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Franz Grillparzer: Der arme Spielmann (1847)

Empfehlung für die Orientierungsstufe, das Basisfach und das Leistungsfach

Kurzinformation

Kreidezeichnung: Portrait von Franz Grillparzer von dem Künstler Johann Josef Schmeller  (1796–1841) aus dem Jahr 1826

Franz Grillparzer@Goethe Nationalmuseum.JPG von Hajotthu, Künstler: Johann Josef Schmeller (1796–1841); Sammlung: Goethe-Nationalmuseum [PD-US] via Wikimedia

Der sich als ein „Liebhaber der Menschen“ bezeichnende Ich-Erzähler besucht wie jedes Jahr das sommerliche Brigittenkirchweihfest in Wien. Inmitten der Menschenmassen entdeckt er einen „leicht siebzigjährigen Mann“, der als Straßenmusikant voller Inbrunst eine ramponierte Violine traktiert, ohne dass dies von den Passanten honoriert wird. Nur der Erzähler legt einen Betrag in dessen Hut und kommt mit dem skurrilen, doch ordnungsliebenden und gebildeten Alten ins Gespräch. Nach ersten Auskünften über seine Lebenssituation und sein Geigenspiel willigt der Spielmann (Jakob) in einen Besuch des Erzählers in seiner ärmlichen Behausung ein. Dort bittet ihn dieser, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen: Als Sohn eines Hofrats wird der verträumte und bedächtige Jakob nach einer verpatzten Prüfung erst aus der Schule, dann aus dem väterlichen Haus verbannt und in eine Schreibkanzlei versetzt. Ein gesungenes Lied, das er eines Tages hört, weckt seine Liebe zur Musik und er beginnt das Geigenspiel, das seine Passion wird und zeitlebens bleibt. Er verliebt sich in die Sängerin des schönen Liedes, eine Kuchenbäckerin, der er sich schüchtern annähert. Nach häufiger Abfuhr und einer Zeit des Zauderns erweckt das von ihr erneut gesummte Lied seine Gefühle, er umfasst sie kurz und es kommt zu einer einmalig bleibenden Annäherung. Da sie ihn für zu weibisch, naiv und unerfahren im Leben hält, kommt es trotz einer Erbschaft nach seines Vaters Tod zu keiner dauerhaften Verbindung, zumal er von einem dubiosen Geschäftspartner um sein gesamtes Vermögen gebracht wird. Sie trennt sich endgültig von ihm, um einen Fleischer zu ehelichen und zwei Söhne zu gebären. Jakob schlägt sich fortan mittellos und ohne Angehörige als armer Geiger durchs Leben. – Als der Ich-Erzähler eines Tages von einer längeren Reise zurückkehrt, erfährt er, dass Jakob bei selbstlosen Rettungseinsätzen im Zuge einer Überschwemmung sein Leben gelassen hat. Er begegnet in Jakobs Zimmer Barbara, die dessen Beisetzung organisiert und Jakobs Geige voller Wehmut vor dem Zugriff des Erzählers schützt.

Grillparzers 1847 erstmals erschienene Erzählung gilt als Klassiker der deutschsprachigen Literatur und ist sowohl als Schullektüre als auch als literaturwissenschaftlicher Forschungsgegenstand weit verbreitet. Dies liegt einerseits daran, dass die Darstellung der Hauptfigur Einfühlungsaffekte erzeugt und Mitleid erweckt, sie sich gleichwohl aber einer eindeutigen Beurteilung entzieht; der so herausgeforderte Intellekt hat sich sodann einer zunächst ungeahnten Bedeutungskomplexität zu stellen. Andererseits rücken anthropologische und ästhetische Fragen in den Blick. Es eröffnet sich eine Fülle an Bezügen (antike Mythen, Christentum, Geschichte) und an thematischen Aspekten (Außenseiter, Kunst zwischen Autonomie und Ökonomie, Individuum und Gesellschaft), die ein „reiches Wirkungs- und Erkenntnispotential darbiete[n]“ (Hoffmann, 1999). Die schon von A. Stifter als Meisterwerk bezeichnete Erzählung lässt einerseits in der identitätsstiftenden und lebensbestimmenden Kraft der Kunst ein romantisches Erbe erkennen, weist jedoch andererseits mit seinem „unheldischen Helden“ (Seeba 1983) auf die Verlusterfahrungen des modernen Subjekts voraus. So verwundert es nicht, dass Der arme Spielmann zahlreiche Bewunderer im Kreise der literarischen Moderne gefunden hat (Stifter, Keller, Hofmannstal, T. Mann, Kafka). Nicht untypisch für einen Klassiker, hat der Text auch Leserinnen und Lesern der Gegenwart noch einiges zu sagen. Die Auswirkungen von Erziehung und charakterlicher Prägung auf das Leben des Einzelnen sind hier ebenso zu nennen wie der Stellenwert und die Bedeutung von Kunst für Individuum und Gesellschaft. Beides, Individualität und Kunst, sind in der Person Jakobs „Marginalisierungsmechanismen“ (Schmitt 2021) unterworfen, die typisch für eine Gesellschaft sind, in der die ökonomische Verwertbarkeit und öffentliche Anerkennung im Zentrum stehen.

Textausgaben:

Textausgabe mit Anmerkungen von Helmut Bachmaier und einem Nachwort von Christian Schmitt. Stuttgart 2021 (Neuauflage)

Historisch-kritische Ausgabe. In: Franz Grillparzer, Sämtliche Werke, hrsg. von August Sauer fortgef. von Reinhold Backmann. Abt. I, Bd. 13, Wien 1930, 35-81 [HKA. Digitalisat bei ALO, Austrian Literature Online]

Grillparzer: „Spielmann“: Herunterladen [pdf][195 KB]

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