Didaktische Hinweise & Vernetzung
Didaktische Hinweise
Chamissos phantastische Novelle ist eine im Deutschunterricht der Oberstufe gern gelesene und behandelte Ganzschrift. Ihre in ihrem Bedeutungsgehalt leicht erschließbare Märchensymbolik, der eingängige Erzählduktus, das gut nachvollziehbare Geschehen sowie die intuitiv erfassbare, unverhüllte Beispielhaftigkeit von Figuren und Handlung sowie die leserfreundliche, doch kunstvolle narrative Gestaltung ermöglichen eine einfache Erstrezeption und machen eine selbständige Lektüre ohne große Vorentlastung durch die Lehrkraft möglich. Es bietet sich im Sinne der Verständnissicherung zunächst an, den Verlauf des wundersamen Schicksals der Hauptfigur in seinen Entwicklungsstufen und Wendepunkten zu analysieren, bevor anhand von Figurenanalysen und thematischen Schwerpunkten in die Tiefenschichten des Textes vorgedrungen werden kann. Folgende thematische Aspekte wären im Zuge der unterrichtlichen Behandlung denkbar und lohnenswert:
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Sein und Haben: Bendel, Mina, Schlemihl vs. der Forstmeister, Herr John, der graue Diener
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Die Gesellschaft Herr Johns: Konsum und äußerer Schein
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Schlemihls Schicksal:
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Symptome der Isolation und Entfremdung von sich und der Gesellschaft
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Ablehnung des zweiten Paktangebots: Bewahrung des Selbst, der personalen Identität und der moralischen Integrität
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die Läuterung: Ersatz der dämonischen Geldquelle (materieller Reichtum) durch die Erforschung der Natur (geistiger Reichtum)
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Figurenanalysen:
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Peter Schlemihls Charakterwandel
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der Graue als Teufels- und Verführerfigur (Vergleich mit Mephisto in Goethes Faust)
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Bendel vs. Rascal
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Mina vs. Fanny
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das Förster-Ehepaar und Herr John
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die Textgattung: phantastische Novelle (Novellenmerkmale), Abgrenzung zum Märchen
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die Märchen-Motive und ihre Bedeutung, auch vergleichend
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der Text als kritische Auseinandersetzung mit seiner Zeit: historischer Kontext, Gesellschaftsstruktur, Hansestadt Hamburg als bürgerlich-republikanische Enklave – Vorbild für die Stadt im Text
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literarische Rezeption / Intertextualität / Werkvergleiche
motivgleich
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E.T.A. Hoffmann: Die Abenteuer der Sylvester-Nacht (1815)
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Nikolaus Lenau: Anna (1838)
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Friedrich Förster: Peter Schlemihls Heimkehr (1843)
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Hans Christian Andersen: Der Schatten (1847)
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Eduard Mörike: Der Schatten (1856)
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Adelbert Alexander Zinn: Schlemihl (1909) – Drama
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Barbara König: Das Kind und sein Schatten (1958) – Erzählung
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Christof Meckel: Die Schatten (1962) – Erzählung
Motivsubstitution
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Wilhelm Hauff: Das kalte Herz (1828)
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Karl Spindler: Der Mann ohne Namen (1833)
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Friedrich Brunold: Waldgeist (1845)
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Alexander von Ungen-Sternberg: Erzählung des dicken Herrn (1847)
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Anton von Perfall: Das verkaufte Genie (1900)
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Max Jungnickel: Gäste der Gasse (1919)
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James Krüss: Tim Thaler und das verkaufte Lachen (1962)
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die Aktualität von Chamissos Novelle
Vernetzung
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siehe oben: Intertextualität, Werkvergleiche
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Wendepunkte in der Literatur und Zeitgeschichte um 1800
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Thomas Hettche: Pfaueninsel (2014); in dem Roman taucht die Figur des Peter Schlemihl auf; die Zwergin Marie trifft dort im Jahr 1819 auf ihn, dieser erstellt einen Schattenriss von ihr.
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Ernst Ludwig Kirchner: siebenteiliger Zyklus über Peter Schlemihl (1915), um seiner eigenen Zerrissenheit Ausdruck zu verleihen.
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Kurt Blumenfeld: ‚Erlebte Judenfrage‘ (Erinnerungen) - Rolle der Figur des Schlemihl in der Theorie des Zionismus, am Beispiel des russischen Propagandisten Schmarja Levin: „Wenn er (Levin) über Peter Schlemihl und seinen Schatten sprach, zweifelte er nicht daran, dass die bekannte Erzählung Chamissos den Juden zum Helden hat, dem sein Schatten und damit das Eigentliche seines Wesens verloren gegangen war. Ihm (Schlemihl) geht es darum, den Schatten wiederzufinden; zur Gegenwart die Vergangenheit hinzuzufügen.“
Chamisso: „Schlemihl“: Herunterladen [pdf][198 KB]