­ka­li­sche Zu­stän­de un­se­res Ge­hirns sein. Wir müs­sen dem­nach mehr sein als bloß ein Kör­per mit sei­nem brau­sen­den Ner­ven­sys­tem. […]

Die Auf­fas­sung, dass das Ge­hirn der Ort des Be­wusst­seins ist, dass je­doch seine be­wuss­ten Zu­stän­de keine bloß phy­si­ka­li­schen Zu­stän­de sind, be­zeich­net man als Dop­pel­as­pekt-Theo­rie. Man nennt sie so, da sie be­sagt, dass mein Hin­ein­bei­ßen in eine Tafel Scho­ko­la­de in mei­nem Ge­hirn einen Zu­stand oder Vor­gang mit zwei As­pek­ten her­vor­ruft: einen phy­si­ka­li­schen As­pekt, der die viel­fäl­ti­gen che­mi­schen und elek­tri­schen Re­ak­tio­nen ein­schließt und einen psy­chi­schen As­pekt – der Ge­schmacks­emp­fin­dung von Scho­ko­la­de. […] Wir kön­nen diese Po­si­ti­on so for­mu­lie­ren, dass wir uns ihr zu­fol­ge nicht aus einem Kör­per plus Seele zu­sam­men­set­zen - son­dern le­dig­lich ein Kör­per sind, dass je­doch unser Kör­per, oder zu­min­dest unser Ge­hirn, kein bloß phy­si­ka­li­sches Sys­tem ist. Er ist ein Ob­jekt mit so­wohl phy­si­ka­li­schen, als auch psy­chi­schen As­pek­ten: er [der Kör­per] lässt sich zwar ana­to­misch zer­le­gen, er be­sitzt je­doch in ge­wis­sem Sinne einen in­ne­ren Raum, der durch sol­che Vi­vi­sek­ti­on [ope­ra­ti­ven Ein­griff am le­ben­den Tier zu For­schungs­zwe­cken] nicht auf­ge­deckt zu wer­den ver­mag.“

(Aus: Nagel, Tho­mas (1987/2004): Was be­deu­tet das alles? Eine ganz kurze Ein­füh­rung in die Phi­lo­so­phie. Stutt­gart: Re­clam, S. 25-27, 30f., Or­tho­gra­phie mo­der­ni­siert, Ver­öf­fent­li­chung mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung von Phil­ipp Re­clam jun.)

Ar­beits­auf­trä­ge

  1. Er­läu­tert wie der Ge­schmack von Scho­ko­la­de zu­stan­de kommt.
  2. Er­ar­bei­tet Tho­mas Na­gels Ge­gen­aus­sa­gen zu den fol­gen­den Aus­sa­gen:
    1. Psy­chi­sche Er­leb­nis­se sind als phy­si­ka­li­sche Zu­stän­de des Ge­hirns auf­zu­fas­sen.
    2. Der Mensch ist zu­sam­men­ge­setzt aus zwei Sub­stan­zen, aus Kör­per/Ge­hirn und Seele/Geist.
  3. Be­grün­det Na­gels Ge­gen­aus­sa­ge zur Aus­sa­ge 2a).
  4. Dis­ku­tiert, ob Euch Na­gels Po­si­ti­on in der Ge­hirn-Geist-De­bat­te über­zeugt.
  5. Prüft, ob das Qua­lia­pro­blem eine Be­deu­tung für die Wil­lens­frei­heits­de­bat­te hat.

Po­di­ums­dis­kus­si­on/Pro­blem­dis­kus­si­on

Ent­wi­ckelt zur Vor­be­rei­tung auf eine Po­di­ums­dis­kus­si­on/Pro­blem­dis­kus­si­on ein Streit­ge­spräch oder einen So­kra­ti­schen Dia­log zwi­schen einem har­ten De­ter­mi­nis­ten bzw. In­kom­pa­ti­bi­lis­ten und einem Kom­pa­ti­bi­lis­ten über die Frage, ob der Mensch einen frei­en Wil­len hat.

Um­set­zungs­bei­spiel Frei­heit und Selbst­ver­ständ­nis des Men­schen: Her­un­ter­la­den [docx][86 KB]

Um­set­zungs­bei­spiel Frei­heit und Selbst­ver­ständ­nis des Men­schen: Her­un­ter­la­den [pdf][602 KB]

Wei­ter zu Stun­den 9 und 10