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Wahlmodul 2A: Farbschönes. Machen leuchtende Farben Bilder schön?

Didaktisch-methodische Überlegungen

Gemeinhin gelten Bilder in der Öffentlichkeit aufgrund ihrer Farbgebung als schön, das Kunstschöne wird vielfach mit dem Farbschönen identifiziert. Um den Schüler:innen zu verdeutlichen, das Farbigkeit von Bildern keine notwendige Voraussetzung für die Ästhetik von Bildern wird, werden im zweiten Wahlmodul Werke des Impressionismus und Neoimpressionismus mit „grauschönen“ Arbeiten von Ben Willikens konfrontiert. Bildern von Impressionisten wie Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir oder Gemälden von Neoimpressionisten wie Georges Seurat und Paul Signac wird aufgrund ihrer leuchtenden Farben und der dadurch evozierten Stimmungen in der Bevölkerung und auch von Schüler:innen fast immer das Prädikat „schön“ verliehen, zumal diese Werke auch Gegenstand des Unterrichts in Bildender Kunst und in der Öffentlichkeit sehr präsent sind, u.a. auf Kalenderblättern. Impressionisten und Neoimpressionisten orientierten sich an dem Ideal, „Natur mit Licht und Farbe erfahrbar zu machen.“ (Westheider 2020, S. 63)

Um die unterschiedlichen Bildästhetiken der beiden Kunststile anschaulich zu identifizieren, werden als Einstieg zwei Gemälde mit dem gleichen Motiv, einem Sonnenuntergang, in fast gleicher Farbgebung einmal in der Darstellung von Monet und einmal in der Darstellung von Signac gewählt. In dieser Doppelstunde zum Farbschönen soll untersucht werden, welche Bedeutung die Farbwahl und Farbanordnung, genauer die Farbzerlegung für unser ästhetisches Empfinden hat. Da von den Impressionisten keine eigenen programmatischen Texte zu ihrer Kunst vorliegen, wird in dem Modul auf einen längeren Textausschnitt aus der zentralen kunsttheoretischen Schrift von Signac zum Selbstverständnis der Neoimpressionisten „D’Eugène Delacroix au néo-impressionisme“(1899) zurückgegriffen. Seine Ausführungen zur Farbzerlegung können von den Schüler:innen direkt auf die Bilder aus dem Unterrichtseinstieg bezogen werden.

In dem anschaulich verfassten Manifest vergleicht Signac anhand der Kategorien „Ziel“, „Mittel“ und „Ergebnisse“ die Kunst von Delacroix, mit der der Impressionisten und der der Neoimpressionisten. An dem ab 1872 verbreiteten Kunststil der in der Natur malenden Impressionisten kritisiert Signac die unregelmäßige Anwendung der Farbgesetze, was die Harmonie des Ganzen beeinträchtige. Demgegenüber lobt der Künstler am ab 1886 verbreiteten Neoimpressionismus die Orientierung an einer exakten, wissenschaftlichen Methodik. Die neoimpressionistische Kunsttheorie fokussiert Harmonie als Kriterium des Schönen durch Anwendung quasi mathematischer Farbkalküle. Diese Mathematisierung von Malerei soll in der Phase der Problematisierung diskutiert werden.

Unterrichtsziele

  • Farbzerlegung als Kriterium des Schönen identifizieren
  • Bildästhetik des Impressionismus und des Neoimpressionismus anhand von Kategorien miteinander vergleichen und beurteilen
  • Stellung nehmen zu Harmonie als Kriterium des Schönen

IBKs und PBKs

3.1.3 (3) Künste als Ausdrucksformen des Menschen beschreiben und analysieren

2.1 (3) Entwickeln und darstellen: philosophische Positionen auf wesentliche Aussagen reduzieren

2.2 (1): Beschreiben und hinterfragen: aus individuellen und kollektiven Wahrnehmungen philosophische Fragestellungen entwickeln

2.3 (1): Rekonstruieren und analysieren: sich das eigene Vorverständnis zu einem im Text beziehungsweise Medium enthaltenen philosophischen Problem mit seinen Voraussetzungen und Konsequenzen bewusst machen und artikulieren

2.4 (4): Prüfen und beurteilen: zwischen konträren Denkweisen vermitteln und differierende Positionen anerkennen

Einstieg

Claude Monet, Klippe von d`Aval, Sonnenuntergang (1885)

ArtsDot, aufgerufen am 1.7.2023

Paul Signac, Der Hafen bei Sonnenuntergang, Opus 236 (Saint-Tropez) (1892)

Sammlung Museum Barberini

Aufgaben

  1. Welches Bild findest Du schöner? Begründe Deine Entscheidung.
  2. Vergleicht die beiden Bilder hinsichtlich Gesamteindruck, Farbgebung, Schattendarstellung, Pinselführung und Bildaufbau.
  3. Diskutiert, ob leuchtende Farben einem Bild Schönheit verleihen.

Erarbeitung

Paul Signac (1863-1935), ein Hauptvertreter des Neoimpressionismus, erläutert in seiner Schrift „D’Eugène Delacroix au néo-impressionisme“(1899) seine Kritik am Impressionismus und sein Selbstverständnis von Kunst:

„Neo-Impressionisten sind diejenigen Maler, welche seit etwa zwölf Jahren die Technik der prismatischen Farbenzerlegung aufgestellt und entwickelt haben, wonach die Mischung der einzelnen Farben und Farbengrade im Gegensatz zu den bisherigen Malweisen nicht auf der Palette, sondern durch das Auge des Beschauers selbst vollzogen werden soll. Ihre große Ehrfurcht vor den ewigen Gesetzen der Kunst: Rhythmus, Gleichmaß und Kontrast, ihre Sehnsucht und ihr Streben nach größtmöglicher Leuchtkraft, Farbigkeit und Harmonie, die ihnen auf andere Weise zu erreichen nicht möglich schien, führten sie zu dieser Technik. […]

Es ist ein ziemlich weit verbreiteter Irrtum, dass man glaubt, die Neo-Impressionisten seien Maler, die nichts anderes tun, als ihre Leinwand mit kleinen vielfarbigen Punkten zu bedecken. […] Der Neo-Impressionist pointiliert nicht, er zerlegt. Unter diesem „Zerlegen“ ist zu verstehen: Alle Vorteile der Leuchtkraft, der Farbgebung und der Harmonie sich zu sichern und zwar

  1. Durch die Anwendung ausschließlich reiner Farben (alle Farben des Prismas und alle ihre Grade) und durch die Ausnutzung des in der Netzhaut sich vollziehenden Mischungsprozesses dieser Farben.

  2. Durch das Getrennthalten der verschiedenen Elemente, also der Lokalfarbe, Beleuchtungsfarbe, Reflex- und Kontrastwirkung.

  3. Durch die Abwägung und die Ausgleichung dieser Elemente untereinander (nach den Gesetzen der Kontrastwirkung, der Abstufung und der Strahlung).

  4. Durch die Verwendung von einzelnen Pinselstrichen, deren Größe in einem richtigen Verhältnis zur Größe des Bildes selbst steht, so dass sie beim erforderlichen Abstand mit den angrenzenden Pinselstrichen im Auge eine Mischung eingehen. […]

Hervorzuheben ist […], dass die Impressionisten bei der Anwendung der optischen Mischung [Mischung von farbigem Licht] doch jede exakte und wissenschaftliche Methode verwerfen. Sie malen, nach der liebenswürdigen Äußerung eines ihrer Mitglieder, „wie der Vogel singt“. […] Folgendes Beispiel diene zum Beweis dafür, wie die unkontrollierte Farbempfindung täuschen kann:

Ein Impressionist malt vor der Natur eine Landschaft. Gras oder grüne Blätter bilden einen Teil seines Bildes, von dem einige Stellen besonnt, andere beschattet sind. Wo das beschattete Grün an das belichtete grenzt, wird das scharf prüfende Auge des Malers eine flüchtige Empfindung von Rot wahrnehmen. Dem Impressionisten genügt es, diese Farbe empfunden zu haben, und er setzt einen roten Pinselstrich auf seine Leinwand. Aber in der Eile, seinen Eindruck festzustellen, hat er kaum Zeit, die Richtigkeit seines Rot genauer zu prüfen und je nach Zufall des Pinselstrichs drückt er es durch Orange, Zinnober oder Krapp [Färberröte], selbst durch ein ins Violett gehendes Rot aus. Es war jedoch ein sehr präzisiertes, genau der Farbe des Grün entsprechendes Rot, und nicht das erste beste. Hätte der Impressionist das Gesetz gekannt: der Schatten nimmt stets eine ganz leichte Färbung der Komplementärfarbe des Hellen an, so hätte er ebensoleicht das genaue Rot anwenden können, - ins Violett gehend für ein gelbgrün, Orange für blaugrün – anstatt ein beliebiges Rot zu nehmen, das ihm gerade für den Augenblick genügen möchte.

Inwiefern die Wissenschaft hier der Improvisation des Künstlers schaden könnte, ist schwer ersichtlich. Wir sehen im Gegenteil nur Vorteile in einer Methode, welche solche Missklänge verhindert, die, so klein sie auch sein mögen, ebensowenig zur Schönheit eines Bildes beitragen, wie ein Harmoniefehler zu der einer Partitur. Der Mangel an Methode ist die Ursache, dass der Impressionist sich oft in der Anwendung des Kontrasts irrt. […] So werden wir in impressionistischen Bildern sehen, dass der Schatten einer Lokalfarbe nicht der genaue Schatten dieser Farbe, sondern der einer andern mehr oder weniger ähnlichen ist; oder auch, dass eine Farbe nicht logisch vom Licht oder dem Schatten modifiziert wird. Z. B. ein Blau, das im Licht farbiger ist als im Schatten, ein Rot im Schatten wärmer als im Licht, ein zu mattes Licht oder ein zu glänzender Schatten.

Dieselbe Willkür bezeugen die Impressionisten in den Details ihres Kolorits. Die Scharfsinnigkeit, mit der sie vorgehen, ist schön zu sehen, aber sie scheint nicht durch wirklich leitende Kenntnisse unterstützt zu werden. In Ermangelung solcher und um sich keine Möglichkeit entgehen zu lassen, machen sie ihre Leinwand zu einer Art Musterkarte ihrer Palette und setzen von Allem ein bisschen überall hin. In diesem bunten Farbengemenge kommen entgegenwirkende Elemente vor, die – sich neutralisierend – die Gesamtwirkung des Bildes trüben. […] Einem orange Licht entspricht nicht genau ein blauer, sondern etwas annährend ein grüner oder violetter Schatten. So wird in demselben Bild gleichzeitig ein Teil von rotem Licht, ein andrer von gelbem Licht beleuchtet, als ob es gleichzeitig 2 Uhr nachmittags und 5 Uhr abends sein könnte. […]

Die Technik der Farbzerlegung verbürgt durch die optische Mischung der reinen Farbelemente nicht allein höchstmögliche Leuchtkraft und Farbigkeit, sondern sichert auch dem Werk eine vollkommene Harmonie durch die richtige Verteilung und die genaue Abwägung dieser Elemente nach den Regeln der Kontrastwirkung, der Abstufung und der Strahlung. Die Neo-Impressionisten wenden diese Regeln, welche die Impressionisten nur hie und da und instinktiv beobachten, stets und strengstens an. Sie schließen die genaue und wissenschaftliche Methode in sich, welche ihre Empfindung nicht beeinträchtigt, wohl aber sie leitet und hütet. […]

Der Neo-Impressionismus, dessen Hauptcharakteristikum das Streben bildet nach vollständiger Reinheit der Farben und nach vollkommener Harmonie, ist die logische Weiterentwicklung des Impressionismus. Die Anhänger dieser neuen Technik haben nur die Bestrebungen ihrer Vorgänger zu einem System vereinigt, geordnet und weiterentwickelt. […] Diese [die Neoimpressionisten] messen der Form des Pinselstrichs gar keine Wichtigkeit bei, denn er dient ihnen nicht als Ausdrucksmittel der Modellierung, des Gefühls oder der Nachbildung der Form eines Gegenstands. Für sie ist ein Pinselstrich nur einer der unzähligen farbigen Bestandteile, deren Summe das Bild ausmacht; er ist ihnen ein Element, das dieselbe Rolle spielt wie die Note in einer Symphonie. Traurige oder heitere Empfindungen, ruhige oder bewegte Stimmungen werden nicht durch die Virtuosität der Pinselführung, sondern durch die Verbindung von Linien, Farben und Tönen ausgedrückt. […]

Die Farbenzerlegung ist eine Harmonie anstrebender Systeme, mehr eine Ästhetik als eine Technik. […] Der Maler, der die Farbe „zerlegt“, unterzieht sich meist der langwierigen Aufgabe, seine Leinwand von oben nach unten und von rechts nach links – mit vielfarbigen Pünktchen zu betupfen. Er geht vom Kontrast zweier Töne aus – ohne an die zu bemalende Fläche zu denken – stellt auf jeder Seite der Grenzlinie seine einzelnen Elemente einander gegenüber und gleicht sie aus – bis ihm ein anderer Kontrast zum Motiv einer neuen Kombination wird. Und in dieser Weise, von Kontrast zu Kontrast weitergehend, füllt er seine Leinwand. Er spielt mit der Skala seiner Farben, wie der Komponist bei der Orchestrierung einer Symphonie die verschiedenen Instrumente handhabt. Nach seinem Ermessen mäßigt er den Rhythmus und den Takt, stimmt ein Element herab oder steigert es, moduliert eine andere Nuance bis ins Unendliche. Ganz der Freude hingegeben, Spiel und Kampf der sieben prismatischen Farben zu lenken, wird er sein gleich wie ein Musiker, der die sieben Noten der Tonleiter variiert, um die Melodie zu erzeugen.“

(Signac, Paul (1908/1899): Von Eugen Delacroix zum Neo-Impressionismus. Berlin: Schnabel, S. 9, 11f., 55-57, 61, 63, 74f., 78, Orthografie modernisiert)

Aufgaben

  1. Stellt in einem Satz das Verhältnis von Impressionismus und Neoimpressionismus im Anschluss an Paul Signac dar.
  2. Erläutert Signacs Kritik am Impressionismus anhand des Monet Bildes „Klippe von d`Aval, Sonnenuntergang“.
  3. Vergleicht in einer Tabelle Impressionismus und Neoimpressionismus miteinander anhand selbst gewählter Kategorien.
  4. Prüft, ob die Praxis eines Malers der eines Musikers gleicht, wie Signac behauptet.
  5. Verfasse einen Brief an Signac, in dem Du Stellung nimmst zu seiner Auffassung von Ästhetik.

Problematisierung

Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte (französisch Un dimanche après-midi à l’Île de la Grande Jatte) ist ein Gemälde des französischen Malers Georges Seurat (1859–1891) von 1884–1886. Das Bild wird dem Post-Impressionismus bzw. Pointillismus zugeordnet und zeigt Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unter einem strahlenden Sommerhimmel am Ufer der Seine im Paris des späten 19. Jahrhunderts.

Georges Seraut, Ein Sonntagnachmittag auf der Insel Le Grande Jatte (1884-1886) - The Art Institute of Chicago [PD US] via Wikimedia

Der Maler Georges Seraut (1859-1891), ein Vertreter des Neoimpressionismus, hat seinem Biographen folgende kunsttheoretischen Überlegungen diktiert:

Kunst ist Harmonie, Harmonie ist wiederum ist Übereinstimmung von Ungleichem, Übereinstimmung von Gleichem in Ton, in der Farbe, in der Linie. […]. Das Ausdrucksmittel dafür ist die optische Mischung der Töne, der Farben und ihrer Gegenwirkungen (Schatten), die ganz bestimmten Gesetzen unterworfen sind.

Georges Seraut, zit. n. Paul Signac (1908/1899): Von Eugen Delacroix zum Neo-Impressionismus. Berlin: Schnabel, S. 77

Prüft unter Bezugnahme auf Georges Serauts Ausführungen und sein Gemälde, ob wissenschaftliche Erkenntnisse zur Nutzung von Farben eine Rolle zur ästhetischen Beurteilung von Kunstwerken spielen sollten.

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