Arbeitsblatt 4d: — Moderne Impfstoffentwicklung
Moderne Impfstoffentwicklung – Planung plus Optimierung
Um 1923 experimentierten der französische Tiermediziner Gaston Ramon und der englische Immunologe Alexander T. Glenny mit so unterschiedlichen Substanzen wie Tapioka (Stärke aus Maniokknollen) und Aluminiumhydroxid, um die Wirksamkeit von Diphterie- und Tetanusimpfstoffen bei Tieren zu erhöhen. In den 1930er Jahren fanden andere Wissenschaftler heraus, dass manche Antigene stärkere Immunreaktionen hervorrufen, wenn man sie in einem Öl-in-Wasser-Gemisch verteilt. Als Adjuvanzien getestet wurden auch Bakterienbestandteile [….]. Viele dieser Zusätze hatten zwar den gewünschten Effekt, doch machten negative Nebenwirkungen, darunter heftige Entzündungen, ihren Einsatz unkalkulierbar. [....]
Der Erfolg eines modernen Malaria-Impfstoffs verdeutlicht das Potenzial einer rationalen Planung und Herstellung, mit gezielten Kombinationen von Antigen und Adjuvanzien die gewünschte Immunantwort hervorzurufen. Dies gilt sowohl bei der Entwicklung neuer als auch bei der Optimierung bereits existierender Vakzine.
Viele Impfstoffe, die in der Allgemeinbevölkerung erfolgreich zum Einsatz kommen, sind möglicherweise bei bestimmten Gruppen nicht sicher genug oder nicht ausreichend wirksam, darunter bei jenen, die sie eigentlich am dringendsten benötigen. Ein Beispiel bietet die saisonale Grippe: Kleinkinder und ältere Menschen tragen das größte Risiko, an einer schweren Influenza zu versterben, denn das kindliche Immunsystem ist noch nicht voll entwickelt, während im höheren Alter die Abwehrkraft abnimmt. So bildet nur etwa die Hälfte der über 65-Jährigen, die eine übliche Grippeimpfung erhalten, ausreichende Mengen von Antikörpern, die eine Influenzainfektion verhindern. Im Gegensatz dazu erzielte ein experimenteller Impfstoff gegen die saisonale Grippe, der die Öl-in-Wasser- Emulsion AS03 enthält, der schützende Antikörpermengen bei 90,5 Prozent der über 65-jährigen Freiwilligen.
Da Adjuvanzien den Immunzellen helfen, Antigene zu erkennen, können sie auch dazu dienen, wirksame Impfstoffe mit geringerem Antigengehalt herzustellen. Diese Tatsache gewinnt dann an Bedeutung, wenn im Fall einer weltweiten Verbreitung eines Krankheitserregers eine große Zahl von Menschen schnell geimpft werden muss. Ein weiterer experimenteller Impfstoff auf Basis von AS03, dieses Mal gegen das Vogelgrippevirus H5N1, induzierte eine schützende Antikörperantwort, obwohl er nur ein Drittel der Antigenmenge enthielt, die sich in einer typischen saisonalen Grippevakzine befindet.
Dies alles sind Beispiele für Produkte, die kurz vor dem breiten Einsatz beim Menschen stehen. Sie illustrieren, wie das Aufgreifen und Weiterentwickeln von Adjuvanzien in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts jetzt Früchte trägt – und wie die Erkenntnis, dass die speziellen Erkennungsfähigkeiten der dendritischen Zellen ein wesentliches Bindeglied zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem darstellen, die Entwicklung völlig neuer Typen von Adjuvanzien ermöglichte. Das ist wohl erst der Anfang für ein ganzes Arsenal weiterer Adjuvanzien, aus dem Vakzineentwickler präzise die jeweils geeigneten auswählen können.
(C)
Text "Moderne Impfstoffentwicklung"
Spektrum der Wissenschaft,
Feb. 2010, S. 46-47, überarbeitete Vorlage
Text mit freundlicher Genehmigung des Spektrum Verlags
Aufgabe:
Erörtere, weshalb 2009 in Deutschland eine hitzige Diskussion über den Schweinegrippe-Impfstoff entbrannte. Beziehe selbst Stellung zu den Aussagen von S. Schmidt-Troschke und W. Becker-Brüser (s. Informationsmaterial 2)
Glossar:
saisonal:
(von frz. saison = Jahreszeit) in einem bestimmten Zeitabschnitt
des Jahres
Emulsion: fein verteiltes Gemisch zweier normalerweise nicht mischbarer Flüssigkeiten
AS03 : Impfverstärker in Grippe-Impfstoff Pandemrix (dieser Impfstoff wurde 2009/2010 zur Vorbeugung gegen die Schweinegrippe eingesetzt und kam wegen möglicher Nebenwirkungen und Impfkomplikationen in die Diskussion)