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Lö­sungs­hin­wei­se

Der Tat­sa­che, dass es eine leib­lich ge­fühl­te Stolz(-Innen)wahr­neh­mung gibt („mit stolz ge­schwell­ter Brust“), ent­spricht in der Regel ein äu­ßer­lich, kör­per­lich-ges­tisch-mi­misch wahr­nehm­ba­rer Aus­druck („stol­zie­ren wie ein Pfau“).

Der Titel von Jane Aus­tens Roman, Pride and Pre­ju­di­ce, legt einen Zu­sam­men­hang der Hal­tun­gen von Stolz und Vor­ur­teil nahe. Die Ro­man­hand­lung be­schreibt und er­klärt dann an einem be­son­de­ren Fall die vor­über­ge­hen­de wech­sel­sei­ti­ge Be­dingt­heit, wobei beide Be­grif­fe ne­ga­tiv wer­tend ver­stan­den wer­den. Dass je­mand stolz im Sinne von hoch­mü­tig sei, kann sich als Vor­ur­teil aus einer be­son­de­ren ge­sell­schaft­li­chen oder Ge­schlech­ter-Per­spek­ti­ve er­wei­sen – z.B. ge­gen­über einer Per­son mit den Sta­tus­vor­tei­len männ­lich und reich zu sein -, und um­ge­kehrt kann das Vor­ur­teil Pro­dukt eines un­an­ge­mes­se­nen Selbst­wert­ge­fühls – z.B. einer mo­ra­lis­ti­schen Selbst­ge­rech­tig­keit – sein. Die Rhe­to­rik des engl. Ro­man­ti­tels (Al­li­te­ra­ti­on) sug­ge­riert au­to­ma­tisch eine ne­ga­ti­ve Be­wer­tung von „Stolz“ im Sinne eines christ­lich-re­li­giö­sen Wer­te­ka­nons. Die Frage, ob Stolz nur durch Vor­ur­teil Stolz sei, zielt dar­auf, diese ein­deu­tig ne­ga­ti­ve Be­wer­tung zu über­win­den und nach Fäl­len und Grün­den für be­rech­tig­ten Stolz Aus­schau zu hal­ten.

Die Re­de­wen­dun­gen („Du kannst stolz auf dich sein!“/“Ich bin stolz auf dich!“) kön­nen Si­tua­tio­nen aus päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten – El­tern/Kind; Leh­rer/Schü­ler – her­vor­ru­fen. Ent­spre­chen­de Äu­ße­rungs­si­tua­tio­nen ver­deut­li­chen, dass damit ge­lobt wird und ein po­si­ti­ves Selbst­wert­ge­fühl ge­stärkt bzw. auf­ge­baut wer­den soll. Aus den Si­tua­tio­nen soll­te auch deut­lich wer­den, dass das, wor­auf man stolz sein kann/soll, Taten oder Werke sind, die man sich selbst zu­zu­schrei­ben hat und in den Augen aller (oder zu­min­dest vie­ler) An­er­ken­nung ge­nie­ßen.

Hume ver­sucht in sei­ner Theo­rie der Ge­füh­le, die den mitt­le­ren Teil sei­ner Ab­hand­lung über die mensch­li­che Natur bil­det – zwi­schen dem ers­ten Teil über den Ver­stand und dem drit­ten Teil über Moral – nicht nur Be­grif­fe zu klä­ren, son­dern eine auf Er­fah­rung be­ru­hen­de und durch Er­fah­rung nach­voll­zieh­ba­re Er­klä­rung der Ent­ste­hung und Funk­ti­on von Ge­füh­len zu geben; in­so­fern ver­folgt er als einer der ers­ten kon­se­quent ein Pro­gramm der Na­tu­ra­li­sie­rung des Geis­tes. Er be­han­delt den Stolz als ers­tes einer Reihe von grund­le­gen­den, aber kom­ple­xen Ge­füh­len („in­di­rek­ter Af­fekt“).

Den aus­ge­wähl­ten Text­stü­cken kann ent­nom­men wer­den, dass Stolz ein Ge­fühl ist, zu dem es eine na­tür­li­che Dis­po­si­ti­on gibt und das eine so­wohl kör­per­lich-leib­li­che als auch men­ta­le Kom­po­nen­te hat (Nr. 1: „spür­ba­re Er­re­gung… im Geis­te“); „Ge­fühls­re­gung“ ist die Über­set­zung von engl. emo­ti­on.

Hume nimmt eine Ein­ord­nung des Stol­zes in eine Sys­te­ma­tik der Be­wusst­seins­in­hal­te („Per­zep­tio­nen“) vor: Es hand­le sich um Ein­drü­cke der Selbst­wahr­neh­mung – im Un­ter­schied zu sol­chen der rei­nen Kör­per­ge­füh­le -, und zwar um einen hef­ti­gen, in­di­rek­ten Af­fekt (2).

Im Fall des Stol­zes be­ruht der kom­ple­xe Me­cha­nis­mus („dop­pel­ter Zu­sam­men­hang“) dar­auf, dass eine spe­zi­fi­sche Kopp­lung von (Sin­nes-) Ein­drü­cken („im­pres­si­ons“) und (ge­dank­li­chen) Vor­stel­lun­gen („ideas“) er­folgt: eine po­si­ti­ve af­fek­ti­ve Be­wer­tung („an­ge­neh­me Emp­fin­dung“) wird auf das ei­ge­ne Selbst be­zo­gen; dabei sind Aus­lö­ser bzw. Ur­sa­che der ge­fühl­ten Be­wer­tung vom (Be­zugs-) Ob­jekt zu un­ter­schei­den – eine Ei­gen­schaft oder ein Merk­mal, das all­ge­mein ge­schätzt bzw. ge­bil­ligt wird („schö­nes Haus“, „schö­ner Anzug“, „schö­ner Gar­ten“), wird be­zo­gen auf das ei­ge­ne Selbst. Der dop­pel­te Im­puls aus „Ein­druck“ und „Vor­stel­lung“ er­klärt auch die Ver­netzt­heit und Wan­del­bar­keit der Ge­füh­le (Nr. 3 u. 4).

Hume dif­fe­ren­ziert nicht nur Ob­jekt und Ur­sa­che des Stol­zes, son­dern bei den un­ter­schied­li­chen Arten von Ur­sa­chen – geis­ti­ge/kör­per­li­che/kol­lek­ti­ve En­ti­tä­ten – zu­sätz­lich die je­weils wir­ken­de wert­vol­le Ei­gen­schaft (6).

Als be­son­de­ren Ur­sa­chen­typ für das Ge­fühl des Stol­zes zeich­net Hume die „in­di­rek­te Ur­sa­che“ der Mei­nun­gen aus; die Ent­ste­hung des Ge­fühls ist of­fen­bar stark ab­hän­gig von den in einer Ge­sell­schaft herr­schen­den An­sich­ten und Wer­ten (7).

Eine wei­te­re klei­ne Klas­si­fi­ka­ti­on wird von Hume an­hand eines leicht vi­sua­li­sier­ba­ren Qua­drats vor­ge­schla­gen: je­weils zwei Af­fekt­paa­re ste­hen sich ge­gen­über, wobei sie sich aus­dif­fe­ren­zie­ren nach dem Ob­jekt (Selbst/an­de­re Per­so­nen) und dem eva­lua­ti­ven Cha­rak­ter (+/- bzw. an­ge­nehm/un­an­ge­nehm) (8).

Hume ist sich der un­ter­schied­li­chen, in der Tra­di­ti­on über­wie­gend ne­ga­ti­ven Kon­no­ta­tio­nen von „Stolz“ be­wusst, strebt aber be­wusst eine Um- und Auf­wer­tung des Ge­fühls (des Stol­zes) an (9).

Hume macht schließ­lich noch einen wich­ti­gen Punkt im Hin­blick auf die Be­zie­hung von Ge­fühl und Spra­che. Kom­mu­ni­ka­ti­on und Ver­stän­di­gung funk­tio­nie­ren nur, wenn die ge­mein­sa­me Spra­che auf der Basis ge­mein­sa­mer Ab­sich­ten (‚kol­lek­ti­ve In­ten­tio­na­li­tät’) ge­bil­det und Be­zeich­nun­gen von Be­wer­tun­gen („Lob und Tadel“) in Über­ein­stim­mung mit den Ge­füh­len fest­ge­setzt wurde. Der Dis­kurs über Ge­füh­le (und Cha­rak­te­re) ver­mag zudem in­di­vi­du­el­le „Ge­füh­le all­ge­mei­ner und so­zia­ler zu ma­chen“ und zu einem all­ge­mei­nen und sta­bi­len Be­wer­tungs­maß­stab zu kom­men (Nr. 10).

Man kann den ko­gni­ti­ven, d.h. pro­po­si­tio­na­len bzw. Ur­teil­s­cha­rak­ter des Stol­zes ak­zen­tu­ie­ren: Stolz be­steht dem­nach we­sent­lich aus einer Über­zeu­gung bzw. einem Ur­teil – dass man selbst lo­bens­wert ist -, das sich aus we­nigs­tens zwei an­de­ren Ur­tei­len er­gibt – dass näm­lich ein be­stimm­tes Merk­mal („Schön­heit“, „Tu­gend“, „Reich­tum“) all­ge­mein als lo­bens­wert er­ach­tet wird und dass man zwei­tens die­ses Merk­mal selbst auf­weist oder in enger Be­zie­hung zu dem Ge­gen­stand steht, der diese Ei­gen­schaft be­sitzt (so D. Da­vid­son in A) Der Stolz und seine Grün­de). Oder man kann ak­zen­tu­ie­ren, dass die Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit die­ses Ge­fühls ab­hän­gig ist von der Exis­tenz eines ge­sell­schaft­lich an­er­kann­ten Sys­tems von (äs­the­ti­schen/mo­ra­li­schen) Wer­ten (so Dem­me­ring/Land­wehr in B) Rin­der­rou­la­de und Prü­fung).

Wei­ter­füh­ren­de Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zur Ideen-Ge­schich­te (und zur Phä­no­me­no­lo­gie) des Stol­zes fin­den sich bei

  • Chris­topf Dem­mer­ling und Hilge Land­weer Hrsg. (2007): Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le. Von Ach­tung bis Zorn, Stutt­gart, Metz­ler, S. 245-258.

Die bün­digs­te Dar­stel­lung von Humes Psy­cho­lo­gie unter be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung des Stol­zes gibt

  • Te­rence Pen­el­hum (20059): Hume’s moral psy­cho­lo­gy, in The Cam­bridge Com­pa­ni­on to Hume (ed. David Fate Nor­ton), Cam­bridge/New York, Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press, pp. 107 - 147;

aus­führ­li­cher die klas­si­sche Stu­die von

  • An­net­te C. Baier (1991) A Pro­gress of Sen­ti­ments. Re­flec­tions on Hume’s Trea­ti­se, Cam­bridge Mass./Lon­don, Har­vard Uni­ver­si­ty Press, be­son­ders Kap. 6 - 7.

Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le: Her­un­ter­la­den [docx][88 kB]

Phi­lo­so­phie der Ge­füh­le: Her­un­ter­la­den [pdf][323 kB]