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M14 – M15

M14: Peter Ulrich: Die integrative Unternehmensethik – Was sie ist

Die integrative Unternehmensethik versucht eine „Integration von Ethik und Erfolg“ zu erzielen, indem der wirtschaftliche Ertrag (Motivationsfunktion der Ethik) nicht nachträglich zum Ausgleich (korrektiv) oder zur Entlastung (karitativ) verwendet wird, sondern direkt nach ethischen Prinzipien (normative Orientierungsfunktion) erwirtschaftet wird. Diese Prinzipien glaubt der Entwickler dieser Ethik, Peter Ulrich, in einer prototypischen unternehmerischen Haltung gefunden zu haben. Im strategischen Stakeholder Konzept ist die Rücksichtnahme auf Stakeholder-Ansprüche nichts anderes als eine Investition in zukünftigen Unternehmenserfolg. Es geht um Kooperations- und Akzeptanzsicherung und sonst nichts. Das herkömmliche Stakeholder Konzept stellt somit nur eine strategisch erweiterte Fassung der Shareholder Value Doktrin dar. In einem ethisch gehaltvollen Stakeholder Konzept geht es demgegenüber um die Anerkennung legitimer Ansprüche aller von unternehmerischen Handeln Betroffenen um ihrer selbst willen – es ist gerechtigkeits- nicht macht- oder interessenbasiert. Die Macht oder Ohnmacht von Stakeholdern gegenüber der Unternehmung soll hier gerade keine entscheidende Rolle spielen. Vielmehr kommt es auf die unparteiliche Begründbarkeit von Ansprüchen in einem verständigungsorientierten Dialog und auf ihre faire Berücksichtigung vom vernunftethischen Standpunkt der Moral aus an. Am ehesten lässt sich diese Motivationsbasis im Selbstverständnis moderner Wirtschaftsbürger lokalisieren und pädagogisch stärken – als deren zivilisiertes Selber-Wollen. Wirtschaftsbürger sind Wirtschaftssubjekte, die ihren Geschäftssinn von ihrem Bürgersinn nicht abspalten, sondern jenen in diesen integrieren wollen, um sich selbst als integer, das heißt buchstäblich als ganze Person, wahrnehmen und verstehen zu können. Sie wollen das, weil Sie sich nicht nur als bourgeois, sondern als citoyen, das heißt als mitverantwortliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, versehen. Deren moralischer Kern besteht in der prinzipiellen Bereitschaft des Bürgers, seine privaten Interessen der res-publica, das heißt der öffentlichen Sache des guten und gerechten Zusammenlebens freier Bürger, zu unterstellen. Der republikanisch gesinnte Wirtschaftsbürger – und dies ist der springende Punkt – will im Wirtschaftsleben sehr wohl erfolgreich sein, aber er will keinen anderen Erfolg als jenen, der er vor sich selbst wie vor seinen Mitbürgern vertreten kann, da er mit den Grundsätzen einer wohl geordneten Bürgergesellschaft problemlos vereinbar ist. Aufgeklärte Wirtschaftsbürger sind lebensklug genug, ihr ökonomisches Vorteils- und Erfolgsstreben in die Voraussetzung ihrer Selbstachtung zu integrieren, statt es zu Lasten eines im Ganzen gelingenden und erfüllten Lebens zu verabsolutieren. Aufgeklärte Führungskräfte der Wirtschaft, die sich persönlich nicht verleugnen wollen, sind deshalb interessiert an politisch-ökonomischen Verhältnissen, die ihnen eine faire Chance bieten integer zu bleiben und gleichwohl – oder sogar gerade deshalb – wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ulrich, Peter: Unternehmensethik – integrativ gedacht. Was ethische Orientierung für die gute Unternehmensführung bedeutet. In: van Aaken, Dominik, Schreck, Philipp (Hrsg.): „Theorien der Wirtschafts- und Unternehmensethik“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2015, S.237-262, hier Seite 247 f., S. 253f.

Aufgaben (M14)

  1. Nennen Sie die Motivationen, die den „Wirtschaftsbürger“ antreiben.
  2. Vergleichen Sie die Position Ulrichs mit den Ihnen bekannten allgemeinethischen Ansätzen. Auf welchen dieser Ansätze könnte er sich berufen?
  3. Diskutieren Sie: Halten Sie das Menschenbild, das Ulrich hier zeichnet, für realistisch?
  4. Gewinnmaximierung, Persönlichkeitsbildung, Soziales Verhalten: Stellen Sie sich vor, Sie sind Manager/in eines Unternehmens: Erläutern Sie, wie Sie diese Werte gewichten würden und für welche Art von Ethik Sie sich entscheiden würden.

M15: Vom Stakeholder zum Shareholder? Betroffene übernehmen Verantwortung (ein Rollenspiel)

»Spätzle-Imker« gegen Bayer AG

»Aktivisten-Aktionäre« – so nennt die Bayer AG inzwischen Menschen wie Christoph Koch. Der Imker aus Oppenau nutzte die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft mittlerweile im neunten Jahr in Folge, um einen besseren Schutz der Bienen vor Pflanzenschutzmitteln zu fordern.

Das laute Dazwischenrufen, die verkürzten Vorwürfe, das ist nicht die Sache von Christoph Koch. Aber auch der Imkermeister aus Oppenau ist ein vehementer Gegner der Geschäftspolitik des weltweit agierenden und 115 000 Mitarbeiter zählenden Konzerns. »Wir wollen, dass Bayer aufhört, Neonics zu produzieren«, fordert er. Um seinen Forderungen bei den Eigentümern des Unternehmens, den Aktionären, Gehör zu verleihen, kaufte Koch vor etlichen Jahren selbst Aktien der Bayer AG. Seither hat er das Recht, bei der Hauptversammlung zu sprechen, was er im neunten Jahr in Folge auch gemacht hat. Leute wie er würden intern inzwischen als »Aktivisten-Aktionäre« bezeichnet, er selbst habe den Spitznamen »Spätzle-Imker« weg.

Während draußen vor der Hauptversammlung auf dem Platz der Vereinten Nationen mit Plakaten demonstriert wird und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL) mit einer Kartoffeldampfmaschine symbolischPatente verbrennt, tritt Koch im Konferenzsaal ans Rednerpult. »Stunk ist das nicht, wir stellen Fragen, die die Widersprüche bei Bayer beleuchten«, sagt er (siehe Hintergrund). Von den Antworten, die er erhielt, war der Imkermeister indes enttäuscht: »Die waren glatt wie ein Fisch.« Koch war der erste, aber nicht der einzige Imker, der bei der Hauptversammlung seine Bedenken vortragen konnte. Ihm und seiner Nachfolgerin seien noch die vollen zehn Minuten zugestanden worden, anschließend sei die Redezeit auf fünf Minuten verkürzt worden. Insgesamt 30 Gegner von Bayers Geschäftspolitik seien ans Mikrofon getreten, davon fünf Imker. »Eigentlich hätten wir 50 Minuten nur für die Bienen gehabt.« Wer vortragen will, müsse sich vorher anmelden.

»Die machen sich Sorgen«

»Es war ein großer medialer Erfolg, der Protest ist auch in den Medien angekommen«, freut sich der Oppenauer Imker. Und nicht nur dort. Auch in den Reihen des Unternehmens gebe es etliche Kritiker. »Es ist nicht so, dass die Proteste der Imker im ganzen Konzern negativ gesehen werden.« Überrascht habe ihn, dass auch Vertreter der Banken Skepsis bei der Hauptversammlung geäußert hätten. Der Sprecher der Volksbanken-Raiffeisenbanken habe nicht nur die Übernahme von Monsanto kritisch gesehen. »Die machen sich auch Sorgen um die Bienen.« Insgesamt sei die Stimmung bei der Hauptversammlung der Bayer AG sehr angespannt gewesen. »Einmal ging auch das Licht auf der Bühne aus.«

Eigentlich wollten Koch und seine Imkerkollegen, von denen trotz beruflicher Hochsaison 55 nach Bonn gekommen waren, den Aktionären noch eine süße Überraschung bereiten. »Wir wollten Honig verschenken.« Die Aktion wurde allerdings nicht bewilligt. Wie Koch später erfahren hat aus Angst, die Gläser könnten als Wurfgeschosse missbraucht werden.

Simon Allgeier in Baden Online vom 06.05.2017: bo.de

Hintergrundwissen:

Neonikotinoide

Die Hersteller von Neoni­kotinoiden, darunter Bayer, klagen aktuell vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das bestehende Teilverbot des Insektizids. Seit 2013 darf es nur noch in Ausnahme- oder Notfällen eingesetzt werden. Dazu zählen etwa extreme Wetterlagen oder wenn bestimmte Pflanzenarten massiv unter Schädlingsbefall leiden. Nun plant die Europäische Kommission, dass Neonikotinoide nur noch in Gewächshäusern eingesetzt werden dürfen. Laut Bienenjournal schädigen falsch eingesetzte Neonikotinoide die Orientierungsfähigkeit und das Immunsystem der Bienen. Zudem würden sie die Lebensspanne bei Drohnen verkürzen und deren Spermienqualität schädigen, so dass eine gesunde natürliche Vermehrung behindert werde.

Simon Allgeier in Baden online vom 06.05.2017: bo.de

Info: Der Bayer Unternehmenskodex:

Zu finden unter: bayer.de

Aufgabe (M 15)

Der Fall schlägt Wellen in der Öffentlichkeit. Eine Talkshow widmet sich dem Thema unter dem eher reißerischen Titel: „Sterben die Bienen- sterben wir! Entzieht sich Bayer seiner Verantwortung?“. Geladen sind:

  1. Ein/e Vertrauensethiker/in
  2. Ein ehrgeiziges Vorstandsmitglied der Bayer AG, das sich an Friedman orientiert
  3. Ein Vorstandsmitglied einer großen Bank, das den Ansatz der integrativen Ethik befolgt
  4. Ein/e Großaktionär/in der Bayer AG, der kein Aktivist ist
  5. Ein/e Imker/in und Aktionär/in von Bayer, der/die zu den Aktivsten zählt
  6. Ein Bauer/eine Bäuerin, der/die Mittel von Bayer erfolgreich gegen Schädlinge eingesetzt hat

Erarbeiten Sie (auch unter Zuhilfenahme weiterer Informationen aus dem Internet/der Presse, überlegen Sie: Welche weiteren Informationen sind zum Durchsetzen Ihrer Position wichtig) ihre jeweilige Position mit Zielen, Argumenten etc. und spielen Sie die Talkshow in der Klasse mit verteilten Rollen.

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