Inhalt
Als Handlungsort des Stückes dient die den drei abrahamitischen Religionen heilige Stadt Jerusalem zur Zeit des 3. Kreuzzugs (12. Jahrhundert). Die Kreuzfahrer haben eine Spur der Verwüstung durch Palästina gezogen. Unmittelbar davon betroffen ist auch der titelgebende Protagonist des Dramas, der reiche jüdische Kaufmann Nathan. Er ist schwer durch das Schicksal gezeichnet. Schon zwei Jahrzehnte vor dem Zeitpunkt, an dem die Handlung einsetzt, hat er durch Pogrome christlicher Eroberer seine Frau und seine sieben Söhne verloren. Das Stück setzt damit ein, dass Nathan von einer Geschäftsreise zu seinen Schuldnern nach Jerusalem zurückkehrt. Dort berichtet ihm die Dienerin Daja, eine fromme Christin, von erneutem Leid. Nathans Haus wurde durch einen Brand schwer beschädigt; seine Adoptivtochter Recha konnte im letzten Moment von einem jungen Mann aus den Flammen gerettet werden. Nathan zeigt sich tief erschüttert und will dem Retter Rechas, einem christlichen Tempelherrn, persönlich danken. Dies erweist schwieriger als gedacht, weil der Tempelherr, nachdem er Recha in Sicherheit gebracht hat, schnell seines Weges gegangen ist. Wie sich im Zuge von Nathans Nachforschungen herausstellt, hat der Tempelherr kurz vor seiner Rettungstat selbst dem Tod ins Auge geblickt. In die Gefangenschaft des Sultans geraten, sollte er hingerichtet werden, um so für die Gewalttaten der Kreuzritter zu büßen. Nur durch eine Intervention Saladins, der im Templer eine frappierende Ähnlichkeit mit seinem verschollenen Bruder Assad festzustellen vermeinte, hat man die Exekution im letzten Moment gestoppt. Dieser unerwartete Gnadenakt erschüttert den jungen Mann. Deswegen wendet er sich an einen Bettelmönch, der ihm Orientierung geben soll. Wenig später wird der Tempelherr von Daja aufgesucht. Sie bittet ihn, in Nathans Haus zu kommen, damit ihm für seine Rettungstat der gebührende Dank geleistet wird. Unwirsch lehnt der Templer ab. Währenddessen berät sich Saladin mit seiner Schwester Sittah. Die beiden erwägen eine Verschwägerung zwischen dem eigenen Herrschaftshaus und dem des christlichen Königs Richard Löwenherz. Sittah soll Richards Bruder heiraten, Saladins und Sittahs Bruder Melek soll die Schwester Richards ehelichen. Dafür benötigt der chronisch klamme Saladin aber das Geld Nathans. Nathan hat sich währenddessen selbst auf den Weg gemacht, um den Tempelherrn zu sich nach Hause einzuladen, damit er ihm persönlich danken kann. Die beiden begegnen sich jedoch zufällig auf der Straße. Im zentralen Religionsgespräch erklärt Nathan dem Tempelherrn die Grundprinzipien seiner religiösen Haltung und nimmt ihn so für sich ein. Das Gespräch wird abrupt unterbrochen, weil Saladin nach Nathan schicken lässt. Er braucht ihn als Kreditgeber für seine Heiratsprojekte. Um ihn gefügig zu machen und um Nathans legendäre Weisheit auf die Probe zu stellen, richtet er auf Sittahs Vorschlag die berühmte Frage an ihn: „Was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?“ Nach kurzer Bedenkzeit erzählt ihm Nathan das berühmte „Geschichtchen“ von den Ringen. Nathan belässt es aber nicht bei der Erzählung der später so genannten Ringparabel, sondern fügt noch eine eigene Bemerkung zur „Kraft des Steins“ (auf dem Ring) hinzu. Demnach besteht die Aufgabe jedes Gläubigen darin, der „Kraft mit Sanftmut, /Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun/ Mit innigster Ergebenheit in Gott gerecht zu werden“ (III, 7). Es vergehen einige Stunden, bis der Tempelherr der Einladung ins Haus Nathans nachkommt. Statt des Hausherrn trifft er jedoch auf Recha, die er zum ersten Mal, seitdem er sie gerettet hat, sieht. Die beiden verlieben sich ineinander, auch wenn der Tempelherr sich das nicht eingestehen will. Seine Ablehnung alles Jüdischen hält ihn davor zurück. Aus Angst vor seiner eigenen Liebe flieht er aus Nathans Haus, um wenig später doch zurückzukommen, um bei Nathan um Rechas Hand anzuhalten. Nathan gibt sich jedoch unerwartet reserviert. Daraufhin ergreift die Dienerin Daja die Initiative. Sie verrät dem Tempelherrn das Geheimnis von Rechas Herkunft. Sie sei lediglich Nathans Adoptivkind und eigentlich christlich getauft. Die Wirkung ist jedoch anders als erwartet. Dass ein Jude eine Christin aufnimmt und erzieht, erzürnt den Tempelherrn, der bereits durch Nathans ablehnende Haltung gegenüber seinem Heiratsantrag ungehalten ist. Rachsüchtig denunziert er Nathan beim Patriarchen von Jerusalem, einem religiösen Fundamentalisten. Als dieser Nathan der Häresie anklagen will, wird dem Templer bewusst, was er aus Zorn angerichtet hat. Er bereut seine unbesonnene Tat und bittet Nathan um Vergebung. Dieser wurde bereits vom Klosterbruder, dem Vertrauten des Tempelherrn, über die gefährlichen Pläne des Patriarchen informiert. Der Mönch trägt noch ein weiters Geheimnis bei sich. Er entdeckt sich als der Unbekannte, der Nathan vor achtzehn Jahren ein elternloses Kind, dessen Vater gerade im Kampf gefallen war, in Obhut gegeben hat. Als Beweis zeigt er ihm ein Brevier, das ihm der Vater des Kindes kurz von seinem Tod gegeben hat. Aus diesem geht hervor, dass Recha eigentlich Blanda von Filnek heißt und die Schwester des Tempelherrn ist. Der Vater der beiden war Wolf von Filnek. Dieser ist wiederum niemand anders als Assad, Saladins Bruder. (Saladin hatte ja bereits zuvor die große Ähnlichkeit des Tempelherrn mit seinem Bruder wahrgenommen.) Somit sind der Tempelherr und die Pflegetochter des Juden Nathan, die beide christlich getauft sind, Neffe und Nichte des muslimischen Sultans Saladin. Das Stück endet nach der Anagnorisis in einer großen Umarmungsszene.
Lessing: „Nathan“: Herunterladen [pdf][245 KB]