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Didaktische Hinweise & Vernetzung

Didaktische Hinweise

Aufgrund seiner modernisierten Sprache und verkürzten Darstellung des mittelhochdeutschen Parzival-Stoffes eignet sich Bärfuss’ Drama für eine ertragreiche Behandlung im Unterricht. Da in der siebten oder achten Klasse eine Begegnung mit mittelalterlicher Literatur erfolgt, kann es reizvoll sein, eine Figur wie Parzival mit ihrer modernen Perspektivierung in einem Theaterstück der Gegenwart in der Kursstufe zu behandeln. Dabei kann ein niederschwelliger Einstieg erfolgend, den für die Schülerinnen und Schüler ist die Welt des Mittelalters – wenn auch häufig mit wenig Akkuratesse – in Mittelaltermärkten, Musikfestivals, Ritterspielen, Fantasygeschichten oder Kinder- und Computerspielen präsent. Beliebt sind auch Film- und Fernsehproduktionen (Game of Thrones, Excalibur, King Arthur, Der erste Ritter) mit Mittelalterbezug. Zur Hinführung können diese intermedialen Zugänge gewählt werden. Beiträge zur Gralssage (etwa in der ZDF-Mediathek: „Mythos. Der Heilige Gral“) thematisieren die Sehnsucht des Menschen nach geheimnisumwobenen Erlösungsmythen.

Es bietet sich auch an, die vielen komischen Elemente des Stücks genauer zu analysieren, wie in der literaturwissenschaftlichen Einführung oben beschrieben. Insbesondere Parzivals Selbstbezogenheit und seine animalische bzw. brachiale Vorgehensweise als naiver Tor sowie seine Habgier (vgl. zum Motiv bei Wolfram: Ridder 2007) im Kontrast zu seiner schönen und anmutigen Gestalt wirken komisch und befremdlich.

Ferner bieten sich ausgewählte Vergleiche mit der mittelhochdeutschen Vorlage an. Insbesondere eignet sich eine vergleichende Lektüre der berühmten ersten Gralsszene bei Wolfram, die gerade durch das implizite Ausmalen des Leids auf der Gralsburg dem Verbot Rechnung trägt, dass die Gralsgemeinschaft die Erlösung gerade nicht durch eine direkte und aktive Motivierung Parzivals zur Mitleidsfrage stimulieren darf (vgl. zum Manipulationsverbot und zur Frageprovokation: Schirok 2005). Interessanterweise zeigt sich in Wolframs Versepos ein inszenatorischer Charakter der ersten Gralsepisode, da die Figuren auf der Gralsburg gleichsam wie Schauspieler den Jammer und das Leiden vor den Augen Parzivals emphatisch anzeigen, mit dem Ziel, ihn zur Mitleidsfrage zu bewegen. Diese Strategie lässt sich auch über eine Analyse der evozierten Stimmungen um den Gral beobachten, die Parzival zur Mitleidsfrage motivieren sollen (vgl. Ridder 2017). Allerdings scheitern diese Beeinflussungsversuche, da Parzival nicht die erlösende Frage stellt und somit in der passiv zuschauenden Beobachterrolle verharrt. Bärfuss’ Gattungswechsel zum Theaterstück schließt hier nahtlos an, auch wenn nunmehr die Situation sehr deutlich von Anfortas in Worte gefasst wird. Die prägnante Beschreibung seines Leides, die Explizitheit seiner Situationsbeschreibungen bei Bärfuss verstärken indes noch Parzivals Versagen, wodurch sein Desinteresse und sein fehlendes Mitleid noch stärker herausgestellt werden. Seine Fallhöhe wird geradezu noch gesteigert.

Das letzte Fragewort der Synopsis „warum?“ lässt sich insofern differenziert diskutieren, weil auch in Bärfuss’ Parzival-Stück offenbleibt, wie es zur erlösenden zweiten Gralsepisode tatsächlich kommt. Vorbereitend lässt sich das Thema Erziehung, Lernen und Lehren, d.h. die verschiedenen Erzieher Parzivals näher in den Blick nehmen. So lassen sich die Ratschläge der Mutter, Gurnemanz’ und Trevrizients, aber auch das Verhalten des Artushofes im Umgang mit Parzival kritisch hinterfragen: Ist es die verkehrte Welt oder sind es die verkehrten Werte, die Parzivals Erziehung zunächst scheitern lassen? Inwiefern ist die Aufnahme des ständig scheiternden Parzival in die Reihe der Artusritter nachvollziehbar oder eher unmotiviert? Was verrät dies über das (ausgehöhlte) Wertesystem des Artushofes, auch im Vergleich zur Gralsgemeinschaft? Parzival selbst beteuert, sein Fehlverhalten gehe vornehmlich auf problematische Ratschläge, d.h. auch auf eine verkehrte Erziehung zurück. Inwiefern ist er ferner also bereit, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen bzw. inwiefern kann man von ihm eine Eigeninitiative erwarten? Gibt es eine Szene im Stück, in der Parzival tatsächlich einen produktiven Lernprozess durchläuft? Oder noch weiter fortgesponnen: Ist Empathie überhaupt lehrbar? Oder ist es in der Fassung von Bärfuss ebenfalls schlicht eine Fügung oder gar eine Gnade, dass Parzival eine zweite Chance zur Erlösung des Gralskönigs bekommt? Angedeutet wird zumindest eine Art Paradoxon: Sobald Parzival von seinem Ziel der Wiedergutmachung absieht, enttäuscht seine zweckgerichteten Versuche der Verwirklichung aufgibt, findet er seinen Weg und sich selbst. Daran anschließend können Züge des (verkehrten) Entwicklungsromans (vgl. zu Wolfram: Sassenhausen 2007) im Vergleich mit Bärfuss’ Theaterstück thematisiert werden. Durch diese grundsätzlich durch das Theaterstück aufgeworfenen Fragen wird die Deutungsoffenheit der mittelhochdeutschen Vorlage fortgeschrieben, was dazu einlädt, den Gralssucher Parzival angesichts einer verkehrten Welt, zweifelhafter Idole und teilweise ausgehöhlter Werte neu zu perspektivieren.

Vernetzung

  • Wolfram von Eschenbach: Parzival

  • Entwicklungsroman

  • Peter Handke: Kaspar (Sprachkritik)

  • Gegenwartstheater

Textausgabe:

Lukas Bärfuss: Parzival. In: Lukas Bärfuss: Malaga. Parzival. Zwanzigtausend Seiten. Göttingen 2012, 49-122.

Bärfuss „Parzival“: Herunterladen [pdf][182 KB]