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Inhalt

Eduard, der Ich-Erzähler in Stopfkuchen, ist ein deutscher Auswanderer, der mit seiner burischen Frau und seinen Kindern auf einer Farm in Südafrika lebt. Nach vielen Jahren hat er in seine norddeutsche Heimatstadt besucht. Zu Beginn der Erzählung befindet er sich jedoch bereits wieder auf der Schiffspassage zurück ans Kap der guten Hoffnung. Die Konfrontation mit seiner Vergangenheit hat ihn tief aufgewühlt, denn noch während der Überfahrt schreibt er einen ausführlichen Bericht über das Erlebte. Im Zentrum der Ausführungen steht die Begegnung mit seinem ehemaligen Mitschüler Heinrich Schaumann. Zu Schulzeiten hat man Schaumann wegen seiner Leibesfülle als „Stopfkuchen“ gehänselt. Sogar körperliche Angriffe sind ihm nicht erspart geblieben. Schaumann erzählt Eduard, wie er sich in seiner Not anderen Außenseitern des Städtchens zugewandt hat, nämlich dem unter Mordverdacht stehenden Bauern Quakatz und dessen verwahrloster Tochter Valentine, einer Altersgenossin von Eduard und Heinrich. Der mit einem kleinen Gesinde mehr schlecht als recht bewirtschaftete Bauernhof der Quakatzens ist dem historisch interessierten Heinrich schon vor der Begegnung mit Vater und Tochter ein Faszinosum gewesen, weil er inmitten der Ruinen einer ehemaligen Befestigungsanlage errichtet worden ist. Von der „Roten Schanze“, so heißt der Ort, hat man schon in der Zeit des Siebenjährigen Krieges, also über 100 Jahre vor der Zeit, in der die Erzählung spielt, Salven auf die Spießbürger des Städtchens gefeuert.

Zutritt zum Haushalt von Vater und Tochter erhält Schaumann, weil er Valentine Quakatz gegenüber der feixenden Meute seiner Mitschüler mutig verteidigt. Mit dieser Tat gewinnt er zunächst das Vertrauen Valentines und später auch des alten Quakatz. Dieses Vertrauen zahlt sich bald aus. Valentine wird seine Geliebte und einige Jahre später seine Frau. Von seinem gesundheitlich angeschlagenen Schwiegervater übernimmt er kurz nach der Heirat auch den Bauernhof, den er mit einfachen Mitteln wieder in Stand setzt. Zur Zeit der Begegnung mit Eduard lebt Schaumann ein wenig luxuriöses, aber selbstbestimmtes Landleben. Die Bürger der Kleinstadt respektieren ihn für seine Aufbauleistung. Sein neu gewonnenes Ansehen trägt auch wesentlich dazu bei, dass die Menschen im Städtchen Valentine und – bis zu seinem Ableben – sogar dem verfemten Schwiegervater wieder Achtung erweisen.

Kontrastiert wird die Lebensgeschichte Schaumanns mit der nur in Andeutungen berichteten Biografie Eduards. Wie Schaumann entstammt auch Eduard einer kleinbürgerlichen Familie. Er selbst gehörte offenbar zu den schulischen Randfiguren. Denn statt sich mit seinen Klassenkameraden zu treffen, pflegte er meist Umgang mit dem Briefträger Störzer, den er auf dessen Landgängen begleitet. Störzer macht Eduard auch mit François Le Vaillants Reisen in das Innere von Afrika (1790/5) bekannt. Die Reisebeschreibungen eröffnen für Eduard erst phantastische, dann geographische Räume. Im Gegensatz zu Schaumann, dessen Lebensmittelpunkt sich auf einen geringen Radius um die Rote Schanze beschränkt, zieht es Eduard nach der Schul- und Studienzeit hinaus in die Welt. Nach langer Odyssee baut er sich eine Existenz als Farmer in Südafrika auf. Dort lebt er in soliden, aber eher bescheidenen Verhältnissen.

Ihren Kulminationspunkt erreicht die Geschichte, als Schaumann Valentine wie auch Eduard mit der Bemerkung überrascht, er kenne den Mörder des Pferdehändlers Kienbaum. Für dessen Tod hat man viele Jahre lang Quakatz verantwortlich gemacht. Der inständigen Bitte Valentines, deren tragische Jugendzeit als Ausgestoßene des Städtchens unmittelbar mit dem Mordvorwurf an den Vater zusammenhängt, den Mörder zu enthüllen, kommt Schaumann zunächst nicht nach. Er ist der schwerfällige Mensch der Schulzeit geblieben, der sich zu nichts drängen lässt. Absichtlich verzögert er die Rehabilitation seines Schwiegervaters durch umständliche und langwierige Schilderungen, die immer wieder durch Rituale der Nahrungsaufnahme unterbrochen werden. Valentine quält er besonders, denn er schließt sie von der Enthüllung des wahren Täters aus, weil er den letzten Teil der Geschichte nicht in Anwesenheit seiner Frau, sondern den Gästen eines schmuddeligen Restaurants der Kleinstadt erzählt. Er enthüllt, dass der Briefträger Störzer der Mörder Kienbaums gewesen ist. In einer tragischen Spiegelung der Stopfkuchen-Geschichte liegt das Motiv für den Mord in den Gemeinheiten und Demütigungen, die Störzer seit der gemeinsamen Schulzeit von Kienbaum immer wieder erdulden musste. Mit Schaumanns Erlaubnis verbreitet eine Kellnerin, die das Gespräch zwischen Eduard und Heinrich mitgehört hat, die Neuigkeit in der Stadt. Eduard zieht sich in sein Hotelzimmer zurück; einer Einladung der Familie Schaumann kommt er nicht mehr nach. Der Neugierde der Kleinstädter, die Näheres zum aufgeklärten Mord erfahren wollen, weicht er aus. Am nächsten Tag reist er in Richtung Hamburger Hafen ab. Vom Zug aus wirft er einen letzten Blick auf die Rote Schanze, jenem Ort, an dem die Gewalt der Kleinstadt seit Generationen zu Hause ist.

Textausgaben:

Wilhelm Raabe: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Textausgabe mit Anmerkungen, Worterklärungen, Literaturhinweisen und einem Nachwort von Alexander Ritter, Stuttgart 1986 (= Reclam Universal-Bibliothek 9393)

Wilhelm Raabe: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte Edition Holzinger. Taschenbuch. Berliner Ausgabe, Berlin 2016

Raabe: „Stopfkuchen“: Herunterladen [pdf][208 KB]