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Literaturwissenschaftl. Einordnung & Deutungsperspektiven

Die Komödie Die Soldaten gehört wie Der Hofmeister zu den ‚Straßburger Dramen‘ von Lenz. Sie ist im Winter 1774/75 entstanden, aber erst auf Vermittlung Herders 1776 gedruckt worden. Neben der Auseinandersetzung mit Shakespeare ist insbesondere die mit Plautus zu nennen, da Lenz im römischen Komödiendichter ein Vorbild erkennt: Andere Ausprägungen der Komödien (etwa die Sächsische Typenkomödie) seien zu abstrakt und abgehoben, denn er wolle vielmehr den Geschmack der Bevölkerung treffen.

Rekurriert werden kann in diesem Kontext auch auf die Anmerkungen übers Theater (1774 publiziert), neben Goethes Rede Zum Schäkespears-Tag die wichtigste theoretische Auseinandersetzung mit der Gattung des Dramas zu dieser Zeit. Die Anmerkungen von Lenz können als „Umbruch in der Geschichte des deutschen Theaters dar“ (Winter 2000) bezeichnet werden. Die Schrift stellt keine systematische theoretische Entfaltung dar, aber es wird offensichtlich, dass Lenz sich von der Dichtungstheorie der Aufklärung abwendet und ein „Theater fürs ganze menschliche Geschlecht“ fordert. Er negiert die drei Einheiten des Aristoteles und stellt den nicht idealisierten, sondern realistischen Charakter in den Mittelpunkt.

Die Einordnung des Stückes in die Strömung des Sturm und Drang ist eindeutig. Demgegenüber wird diskutiert, ob das Drama gattungspoetologisch der Gattung ‚Komödie‘ oder ‚Tragödie‘ zugeordnet werden kann (bereits Monika Wiessmeyer klassifizierte die Komödien von Lenz 1986 als ‚Tragikomödien‘). Lenz selbst bemerkt hierzu in den Anmerkungen übers Theater : „Die Hauptempfindung in der Komödie ist immer die Begebenheit, die Hauptempfindung in der Tragödie ist die Person, die Schöpfer ihrer Begebenheiten.“ Offenkundig ist jedoch, dass es sich um ein Drama der offenen Form handelt (die Einzelszene ist bei Lenz etwa autonom und es finden sich gereihte Kurzszenen). Auch der Schluss des Stückes bleibt offen, da nicht alle Informationsdiskrepanzen aufgehoben werden und trotz der Schlussszene die Kernkonflikte bestehen bleiben. Indem keine realistische Lösung angeboten wird, bleibt das Auflösen dem Betrachter überlassen, so dass Lenz bereits Techniken des Brechtschen Epischen Theaters vorwegnimmt.

Zentrales Thema des Stückes ist die Ständeproblematik, die sich im Aufeinandertreffen des Adels und des Bürgertums manifestiert; eine Verwirklichung von freiheitlichen Zielen, so eine der Aussagen der Tragikomödie, ist im engen System der Ständegesellschaft nicht möglich. Winter konstatiert: „Einerseits machen Marie und Stolzius ein individuelles Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, zumindest, Selbstbehauptung geltend. Andererseits werden sie durch die sozialen Zwänge in ihrem Denken, Fühlen und Handeln derart bestimmt, dass sie ihr Grundbedürfnis nur entstellt und verzerrt äußern können. Es trägt die Figuren nicht in ihrem Handeln so, dass es sie zu einer größeren Freiheit leitet oder sie derart untergehen lässt, dass dabei ein verborgener Sinn ihres Opfers sichtbar würde.“ (Winter 2000)

Die Soldaten sind ferner ein Drama der Sprachreflexion. Marie möchte beispielsweise in der Eröffnungsszene einen Brief schreiben und die Sprache der Galanterie imitieren, was ihr aber nur bedingt gelingt. Interessanterweise erkennt ihr Vater (ein Galanteriehändler!) diese Sprache der Galanterie in der sechsten Szene des ersten Aktes in den Versen von Desportes nicht und erlaubt seiner Tochter, weiterhin mit in die Komödie zu gehen. In diesem Kontext sei auch darauf verwiesen, dass die Komödie als Gattung an mehreren Stellen des Stückes auf einer Metaebene reflektiert wird; Haudy bemerkt etwa in der vierten Szene des Ersten Aktes gegenüber dem Feldprediger Eisenhardt: […]ich behaupte ihnen hier, dass eine einzige Komödie und wenn´s die ärgste Farce wäre, zehnmal mehr Nutzen, ich sage nicht unter den Officiers allein, sondern im ganzen Staat, angerichtet hat, als alle Predigten zusammengenommen[…]

Textausgaben:

[Lenz, Jakob Michael Reinhold]: Die Soldaten. Eine Komödie. Leipzig 1776. [Die Erstausgabe kann als pdf-Datei im Heidelberger Jakob-Lenz-Archiv eingesehen werden: lenz-archiv.de ]

Lenz, Jakob Michael Reinhold: Die Soldaten. Eine Komödie. Reclam XL. Text und Kontext. Herausgegeben von Thorsten Krause. Stuttgart 2017.

Lenz: „Soldaten“: Herunterladen [pdf][183 KB]