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Merkmale des Oberstufenunterrichts

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Da ich von Kompetenzen ausgehe, wie wir ja bei dieser Tagung auch, stellt sich die Frage, was Kompetenzorientierung im Religionsunterricht der Oberstufe kennzeichnet. Die Frage operiert mit der Annahme, dass das etwas anderes sein muss wie in der Sekundarstufe I. Ich sehe dafür auch wichtige Gründe.

Der Oberstufenunterricht hat m. E. drei Aufgaben, die sich von denen in der Sekundarstufe I unterscheiden:

(1)   Unterstützung einer persönlich verantworteten, eigenen Religiosität . Schülerinnen und Schüler sind in meinen Augen im späten Jugendalter und im frühen Erwachsenenalter in einer Phase der Transformation der eigenen Religiosität und auf dem Weg zu einem „individuell-reflektierenden Glauben (J. Fowler). Es geht also um die Fähigkeit, eigene Vorstellungen von dem Selbst, der Welt, einem guten Leben sowie dem, woran das Herz hängt, [2] im Kontext von Pluralität eigenständig formulieren und begründen zu können. In diesem Sinne geht es um Identitätsbildung.

Hier geht es um das eigene Menschenbild, das eigene Weltbild (Schöpfung) einschließlich den Vorstellungen von der Zukunft, um Bilder guten Lebens, Prinzipien moralischen Handelns (Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit usw.) sowie um die Gottesfrage (woran dein Herze hängt).

(2)   Auseinandersetzung mit öffentlichen religiös-weltanschaulichen sowie moralischen Diskursen , in denen grundlegende Orientierungen und Perspektiven individuellen, sozialen, gesellschaftlichen Lebens reflektiert werden. Es geht also um die Fähigkeit, an öffentlichen Diskursen argumentierend teilnehmen und selber Position beziehen zu können. In diesem Sinne geht es um Teilhabe- und Diskursfähigkeit.

Hier geht es z.B. um Fragen wie Schöpfung und Evolution, um die Wertegrundlagen unserer Gesellschaft und deren Bildung [3] , um die ethischen Probleme der neuen Formen der Energiegewinnung, um die Gewaltförmigkeit des Christentums, das Verhältnis der Religionen zueinander, die Rolle der Religion und damit auch des Christentums in der abendländischen und globalen Kultur (darum geht es beim Thema Kirche).

(3)   Vorbereitung eines Studiums durch die Unterscheidung unterschiedlicher Modi des Weltzugangs und darin insbesondere um die Bedeutung religiöser und philosophischer Fragen (Probleme konstitutiver Rationalität) im Gegenüber zu ästhetisch-expressiven (Deutsch, Musik, Kunst, Fremdsprachen), kognitiv-instrumentellen (Mathematik, Naturwissenschaften) sowie normativ-evaluativen Formen (Geschichte, Gemeinschaftskunde, Politik, Recht) der Auseinandersetzung mit der Welt – wie sie sich in den Aufgabenfelder der Abiturprüfung darstellen. Es geht also um die Fähigkeit, verschiedene Formen des Wissen unterscheiden und einander angemessen zuordnen zu können. In diesem Sinne geht es hier um Wissenschaftspropädeutik.

Dazu gehört z.B. die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Aussagen, von naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Methoden und Aussagen, dazu gehört die ethische Reflexion naturwissenschaftlicher Forschung und Praxis, dazu gehört das Verständnis von religiösen Ausdrucksformen (Symbol, Metapher, Mythos), die Bedeutung hermeneutischer Prozesse für verständigungsprozesse, die Unterscheidung von Erklären und Verstehen. Dazu gehören auch die Kenntnis unterschiedlicher Modelle zu einem ethischen Urteil zu kommen. Ich finde es deshalb problematisch, dass ein Thema wie Wirklichkeit im Kerncurriculum der EKD keine Aufnahme mehr gefunden hat.

In der Sekundarstufe I stehen mir vier Felder vor Augen:

(1)    Lebensgeschichtliche Herausforderungen (wie Freundschaft, Partnerschaft und Liebe, Gewalt, Mobbing, Frieden stiften; Abhängigkeit und Freiheit; Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit; Menschenwürde und Menschrechte; Strafen; Helfen aber auch Ernährung, Kleidung, Freizeit, Schule, Benehmen). Hier geht es um Handlungsfähigkeit.

(2)    Kontingenzerfahrungen (wie Streben, Tod, Trauer; Kriege, Unfall, Katastrophen, Krankheit, schreiendes Unrecht; Mord; sexuelle Übergriffe; großes Glück, ungewollt schwanger, zu Tode betrübt etc.). Hier geht es um die Fähigkeit Widerfahrnisse verarbeiten zu können.

(3)    Grundlegende Deutungen des Selbst, der Welt, des guten Lebens und dessen, woran das Herz hängt, (wie Leben als Zufall oder Geschenk; die Welt als sinnloses Chaos oder sinnvolle Schöpfung Gottes; Raum; Beruf, Familie und Zukunft; Gutes und Böses; Wünsche, Ängste, Träume, Sehnsüchte; Glück; Lieblingsmusik, Lieblingsfilm, Lieblingsbuch, Hobbies, Vorbilder). Hier geht es um Identitätsbildung aber auch um „Kosmisierung“ (F.X. Kaufmann; Begründung eines Deutungshorizontes).

(4)    Orientierung in der Alltagskultur (wie Räume einschl. sakrale Gebäude; Zeiten einschl. Feste, Rhythmen; Regeln, Normen, Werte; Andere einschl. andere Konfessionen und Religionen, Religionslosigkeit, Religionskritik; religiöse Ausdrucksformen einschl. Symbole und Sprache; Alltagsphänomene und ihre religiösen Hintergründe siehe Popsongs, Sport, aber auch Smartphone, Fitnessstudio, Mülleimer sowie Hartz IV).

Die Felder für die Grundschule sind nach meiner Ansicht analog zu sehen

(1)    Bearbeitung von lebensgeschichtlichen Herausforderungen (wie Miteinander leben; Sich behaupten; Streiten und Versöhnen; Umgang mit Angst)

(2)    Verarbeitung von Kontingenz (wie Sterben und Tod; Krankheit, Kriege und Naturkatastrophen)

(3)    Grundlegende Lebensgefühle (wie Angst und Mut; Zweifel und Hoffnung; Vertrauen und Misstrauen; Glücklichsein und Unglücklichsein)

(4)    Orientierung im persönlichen Lebensraum (wie sakrale Räume und religiöse Formen; Jahres- und Lebensfeste, Regeln und Normen; religiöse Ausdrucksformen; andere Konfessionen, Religiogen)

 

Anforderungssituationen


Vortrag Kompetenzorientierter Religionsunterricht Kursstufe:
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[2] Hier zeigt sich wie ich Religion und Religiosität verstehen will.

[3] Elisabeth von Thadden berichtet in DIE ZEIT 44,2012,49f. von dem Buch von Michael Sandel „What money can´t buy"