Zur Haupt­na­vi­ga­ti­on sprin­gen [Alt]+[0] Zum Sei­ten­in­halt sprin­gen [Alt]+[1]

Ein Um­set­zungs­bei­spiel für den Bil­dungs­plan BW 2016

Ge­füh­le las­sen sich nur als leib-see­lisch-geis­ti­ge Phä­no­me­ne an­ge­mes­sen be­trach­ten. Sie stel­len ver­mut­lich „die kom­ple­xes­ten men­ta­len Phä­no­me­ne dar, da alle er­denk­li­chen men­ta­len In­stan­zen an ihnen be­tei­ligt sind“1. Und sie sind ein Thema, das zwar in Li­te­ra­tur und Küns­ten immer schon eine zen­tra­le Rolle ge­spielt hat – „Singe den Zorn, o Göt­tin, des Pe­lei­aden Achil­leus, Ihn, der ent­brannt den Ach­ai­ern un­nenn­ba­ren Jam­mer er­reg­te“ lau­tet der Auf­takt der ILIAS von Homer -, zu­neh­mend nun aber auch in ge­sell­schaft­li­chen Dis­kur­sen, so­zia­len Me­di­en, Po­li­tik und Recht zum ein­fluss­rei­chen Thema ge­wor­den ist (So­zio­lo­gen spre­chen von einer „Af­fekt­kul­tur der Ex­tre­me“2) – ohne dass es des­halb auch schon bes­ser be­grif­fen würde.

Ge­füh­le als For­schungs­ge­gen­stand schei­nen ak­tu­ell vor allem in das Ge­biet einer em­pi­ri­schen Wis­sen­schaft, näm­lich der Psy­cho­lo­gie, zu fal­len. Dabei sind sie schon lange eben­so ein Ge­gen­stand der Phi­lo­so­phie: Im Rah­men an­ti­ker und neu­zeit­li­cher Af­fekt­theo­ri­en wird sys­te­ma­tisch nach­ge­dacht über den Sta­tus und die Funk­ti­ons­wei­se von Ge­füh­len für Rhe­to­rik, Ethik und Äs­the­tik, in mo­der­nen Wert­theo­ri­en und in der Phä­no­me­no­lo­gie über ihren axio­lo­gi­schen und welt­er­schlie­ßen­den Cha­rak­ter, in der ak­tu­el­len Phi­lo­so­phie des Geis­tes über die In­ten­tio­na­li­tät und den ko­gni­ti­ven Ge­halt von Emo­tio­nen.

Ge­füh­le wie Stau­nen (Pla­ton, Aris­to­te­les), Ver­wun­de­rung (Des­car­tes) oder Weis­heits­lie­be (Hume) kön­nen zur Phi­lo­so­phie mo­ti­vie­ren. Die me­tho­disch an­ge­lei­te­te Tä­tig­keit des Phi­lo­so­phie­rens kul­ti­viert eine Hal­tung der Nach­denk­lich­keit, die von All­tags­in­tui­tio­nen und Ein­zel­ur­tei­len zu grund­le­gen­den oder sog. Rah­men­fra­gen führt, die die Natur einer Sache (Was sind Ge­füh­le?) im Kon­text eines Ge­samt­bil­des (Was ist der Mensch?) be­tref­fen. Zum an­de­ren be­steht der Bil­dungs­wert des Phi­lo­so­phie­rens darin, eine Kul­tur des kri­ti­schen Den­kens zu ent­wi­ckeln, das be­fä­higt zu einer ra­tio­na­len Er­ör­te­rung von Arten und Kri­te­ri­en des Wis­sens (Kann man die Ge­füh­le an­de­rer rich­tig ver­ste­hen? Was sind ge­ne­rel­le Cha­rak­te­ris­ti­ka und evo­lu­tio­nä­re Funk­tio­nen von Ge­füh­len?), zu einer ver­nunft­ge­lei­te­ten Er­ör­te­rung der Frage nach der On­to­lo­gie bzw. Seins­art (Sind Ge­füh­le „nur Kon­struk­tio­nen un­se­res Ge­hirns“?) und schließ­lich auch zur Dis­kus­si­on von Fra­gen der Nor­ma­ti­vi­tät (Wann sind Ge­füh­le an­ge­mes­sen und be­rech­tigt?) be­fä­higt. Kri­ti­sches Den­ken um­fasst dabei über me­tho­di­sche Kennt­nis­se zum Fak­ten­check 3 und zum Ver­mei­den von ko­gni­ti­ven Ver­zer­run­gen4 hin­aus ins­be­son­de­re Fer­tig­kei­ten, die das Ver­ste­hen und Er­klä­ren von (All­ge­mein-)Be­grif­fen, die Ana­ly­se von Ar­gu­men­ten, die Prü­fung von Ab­lei­tun­gen, Schluss­fol­ge­run­gen und theo­re­ti­schen Ge­ne­ra­li­sie­run­gen, nicht zu­letzt auch die Prü­fung von Ana­lo­gi­en und Me­ta­phern be­trifft5. Mit die­sen Fer­tig­kei­ten wird nicht nur die Fä­hig­keit zu in­ter­dis­zi­pli­nä­rem, son­dern auch zu selb­stän­di­gem und mün­di­gem Den­ken er­wor­ben. Dies kann einen Au­to­no­mie­zu­wachs des In­di­vi­du­ums be­wir­ken, das sich so­wohl im (so­zi­al-)me­dia­len als auch im wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs über Ge­füh­le ra­tio­nal und ver­ant­wort­lich zu po­si­tio­nie­ren lernt und Fak­to­ren der Selbst­wirk­sam­keit und Selbst­sor­ge in con­cre­to er­fährt.

Ge­füh­le als Ge­gen­stand einer phi­lo­so­phi­schen Pro­blem­re­fle­xi­on im Un­ter­richt in­du­zie­ren schnell eine ‚Da­ten­ba­sis’ in­di­vi­du­el­ler le­bens­welt­li­cher Wahr­neh­mun­gen und Er­fah­run­gen, sie laden ein zur Ar­ti­ku­lie­rung von Prä­kon­zep­ten und zur For­mu­lie­rung grund­le­gen­der Fra­gen be­züg­lich der mög­li­chen Les­bar­keit und (Ir)Ra­tio­na­li­tät der ei­ge­nen wie der Ge­füh­le an­de­rer. Zur Ver­tie­fung des Ver­ständ­nis­ses emp­fiehlt sich eine Aus­ein­an­der­set­zung mit einer (oder zwei kon­tro­ver­sen) phi­lo­so­phi­schen Emo­ti­ons­theo­rie(n), da ein Ori­en­tie­rungs­wis­sen ver­mit­telt wird: durch die Ar­beit am Be­griff des Ge­fühls; durch den Um­gang mit em­pi­ri­schen und a prio­ri-Me­tho­den; durch die Er­pro­bung von Ver­fah­ren der De­fi­ni­ti­on und Ex­pli­ka­ti­on von All­ge­mein­be­grif­fen sowie von Klas­si­fi­ka­ti­ons­vor­schlä­gen (‚Af­fek­te’, ‚Emp­fin­dun­gen’, ‚Ge­füh­le’, ‚Ge­müts­be­we­gun­gen’, ‚Stim­mun­gen’, ‚Emo­tio­nen’ etc. – bil­den sie eine na­tür­li­che Art? Gibt es uni­ver­sel­le, kul­tur­un­ab­hän­gi­ge Ba­sis­e­mo­tio­nen? Gibt es not­wen­di­ge und hin­rei­chen­de Be­din­gun­gen für be­stimm­te Ge­füh­le oder nur sog. Fa­mi­li­en­ähn­lich­kei­ten?); durch die Dif­fe­ren­zie­rung von Fra­gen nach der bio­lo­gi­schen und so­zia­len Funk­ti­on von Ge­füh­len, nach ihrer Ge­ne­se und Gel­tung; schließ­lich durch die Prü­fung der Stim­mig­keit, der Er­klä­rungs- und Über­zeu­gungs­kraft einer Emo­ti­onstheo­rie (z.B. Kör­per­theo­rie vs. ko­gni­ti­vis­ti­sche Theo­rie vs. Kom­po­nen­ten­theo­rie).

Ge­füh­le auf dem Hin­ter­grund einer phi­lo­so­phi­schen Emo­ti­ons­theo­rie ver­ste­hen und er­klä­ren zu ler­nen kann auch einen Kom­pe­tenz­zu­wachs in Sa­chen Wis­sen­schafts­pro­pä­deu­tik be­deu­ten. Die pro­blem­ori­en­tier­te und di­dak­tisch-me­tho­disch an­ge­lei­te­te Aus­ein­an­der­set­zung mit einer Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le – sei es die von Aris­to­te­les, Des­car­tes, Spi­no­za, Hume, Max Scheler, Witt­gen­stein, Ágnes Hel­ler oder Mar­tha Nuss­baum - be­fä­higt die Ler­nen­den näm­lich auch zu einer be­griff­lich und ar­gu­men­ta­tiv ge­schul­ten selb­stän­di­gen Aus­ein­an­der­set­zung und Be­ur­tei­lung von The­sen und (Quasi-)Theo­ri­en in em­pi­ri­schen Ein­zel­wis­sen­schaf­ten (z.B. der Psy­cho­lo­gie oder der So­zio­lo­gie), in so­zia­len Netz­wer­ken oder im All­tag. Bei­spiel­haft wer­den an die­ser Stel­le zwei Un­ter­richts­se­quen­zen skiz­ziert, die eine Be­schäf­ti­gung mit David Humes af­fekt­theo­re­ti­sche Be­hand­lung des Stol­zes bzw. Ágnes Hel­lers ge­fühls­theo­re­ti­sche Be­hand­lung der Freu­de als Mo­del­le vor­schla­gen, weil in bei­den Fäl­len ein Zu­sam­men­wir­ken meh­re­rer Kom­po­nen­ten dif­fe­ren­ziert, ana­ly­siert und re­flek­tiert wird: Beide ar­bei­ten über die kör­per­li­chen (bio­lo­gisch-so­ma­ti­schen, be­ha­viora­len bzw. hand­lungs­mo­ti­va­tio­na­len) auch die sub­jek­ti­ven (phä­no­me­na­len) und die se­man­ti­schen (ko­gni­ti­ven, eva­lua­ti­ven und so­zi­al kom­mu­ni­ka­ti­ven) As­pek­te eines Ge­fühls her­aus. Die di­dak­ti­sche Hoff­nung ist, dass Ler­nen­de durch Aus­ein­an­der­set­zung mit sol­chen kom­ple­xe­ren Mo­del­len zu­gleich Stan­dards er­wer­ben zur kri­ti­schen Be­ur­tei­lung und Be­wer­tung an­de­rer, evtl. un­ter­kom­ple­xer oder sug­ges­ti­ver Mo­del­le (in Ein­zel­wis­sen­schaf­ten, in po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­cher Rat­ge­ber­li­te­ra­tur oder in der sog. All­tags­psy­cho­lo­gie).

Dies sei an einem ak­tu­el­len Fall il­lus­triert. Wie Ge­füh­le ent­ste­hen lau­tet der Titel einer ver­mut­lich gut ver­käuf­li­chen Pu­bli­ka­ti­on (2023, Rein­bek b. Ham­burg/Ro­wohlt), für die ein über­re­gio­na­les Pres­se­or­gan mit einem sechs­spal­ti­gen Au­to­rin­nen­in­ter­view, freund­li­chem Por­trät­fo­to, far­bi­gem Buch­co­ver und einem Car­toon wirbt, der auf mint­grü­nem Grund ein ro­sa­far­be­nes Ge­sicht in Herz­form zeigt, das etwas ver­knif­fen einem oran­ge­ro­ten trau­ri­gen Ku­gel­ge­sicht zu­zwin­kert (Süd­deut­sche Zei­tung Nr. 154, Frei­tag, 7. Juli 2023, S. 13). Als sym­pto­ma­tisch kann man framing und con­tent, Prä­sen­ta­ti­on des The­mas wie In­halt der Aus­sa­gen an­se­hen. Das reiz­voll-pa­ra­do­xe Ti­tel­zi­tat – „Wut kann sich phan­tas­tisch an­füh­len“ – si­gna­li­siert, dass es sich haupt­säch­lich um einen feel-good -Ar­ti­kel han­delt, wäh­rend der Un­ter­ti­tel sug­ge­riert, dass dies das Er­geb­nis re­vo­lu­tio­nä­rer psy­cho­lo­gi­scher Er­kennt­nis­se sei: „Mit ihrer Ar­beit rüt­telt Psy­cho­lo­gin Lisa Feld­mann Bar­rett an den Grund­fes­ten der Emo­ti­ons­for­schung. Im Ge­spräch er­klärt sie, was Ge­füh­le sind“. In einem knap­pen Vor­spann teilt die Wis­sen­schafts­jour­na­lis­tin mit, dass die Psy­cho­lo­gie­pro­fes­so­rin ur­sprüng­lich The­ra­peu­tin wer­den woll­te, wäh­rend ihres Stu­di­ums dann aber über ein Ex­pe­ri­ment ge­stol­pert sei, das „immer wie­der nicht so [funk­tio­nier­te], wie es die Emo­ti­ons­for­schung vor­aus­sag­te.“ Wes­we­gen sie nun sehr er­folg­reich („in einem der meist­ge­se­he­nen Ted Talks“) für einen „an­de­ren Blick auf Emo­tio­nen“ plä­die­re und „schlech­te For­schung“ sie wü­tend mache. Lei­der hält es die Jour­na­lis­tin für nicht er­for­der­lich, we­nigs­tens an­zu­deu­ten, um wel­ches Ex­pe­ri­ment es sich han­delt, was der Re­fe­renz­rah­men für „die“ schlech­te Emo­ti­ons­for­schung war – ver­mut­lich denkt sie nicht an die be­rüch­tig­te Re­pli­ka­ti­ons­kri­se ins­be­son­de­re in­ner­halb der Psy­cho­lo­gie - und nun der Re­fe­renz­rah­men für die selbst­re­dend bes­se­re For­schung. Weder im Mo­dera­ti­ons­text noch im In­ter­view gibt es eine Kon­textua­li­sie­rung von Emo­ti­ons­theo­ri­en (im Plu­ral). Al­ler­dings re­kla­miert die Psy­cho­lo­gin für ihre ei­ge­ne „Theo­rie“ unter Be­zug­nah­me auf den Wis­sen­schafts­his­to­ri­ker Tho­mas S. Kuhn einen Pa­ra­dig­men­wech­sel, der darin be­ste­he, sich vom „wis­sen­schaft­li­chen Rea­lis­mus und Es­sen­zia­lis­mus“ zu ver­ab­schie­den, weil näm­lich Wis­sen­schaft­ler „seit vie­len Jahr­zehn­ten“ ver­geb­lich ver­sucht hät­ten, „na­tür­li­che Ka­te­go­ri­en“ zu ent­de­cken, die in der Welt exis­tie­ren und „eine Es­senz haben“, wäh­rend doch die Phä­no­me­ne, die in der Psy­cho­lo­gie in­ter­es­sie­ren, keine „na­tür­li­chen Ka­te­go­ri­en“ seien, die un­ab­hän­gig von un­se­rer Wahr­neh­mung exis­tie­ren. Diese po­le­misch ge­mein­te Ver­wen­dung phi­lo­so­phi­scher Ter­mi­no­lo­gie zeugt al­ler­dings nur von der ne­bu­lö­sen Be­griff­lich­keit sei­tens der Psy­cho­lo­gin, weil es »Ka­te­go­ri­en« per de­fi­ni­tio­nem nicht in der Natur geben kann (ge­meint sind wohl »na­tür­li­che Arten«) und je­mand, der nach »Es­sen­zen« etwa im Ge­hirn ge­sucht hätte schon im Mit­tel­al­ter als Quack­sal­ber ti­tu­liert wor­den wäre. Dafür sim­pli­fi­ziert die vor­geb­lich re­vo­lu­tio­nä­re „Theo­rie der kon­stru­ier­ten Emo­tio­nen“ tat­säch­lich den (selbst-)the­ra­peu­ti­schen Um­gang mit Ge­füh­len und die em­pa­thi­sche Jour­na­lis­tin kann sich über eine prak­ti­sche Schluss­fol­ge­rung freu­en, die der Psy­cho­lo­gie­pro­fes­so­rin „beim Schrei­ben des Bu­ches nicht auf­ge­fal­len“ war: Wenn Emo­tio­nen „so­wie­so nur Kon­struk­te“ sind, die „In­for­ma­tio­nen über unser Kör­per­bud­get“ ent­hal­ten, dann kann jede:r auch „de­kon­stru­ie­ren“ und „ein­fach jedes ne­ga­ti­ve Ge­fühl [in­klu­si­ve läs­tig mo­ra­lisch klin­gen­der Ge­füh­le] als Über­for­de­rung oder Er­schöp­fung deu­ten“, zumal: Schon die ein­fa­che An­er­ken­nung der Be­dürf­nis­se des Kör­pers [ins­be­son­de­re auf der Coach], „das wirkt sich aufs Bud­get aus.“ Das Schö­ne an solch un­ter­kom­ple­xen na­tu­ra­lis­ti­schen Kör­per­theo­ri­en ist, dass sie, statt phi­lo­so­phi­sches Nach­den­ken zu er­set­zen, es erst recht in Gang brin­gen. Dafür sor­gen ge­nü­gend un­lek­t­o­rier­te sprach­li­che Stol­per­stei­ne mit­samt einem stän­di­gen Ver­steck­spiel in Bezug auf die Frage, wer ei­gent­lich das Sub­jekt bzw. die Au­to­rin der Kon­struk­ti­on eines Ge­fühls ist („ein“ Be­ob­ach­ter, „mein“ Ge­hirn, ich, du oder wir): „Wenn du ge­ra­de den Müll raus­bringst, kon­stru­ierst[sic!] dein Hirn Ekel.

Der Bil­dungs­plan Phi­lo­so­phie des Lan­des Baden-Würt­tem­berg (2016) weist bei sei­nen in­halts­be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­zen im The­men­feld PHI­LO­SO­PHIE DES GEIS­TES, DER SPRA­CHE UND ME­TA­PHY­SIK einen Ort auf, an dem es sich an­bie­tet, die PHI­LO­SO­PHIE DER GE­FÜH­LE zum Ge­gen­stand des Un­ter­richts zu ma­chen: «Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler kön­nen zum Kom­pe­tenz­be­reich der Phi­lo­so­phie des Geis­tes, der Spra­che und Me­ta­phy­sik be­grün­det Stel­lung neh­men und sich dabei ur­tei­lend zu un­ter­schied­li­chen ex­em­pla­ri­schen Denk­an­sät­zen po­si­tio­nie­ren. Sie kön­nen sich zum Bei­spiel aus­ein­an­der­set­zen mit dem Pro­blem einer per­so­na­len Iden­ti­tät in der Zeit und der Frage der Leib-Seele-Be­zie­hung; mit dem Pro­blem der Er­klä­rung von Wil­lens­frei­heit durch Selbst­be­wusst­sein; mit der Frage der Be­zie­hung von sprach­li­cher Be­deu­tung und Wahr­heits­ori­en­tie­rung; mit dem Pro­blem der Kon­tin­genz des Exis­tie­ren­den.

(1) aus­ge­hend von le­bens­welt­li­chen Er­fah­run­gen das Pro­blem der Iden­ti­tät einer Per­son in der Zeit er­ör­tern; Deu­tun­gen der Leib-Seele-Be­zie­hung (zum Bei­spiel dua­lis­ti­sche, na­tu­ra­lis­ti­sche und hy­lem­or­phis­ti­sche Deu­tun­gen) ver­glei­chen und in ihrer Er­klä­rungs­kraft be­ur­tei­len; For­men und Merk­ma­le des Be­wusst­seins ana­ly­sie­ren (z.B. In­ten­tio­na­li­tät, Sub­jek­ti­vi­tät, Er­leb­nis­qua­li­tät).

In Psy­cho­lo­gie, Neuro- bzw. Ko­gni­ti­ons­wis­sen­schaf­ten und Phi­lo­so­phie exis­tie­ren un­ter­schied­li­che „Ge­fühls­theo­ri­en“, mit je ei­ge­nen Stär­ken und Schwä­chen. So­ge­nann­te so­ma­ti­sche Theo­ri­en sind fo­kus­siert auf Kör­per­ge­füh­le (gemäß der ers­ten psy­cho­lo­gi­schen Theo­rie von W. James/C.G. Lange sind Ge­füh­le nichts als Wahr­neh­mung von Kör­per­ver­än­de­run­gen), oder auf Ge­füh­le als manch­mal be­wusst er­leb­te re­gu­la­ti­ve Vor­gän­ge (bei A. Da­ma­sio) – kön­nen al­ler­dings den Be­wer­tungs­as­pekt von Ge­füh­len nicht er­klä­ren. So­ge­nann­te ko­gni­ti­ve Theo­ri­en sind fo­kus­siert auf den Über­zeu­gungs-, Ge­dan­ken- und Be­wer­tungs­an­teil von Ge­füh­len (so z.B. M. Nuss­baums An­satz), kön­nen al­ler­dings den As­pekt des kör­per­li­chen Er­le­bens bei Ge­füh­len schlecht er­klä­ren. So­ge­nann­te Misch- bzw. Mehr­kom­po­nen­ten­theo­ri­en (wie z.B. A. Ben Ze’evs An­satz) er­klä­ren nur un­zu­läng­lich den Zu­sam­men­hang der Kom­po­nen­ten und die Not­wen­dig­keit der Teil­kom­po­nen­ten Kör­per­re­ak­ti­on, Er­le­ben , Be­wer­ten, Ge­dan­ke, Hand­lungs­vor­be­rei­tung usw. An­sät­ze einer phi­lo­so­phi­schen Syn­the­se be­grei­fen Ge­füh­le als „ver­kör­per­te Be­wer­tung“ (z.B. J. Prinz). – Beim Ge­fühl der Furcht z.B. wird deut­lich, dass Merk­ma­le so­ma­ti­scher, sub­jek­ti­ver und se­man­ti­scher Art – so las­sen sich we­sent­li­che Merk­ma­le grup­pie­ren - zu­sam­men­spie­len: Beim un­ver­mit­tel­ten An­blick (Er­eig­nis) eines zäh­ne­flet­schen­den Rott­wei­lers kann sich das Ge­fühl der Furcht ein­stel­len (Wi­der­fahr­nis; ‚Er­lei­den’), das zu be­stimm­ten Re-Ak­tio­nen (Hand­lungs­vor­be­rei­tung) führt. Dabei sind kör­per­li­che As­pek­te phy­sio­lo­gi­scher (z.B. Schweiß­aus­bruch), ex­pres­si­ver (Ge­sichts­aus­druck) und be­ha­viora­ler Art (Flucht/Er­star­rung/Kampf) ver­bun­den mit einer be­stimm­ten Emp­fin­dungs- bzw. Er­leb­nis-Qua­li­tät beim Sub­jekt (es fühlt sich spe­zi­ell an, in die­sem Zu­stand der Furcht zu sein) und wei­te­ren men­ta­len, also geis­ti­gen As­pek­ten wie der Aus­rich­tung der Auf­merk­sam­keit auf etwas ganz Be­stimm­tes in der Welt (In­ten­tio­na­li­tät: S. fürch­tet sich vor …), einem ge­dank­li­chen In­halt (Ko­gni­ti­on: „Die­ser Hund ist bis­sig“) mit­samt einem Be­wer­tungs- bzw. Ein­schät­zungs­mo­ment, das sich auf die Wich­tig­keit und Be­deu­tung (Se­man­tik) des wahr­ge­nom­me­nen Ob­jekts für das ei­ge­ne (Über-)Leben, also ein Kern­the­ma, be­zieht (Eva­lua­ti­on / app­rai­sal: „Könn­te brenz­lig wer­den für mich“). Es ist der se­man­ti­sche, ins­be­son­de­re der Be­wer­tungs­as­pekt, der ein be­stimm­tes Ge­fühl einem Emo­ti­ons­typ (hier: ’Furcht’) erst zu­ord­nen und von an­de­ren (z.B. ‚Angst’) un­ter­schei­den lässt. Das Merk­mal der In­ten­tio­na­li­tät, d.h. der Aus­ge­richtet­heit des Ge­fühls auf etwas, er­mög­licht, dass das Ge­fühl sei­nen Be­zugs­ge­gen­stand (in­ten­tio­na­les Ob­jekt: z.B. den Hund) kor­rekt (z.B. als ge­fähr­lich) er­fasst bzw. re­prä­sen­tiert und damit sind Ge­füh­le auch ko­gni­ti­ve Zu­stän­de, d.h. sol­che, die dem füh­len­den Sub­jekt Wis­sen über die Welt oder seine Be­zie­hung zur Welt ver­mit­teln kön­nen. Ein zu­sätz­li­cher, in frü­he­ren phi­lo­so­phi­schen Af­fekt­theo­ri­en (von den Stoi­kern oder Des­car­tes) be­ton­ter As­pekt ist, dass Ge­füh­le der wil­lent­li­chen Kon­trol­le zu­gäng­lich sind. Von so ver­stan­de­nen Ge­füh­len (Emo­tio­nen) sind af­fek­ti­ve Zu­stän­de wie Stim­mun­gen zu un­ter­schei­den (z.B. Me­lan­cho­lie, Lan­ge­wei­le), die nicht der wil­lent­li­chen Kon­trol­le un­ter­lie­gen, denen In­ten­tio­na­li­tät fehlt und die nicht nur in epi­so­di­scher Kürze auf­tre­ten. Zu­sätz­lich un­ter­schei­den kann man län­ger an­hal­ten­de emo­tio­na­le Dis­po­si­tio­nen (wie z.B. Liebe, Hass, Ei­fer­sucht).

1 Aaron Ben Ze’ev (20204): Die Logik der Ge­füh­le. Kri­tik der emo­tio­na­len In­tel­li­genz. Frank­furt, Suhr­kamp, S. 13

2 An­dre­as Reck­witz (20215): Ge­sell­schaft der Sin­gu­la­ri­tä­ten, Ber­lin, Suhr­kamp, S. 265

3 Vgl. Romy Jas­ter / David La­ni­us (2019): Die Wahr­heit schafft sich ab. Wie Fake News Po­li­tik ma­chen. Stutt­gart, Re­clam.

4 Vgl. Jonas Pfis­ter (2020): Kri­ti­sches Den­ken. Stutt­gart, Re­clam.

5 Wenn hier die her­me­neu­ti­schen und ana­ly­ti­schen Fä­hig­kei­ten her­vor­ge­ho­ben wer­den, so nur, weil sie einen me­tho­disch-ope­ra­tio­na­len Vor­rang haben, nicht weil sie einen ab­so­lu­ten Vor­rang ge­gen­über syn­the­ti­sie­ren­den oder krea­tiv-spe­ku­la­ti­ven Fä­hig­kei­ten des Den­kens hät­ten: Des­car­tes be­gann mit einem Dis­kurs über die Me­tho­de und Re­geln zur An­lei­tung des Geis­tes bevor er seine Me­di­ta­tio­nen und die Un­ter­su­chung über Die Lei­den­schaf­ten der Seele schrieb; von Des­car­tes Ge­gen­spie­ler Pas­cal wis­sen wir, dass es einer Kom­ple­men­ta­ri­tät von es­prit de géome­trie und es­prit de fi­nes­se be­darf. Um­ge­kehrt aber lässt sich die Frucht­bar­keit und die Be­deu­tung von kon­struk­ti­vis­ti­schen, auch sog. de-kon­struk­ti­ven oder phä­no­me­no­lo­gi­schen Denk­schu­len nicht ohne eine Schu­lung ele­men­ta­rer ana­ly­ti­scher Fä­hig­kei­ten be­ur­tei­len, wes­we­gen letz­te­ren eine di­dak­ti­sche Prio­ri­tät zu­kommt. Dies im­pli­ziert, dass es auch eine di­dak­ti­sche Prio­ri­tät im mög­li­chen Kanon von Au­to­ren und Tex­ten gibt, und im schu­li­schen Kon­text zu­erst und mehr zu ler­nen ist bei sol­chen in kla­rem, be­griffs­klä­ren­den und ar­gu­men­tie­ren­den Stil als bei sol­chen im mehr be­schrei­ben­den, nur be­haup­ten­den oder neue Be­grif­fe kre­ieren­dem Stil.

Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le: Her­un­ter­la­den [docx][88 kB]

Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le: Her­un­ter­la­den [pdf][323 kB]