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Stunden 11 und 12

Wird man durch Bildung ein selbstbestimmter Mensch?

Bildung dient der Befreiung des Menschen zu sich selbst.

Was ist Aufklärung? (Immanuel Kant)

Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) beantwortet 1784 in seiner berühmten Schrift die Frage „Was ist Aufklärung?“.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen […], dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Dass der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeinhin von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Dass aber ein Publikum [die politische Öffentlichkeit] sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs [der Bestimmung] jedes Menschen selbst zu denken um sich verbreiten werden. Besonders ist hierbei: dass das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie danach selbst zwingt darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. […]

Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. […]

Königsberg in Preußen, den 30. Septemb. 1784.“

(Aus: Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, https://www.projekt-gutenberg.org/kant/aufklae/ [30.1.2021], Orthographie modernisiert)

Arbeitsaufträge

  1. Begründet, warum Immanuel Kant die Unmündigkeit als „selbst verschuldet“ bezeichnet.
  2. Nennt „Vormünder“, welche den Menschen an der Aufklärung hindern.
  3. Erläutert das Vorgehen der Anti-Aufklärer.
  4. Stellt den Zusammenhang zwischen „Freiheit“ und „Aufklärung“ dar.
  5. Erarbeitet eine eigene Definition von „Aufklärung“.
  6. Beurteilt die Aktualität des Programms „Aufklärung“ angesichts gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen.

Drei Regeln für das Philosophieren

Immanuel Kant (1724-1804) formuliert in seinen Arbeiten drei Regeln für das Philosophieren, welches der Aufklärung verpflichtet ist.

„Für alle Denker können folgende Maximen [subjektive Grundsätze des Handelns] zu unwandelbaren Geboten gemacht werden:

  1. Selbst denken.
  2. Sich (in der Mitteilung mit Menschen) in die Stelle jedes anderen zu denken.
  3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken.

Das erste Prinzip ist negativ (Auf keines Lehrers Worte zu schwören verpflichtet zu sein), das der zwangsfreien,

das zweite positiv, der liberalen, sich den Begriffen anderer bequemenden,

das dritte der konsequenten (folgerechten) Denkungsart.

Die wichtigste Revolution in dem Inneren des Menschen ist: „der Ausgang desselben aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“.

(Nach: Kant, Immanuel (1798): Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Kant`s gesammelte Schriften, Bd. 7, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1917, S. 228f., gallica.bnf.fr [30.1.2021], Orthographie modernisiert)

Arbeitsaufträge

  1. Erarbeitet eigene Formulierungen für die Kantischen Regeln des Philosophierens.

    Regel 1

    Regel 2

    Regel 3

  2. Erläutert, im welchem logischen Verhältnis die drei Denkregeln Kants zueinander stehen.
  3. Beurteilt die Bedeutung dieser Denkregeln für den Alltag.

Umsetzungsbeispiel Freiheit und Selbstverständnis des Menschen: Herunterladen [docx][86 KB]

Umsetzungsbeispiel Freiheit und Selbstverständnis des Menschen: Herunterladen [pdf][602 KB]

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