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In­halt

Im ers­ten Akt wer­den die exis­ten­zi­el­len Kon­flikt­kon­stel­la­tio­nen der Ju­gend­li­chen (alle ste­hen mit ca. 14 Jah­ren am Be­ginn der Pu­ber­tät) dar­ge­stellt. (1) Im Ge­spräch mit ihrer Mut­ter ver­sucht Wend­la ver­geb­lich Auf­schluss über deren Gebot zu be­kom­men, An­zei­chen der Ge­schlechts­rei­fe hin­ter züch­ti­ger Klei­dung (lange Röcke) zu ver­ber­gen. Die Hem­mung Frau Berg­manns, die Dinge beim Namen zu nen­nen, führt dazu, dass Wend­la wei­ter im Un­kla­ren über die Ent­wick­lung ihres Kör­pers bleibt. Mit einer An­spie­lung auf den Tod deu­tet sie un­be­wusst ihr tra­gi­sches Schick­sal an. (2) Mel­chi­or und Mo­ritz reden über den Bil­dungs­zwang sowie über Scham als Pro­dukt einer zu stren­gen Er­zie­hung; sie sind sich darin einig, dass der Mensch durch an­er­zo­ge­ne Mo­ral­vor­stel­lun­gen eine zu star­ke Ein­schrän­kung er­fährt. Ei­ge­ne ‚männ­li­che Re­gun­gen‘ wer­den mal als krank­haft (Mo­ritz), mal als na­tür­lich (Mel­chi­or) be­wer­tet. Beide neh­men ihr feh­len­des Wis­sen über Se­xua­li­tät als Pro­blem wahr und kri­ti­sie­ren das Bil­dungs­we­sen als le­bens­feind­lich: Es prak­ti­zie­re stumpf­sin­ni­ges Ler­nen sinn­lo­sen Wis­sens, das zur Hilf­lo­sig­keit in prak­ti­schen Le­bens­fra­gen führe. Mo­ritz gibt sich als Opfer einer re­pres­si­ven Moral zu er­ken­nen, die Se­xua­li­tät mit Sünde gleich­setzt und na­tür­li­che Re­gun­gen mit Schuld be­legt. (3) Die Freun­din­nen Wend­la, Mar­tha und Thea un­ter­hal­ten sich über ihre Er­zie­hung und ihre El­tern. Mar­tha hat unter stren­gen mo­ra­li­schen Zwän­gen zu lei­den und sieht keine Chan­ce auf Selbst­be­stim­mung. Fa­mi­liä­re Ge­walt (sie ist ob­sku­ren Züch­ti­gungs­ri­tua­len aus­ge­setzt) werde durch re­li­giö­se Fröm­mig­keit ver­brämt. Im Aus­tausch der Mäd­chen ent­ste­hen Frei­heits­phan­ta­si­en in Bil­dern al­ter­na­ti­ver Er­zie­hungs­kon­zep­te. Zu­letzt geht es ums Kin­der­krie­gen (alle drei sind ah­nungs­los) und um Mel­chi­ors athe­is­ti­sche An­sich­ten. (4) Mo­ritz hat sich ins Leh­rer­zim­mer ge­schli­chen, um her­aus­zu­fin­den, dass er zwar, wie an­de­re auch, auf Probe ver­setzt wird, es aber einen Wett­be­werb um den ein­zi­gen frei­en Platz in der hö­he­ren Klas­se geben wird. (5) Wend­la und Mel­chi­or be­geg­nen ein­an­der im Wald. Sie of­fen­bart ihr so­zia­les En­ga­ge­ment, das Mel­chi­or als kirch­lich in­dok­tri­nier­te Op­fer­freu­dig­keit abtut. Wäh­rend er jeg­li­che Form des Al­tru­is­mus leug­net, hält Wend­la an den Tu­gen­den der Be­schei­den­heit und Nächs­ten­lie­be fest. Ihre christ­li­che Op­fer­men­ta­li­tät stei­gert sich zur In­brunst, als sie Mel­chi­or auf­for­dert, sie zu schla­gen. Sein an­fäng­li­ches Zö­gern löst sich in einem sich stei­gern­den Ge­walt­aus­bruch auf, „wäh­rend ihm dicke Trä­nen über die Wan­gen rin­nen“ – ver­nünf­ti­ge Selbst­kon­trol­le hat ge­gen­über ent­hemm­ter Trieb­haf­tig­keit das Nach­se­hen. Im zwei­ten Akt spit­zen sich die Pro­blem­kon­stel­la­tio­nen der Ju­gend­li­chen zu und kul­mi­nie­ren in tra­gi­schen Er­eig­nis­sen. (1) Mo­ritz klagt ge­gen­über Mel­chi­or dar­über, dass der hohe schu­li­sche Leis­tungs­druck für ihn durch die eben­falls hohen el­ter­li­chen Er­war­tun­gen ins Un­er­träg­li­che ge­stei­gert sei. Er sieht sich ge­gen­über sei­nen El­tern, die große Opfer für den Er­folg des Soh­nes auf­brin­gen, in der Bring­schuld. Im Falle sei­nes Schei­terns wolle er Sui­zid be­ge­hen. Mel­chi­or stimmt ihm darin zu, dass das Bil­dungs­sys­tem kei­ner­lei Mit­mensch­lich­keit zeige. Frau Gabor tritt hinzu. Sie ver­tritt ein li­be­ra­les Er­zie­hungs­kon­zept, das auf Ver­trau­en in die in­di­vi­du­el­len Stär­ken und auf Selbst­ver­ant­wor­tung setzt. Im Ge­spräch über Goe­thes ‚Faust‘ zei­gen beide Jun­gen un­ter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen: Wäh­rend Mel­chi­or das männ­li­che Er­obe­rungs­den­ken fa­vo­ri­siert, wer­tet Mo­ritz die­ses als min­der­wer­tig ab, indem er das fei­ne­re weib­li­che Emp­fin­den her­vor­hebt. (2) Wend­las Schwes­ter Ina hat einen Jun­gen ge­bo­ren. Den­noch be­müht Fr. Berg­mann ge­gen­über Wend­la wei­ter­hin die Storch-Me­ta­pher, um sich einem Auf­klä­rungs­ge­spräch zu ent­zie­hen. Auf Wend­las Auf­for­de­rung, ihr un­ver­züg­lich die Wahr­heit über das Kin­der­krie­gen mit­zu­tei­len, re­agiert die Mut­ter hilf­los und ver­trös­tet ihre Toch­ter mit der Aus­sa­ge, dass man einen Mann von gan­zem Her­zen lie­ben müsse (ohne wei­ter ins De­tail zu gehen). (3) Häns­chen Rilow be­gibt sich al­lein mit einem Bild der nack­ten Venus von Palma Ve­c­chio auf die Toi­let­te, um sich in einem lüs­ter­nen Mas­tur­ba­ti­ons­mo­no­log (zwi­schen Ver­klemmt­heit und Trie­ber­fül­lung chan­gie­rend) Er­leich­te­rung zu ver­schaf­fen. (4) Mel­chi­or und Wend­la be­geg­nen sich auf dem Heu­bo­den: Ohne Wend­las Ge­gen­wehr ernst zu neh­men, ver­ge­wal­tigt er sie aus un­ge­hemm­tem Ei­gen­nutz. (5) Die vor­der­grün­dig em­pa­thi­sche Frau Gabor ver­fasst einen Ant­wort­brief an Mo­ritz als Re­ak­ti­on auf des­sen Bitt­brief, in dem er unter An­dro­hung eines Sui­zids darum bit­tet, ihm Geld für eine Schiffs­pas­sa­ge nach Ame­ri­ka zu lei­hen. In freund­li­chen Wor­ten lehnt sie das Er­su­chen ab, wobei sie ihm Er­pres­sung vor­wirft und ihn mit All­ge­mein­plät­zen ver­trös­tet. (6) Die nach der Ver­ge­wal­ti­gung völ­lig ver­wirr­te Wend­la weiß nicht, wem sie sich an­ver­trau­en kann, und ist in ihrer Not iso­liert. (7) Es folgt Mo­ritz’ Ver­zweif­lungs­mo­no­log als Prä­lu­di­um sei­nes Selbst­mords: Er fühlt sich im Kon­kur­renz­kampf des Le­bens un­ter­le­gen und ha­dert mit der Sinn­lo­sig­keit sei­ner Exis­tenz. Zwi­schen Le­bens­über­druss und dem Be­dürf­nis, seine Emo­tio­na­li­tät aus­zu­le­ben, hin- und her­ge­ris­sen, klam­mert er sich an die in­di­vi­du­el­le Frei­heit, selbst­be­stimmt aus dem Leben zu schei­den. Da er­scheint seine ehe­ma­li­ge Mit­schü­le­rin Ilse, be­rich­tet über ihr frei­es Leben als Mo­dell und macht ihm Of­fer­ten, mit ihr mit­zu­ge­hen. An­statt dar­auf ein­zu­ge­hen täuscht Mo­ritz schu­li­sche Ver­pflich­tun­gen vor und be­sie­gelt damit sei­nen Sui­zid. Die in­ter­na­li­sier­ten Norm­zwän­ge hal­ten ihn bis zu­letzt vom Aus­le­ben sei­ner Trieb­kräf­te ab. Im drit­ten Akt ge­ra­ten die Ak­teu­re der re­pres­si­ven bür­ger­li­chen Wert­ord­nung in den Fokus der Kri­tik. (1) Nach Mo­ritz’ Selbst­mord wird in einer gro­tes­ken Kon­fe­renz­sze­ne von der ver­sam­mel­ten Leh­rer­schaft Mel­chi­ors Auf­klä­rungs­schrift als Haupt­grund für die mo­ra­li­sche Ver­dor­ben­heit er­kannt, die letzt­lich auch zu Mo­ritz’ Sui­zid ge­führt habe. In ex­trem über­spitz­ter Dar­stel­lung (vgl. die Na­mens­sa­ti­re) ent­larvt diese Szene nicht nur die Bil­dungs­spra­che der Leh­rer als in­halts­lee­res und prä­ten­tiö­ses Ab­wehr­mit­tel, son­dern führt zudem Recht­ha­be­rei, das Ver­har­ren in einem sti­cki­gen In­nen­raum sowie das Feh­len jeg­li­cher Em­pa­thie als Merk­ma­le einer men­schen­ver­ach­ten­den In­sti­tu­ti­on vor, die das Opfer zum Schul­di­gen er­klärt, um sich selbst aus der Ver­ant­wor­tung zu neh­men. In einer Ver­neh­mungs­far­ce zu sei­ner Auf­klä­rungs­schrift („Der Bei­schlaf“) wird Mel­chi­or schließ­lich der mo­ra­li­schen Zer­rüt­tung über­führt. (2) Mo­ritz’ Be­er­di­gung gerät (die Per­ver­si­on der bür­ger­li­chen Ord­nung de­mons­trie­rend) zur Ver­ab­schie­dung eines Aus­sät­zi­gen. Er wird quasi zum zwei­ten Mal ver­ur­teilt (Pas­tor Kahl­bauch), Ren­tier Stie­fel ver­leug­net die Va­ter­schaft und Rek­tor Son­nen­stich be­zeich­net den Selbst­mord als den „be­denk­lichs­ten Ver­stoß gegen die sitt­li­che Welt­ord­nung“. Auch in der Schü­ler­schaft hält sich das Mit­leid in Gren­zen, zu sehr ist man selbst im Mühl­rad der Schu­le ge­fan­gen; ein­zig Mar­tha und Ilse er­wei­sen Mo­ritz die letz­te Ehre und wer­fen Blu­men ins Grab. (3) Im el­ter­li­chen Kon­flikt­ge­spräch wer­den das Ver­hal­ten ihres Soh­nes Mel­chi­or, die Re­ak­tio­nen der Schu­le, aber auch die ei­ge­ne Er­zie­hungs­pra­xis auf den Prüf­stand ge­stellt. Dabei tre­ten un­über­brück­ba­re Ge­gen­sät­ze zu­ta­ge: Wäh­rend Frau Gabor noch an ihren li­be­ra­len Prin­zi­pi­en fest­hält und Mel­chi­ors Schrift­stück für ein harm­lo­ses Zeug­nis kind­li­cher Dumm­heit hält, ver­ur­teilt ihr Mann das Tun sei­nes Soh­nes als na­tür­li­chen Hang zur Ver­dor­ben­heit. Er hält daher die Ein­wei­sung Mel­chi­ors in eine „Kor­rek­tur­an­stalt“ für un­ab­ding­bar, sie da­ge­gen droht für die­sen Fall mit Schei­dung. Erst mit dem Be­kannt­wer­den eines Be­ken­ner­briefs Mel­chi­ors, in dem er Ver­ant­wor­tung für sei­nen „Fehl­tritt“ ge­gen­über Wend­la über­nimmt, wen­det sich das Blatt und die Li­be­ra­li­tät Frau Ga­bors kol­la­biert; nun stimmt auch sie einer Ein­wei­sung in die An­stalt zu, damit er lerne, „nicht sein Na­tu­rell, son­dern das Ge­setz“ zu ach­ten. Von Selbst­kri­tik ist keine Spur. (4) In der Kor­rek­ti­ons­an­stalt ta­xiert Mel­chi­or die Mit­in­sas­sen, die ein­an­der mit Ge­walt­an­dro­hun­gen das Leben schwer ma­chen. Er hat schwe­re Ge­wis­sens­bis­se und be­ur­teilt sein Ver­ge­hen nun klar als Ver­ge­wal­ti­gung. (5) Die ‚kran­ke‘ Wend­la wird um­sorgt, ein tat­te­ri­ger Arzt dia­gnos­ti­ziert ‚Bleich­sucht‘ und ver­schreibt nutz­lo­se Pil­len. Mit Wend­las To­des­angst kon­fron­tiert, rückt Frau Berg­mann nun mit der Wahr­heit her­aus („Du hast ein Kind, Mäd­chen“), macht ihr aber so­gleich Vor­wür­fe („Oh warum hast du mir das getan!“). Wend­la weist alle Vor­wür­fe zu­rück und gibt der Mut­ter die Haupt­schuld an der Schwan­ger­schaft. (6) In einem vom Abend­rot an­ge­leuch­te­ten Wein­berg frö­nen Häns­chen von Rilow und Ernst Röbel ihrer ho­mo­ero­ti­schen Lei­den­schaft und schmie­den Zu­kunfts­plä­ne. (7) Mel­chi­or ist aus der An­stalt ge­flüch­tet und be­sucht das Grab der in­zwi­schen an du­bio­sen Ab­or­tiv­mit­teln ver­stor­be­nen Wend­la. Er be­zich­tigt sich offen des Mor­des an ihr und ver­sinkt in Ver­zweif­lung. Es be­geg­net ihm der Geist des toten Mo­ritz, der ihn davon über­zeu­gen will, zu ihm ins Reich der Toten zu kom­men, um dort ruhig und er­ha­ben die Al­bern­hei­ten der Le­ben­den zu be­ob­ach­ten. Fast hätte er ihn über­re­det, da tritt ein ver­mumm­ter Herr auf und weist Mo­ritz in die Schran­ken. Mel­chi­or bie­tet er sich als vä­ter­li­cher Rat­ge­ber an, ist aber zu­gleich me­phis­to­phe­li­scher Ver­füh­rer. Er re­la­ti­viert Moral als Pro­dukt der „ima­gi­nä­ren Grö­ßen Sol­len und Wol­len“ und führt Mel­chi­or zu­rück ins Leben.

Text­aus­ga­ben:

Text­aus­ga­be mit An­mer­kun­gen/Wort­er­klä­run­gen und Nach­wort, Anm. von Hans Wa­ge­ner, Nach­wort von Georg Hen­sel, Stutt­gart 2021

Text­aus­ga­be mit Kom­men­tar/Ma­te­ria­li­en, hrsg. von Thors­ten Krau­se, Stutt­gart 2021

Text­aus­ga­be mit Kom­men­tar von Hans­ge­org Schmidt-Berg­mann. Frank­furt/M. 2002

Di­gi­ta­le Text­aus­ga­be (Pro­jekt Gu­ten­berg): Pro­jekt Gu­ten­berg

We­de­kind: „Früh­lings Er­wa­chen“: Her­un­ter­la­den [pdf][219 KB]