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Die so­phis­ti­sche Rhe­to­rik und Pla­tons Staats­den­ken

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

III. Die so­phis­ti­sche Rhe­to­rik und Pla­tons Staats­den­ken

In sei­ner „Po­li­teia“, in der Pla­ton seine Vor­stel­lung von einem idea­len Staat be­schreibt, fin­det sich ein Gleich­nis, das ein schlech­tes Staats­we­sen mit einem Schiff ver­gleicht.

Pla­ton, Po­li­teia 488a-488e

 

ἄκουε δ οὖν τῆς εἰκόνος , […]. νόησον γὰρ τοιουτονὶ γενόμενον εἴτε πολλῶν νεῶν πέρι εἴτε μιᾶς · ναύκληρον μεγέθει μὲν καὶ ῥώμῃ ὑπὲρ τοὺς ἐν τῇ νηὶ πάντας , ὑπόκωφον δὲ καὶ ὁρῶντα ὡσαύτως βραχύ τι καὶ γιγνώσκοντα περὶ ναυτικῶν ἕτερα τοιαῦτα , τοὺς δὲ ναύτας στασιάζοντας πρὸς ἀλλήλους περὶ τῆς κυβερνήσεως , ἕκαστον οἰόμενον δεῖν κυβερνᾶν , μήτε μαθόντα πώποτε τὴν τέχνην μέτε ἔχοντα ἀποδεῖξαι διδάσκαλον ἑαυτοῦ μηδὲ χρόνον ἐν ἐμάνθανεν , πρὸς δὲ τούτοις φάσκοντας μηδὲ διδακτὸν εἶναι , ἀλλὰ καὶ τὸν λέγοντα ὡς διδακτὸν ἑτοίμους κατατέμνειν , αὐτοὺς δὲ αὐτῷ ἀεὶ τῷ ναυκλήρῳ περικεχύσθαι δεομένους καὶ πάντα ποιοῦντας ὅπως ἂν σφίσι τὸ πηδάλιον ἐπιτρέψῃ , ἐνίοτε δ ἂν μὴ πείθωσιν ἀλλὰ ἄλλοι μᾶλλον , τοὺς μὲν ἄλλους ἀποκτεινύντας ἐκβάλλοντας ἐκ τῆς νεώς , τὸν δὲ γενναῖον ναύκληρον μανδραγόρᾳ μέθῃ τινι ἄλλῳ συμποδίσαντας τῆς νεὼς ἄρχειν χρωμένους τοῖς ἐνοῦσι , καὶ πίνοντάς τε καὶ εὐωχουμένους πλεῖν ὡς τὸ εἰκὸς τοὺς τοιούτους , πρὸς δὲ τούτοις ἐπαινοῦντας ναυτικὸν μὲν καλοῦντας καὶ κυβερνητικὸν καὶ ἐπιστάμενον τὰ κατὰ ναῦν , ὃς ἂν συλλαμβάνειν δεινὸς ὅπως ἄρξουσιν πείθοντες βιαζόμενοι τὸν ναύκληρον , τὸν δὲ μὴ τοιοῦτον ψέγοντας ὡς ἄχρηστον , τοῦ δὲ ἀληθινοῦ κυβερνήτου πέρι μηδ ἐπαΐοντες , ὅτι ἀνάγκη αὐτῷ τὴν ἐπιμέλειαν ποιεῖσθαι ἐνιαυτοῦ καὶ ὡρῶν καὶ οὐρανοῦ καὶ ἄστρων καὶ πνευμάτων καὶ πάντων τῶν τῇ τέχνῃ προσηκόντων , εἰ μέλλει τῷ ὄντι νεὼς ἀρχικὸς ἔσεσθαι , ὅπως δὲ κυβερνήσει ἐάντε τινες βούλωνται ἐάντε μή , μήτε τέχνην τούτου μήτε μελέτην οἰόμενοι δυνατὸν εἶναι λαβεῖν ἅμα καὶ τὴν κυβερνητικήν . τοιούτων δὴ περὶ τὰς ναῦς γιγνομένων τὸν ὡς ἀληθῶς κυβερνητικὸν οὐχ ἡγῇ ἂν τῷ ὄντι μετεωροσκόπον τε καὶ ἀδολέσχην καὶ ἄχρηστόν σφισι καλεῖσθαι ὑπὸ τῶν ἐν ταῖς οὕτω κατεσκευασμέναις ναυσὶ πλωτήρων ;

Ver­nimm aber nun jenes Gleich­nis, […] Denke dir näm­lich ein­mal, über meh­re­re Schif­fe oder auch nur über eines gebe es einen Schiffs­herrn von fol­gen­den Ei­gen­schaf­ten: an Größe und Stär­ke des Kör­pers zwar über alle, die sich im Schif­fe be­fin­den, er­ha­ben, aber hart­hö­rig, eben­so mit kur­zem Ge­sich­te und auch mit kur­zem Ver­stan­de über das Schiffs­we­sen. Denke dir dabei die Schiffs­mann­schaft im Auf­ruhr gegen ein­an­der wegen Füh­rung des Steu­er­ru­ders, indem ein jeder davon wähnt, dass er es füh­ren müsse, ohne diese Kunst ge­lernt zu haben, ohne sei­nen Lehr­meis­ter an­ge­ben zu kön­nen noch auch die Zeit, in der er sie ge­lernt habe. Denke dazu, dass die Mann­schaft be­haup­te, jene Kunst sei gar kein Ge­gen­stand des Ler­nens, ja sie sei gar be­reit, den, der sie als einen Ge­gen­stand des Ler­nens hin­stel­le, zu­sam­men­zu­hau­en, dass fer­ner die Mann­schaft die Per­son des Schiffs­herrn be­stän­dig mit Bit­ten und allen mög­li­chen Be­we­gungs­mit­teln um­la­gert, er möge ihnen doch das Ruder über­las­sen, dass sie, wenn sie ihn we­ni­ger mit Wor­ten be­we­gen als eine an­de­re Par­tei, die Geg­ner erst­lich ent­we­der er­mor­den oder aus dem Schif­fe hin­aus­wer­fen, zwei­tens dem guten Schiffs­herrn durch einen Schlaf­trunk oder durch einen Rausch oder durch sonst ein Mit­tel­chen die Hände bin­den und dann die Herr­schaft über das Schiff er­grei­fen, mit allem darin vor­han­de­nen Vor­ra­te schal­ten und wal­ten, dabei unter Ze­chen und Schmau­sen da­hin­se­geln, wie es bei sol­chen Leu­ten na­tür­lich zu er­war­ten steht, dass sie über­dies den Kerl, der bei ihrer Ab­sicht auf die Herr­schaft, sei es durch Über­lis­tung oder Über­wäl­ti­gung des Schiffs­herrn, hilf­rei­che Hand an­zu­le­gen ver­steht, unter gro­ßen Lob­sprü­chen einen Meis­ter im Schiffs­we­sen sowie in der Ru­der­füh­rung und einen Mann nen­nen, der die Schif­fahrt aus dem Grun­de ver­ste­he, da­ge­gen den, der sich dazu nicht ver­steht, als einen un­brauch­ba­ren Men­schen ta­deln, dass sie dabei nicht ein­mal so viel vom ech­ten Steu­er­mann wis­sen, dass er not­wen­dig auf die Jah­res- und Ta­ges­zeit, auf Him­mel und Ge­stir­ne, auf Winde und alles sonst in seine Kunst Ein­schla­gen­de acht haben muss, wenn er wahr­haft Herr über sein Schiff sein will und dass sie sogar im Wahne ste­hen, um mit oder ohne Zu­stim­mung ei­ni­ger Leute das Ruder zu füh­ren, darin könne man un­mög­lich eine Ge­schick­lich­keit und eine Übung ge­win­nen zu­gleich mit der An­eig­nung der Steu­er­manns-Wis­sen­schaft. Wenn nun der­glei­chen in den Schif­fen vor­geht, wird da nicht der wahr­haft für das Ruder Ge­eig­ne­te bei den Seg­lern in den also be­stell­ten Schif­fen ein luf­ti­ger Spe­ku­lant, ein spitz­fin­di­ger Grüb­ler, ein für sie un­brauch­ba­rer Mensch hei­ßen? (Über­set­zung: Wil­helm Wie­gand)

Auf­ga­ben:

1. Ar­bei­ten Sie mit grie­chi­schen Be­le­gen her­aus, wie der Schiffs­herr und seine Mann­schaft cha­rak­te­ri­siert wer­den!                                                                                                                  

    • Wem ent­spricht der Schiffs­herr und wem die Mann­schaft auf der Be­deu­tungs-

ebene die­ses Gleich­nis­ses?          

2. Ar­bei­ten Sie mit grie­chi­schen Be­le­gen das Wort­feld Wis­sen-Nicht­wis­sen aus dem Text her­aus!

2.1 Mit wel­chen Mit­teln ver­su­chen die See­leu­te ihr Nicht­wis­sen aus­zu­glei­chen?

Nen­nen Sie die ent­spre­chen­den grie­chi­schen Be­le­ge und er­läu­tern Sie diese kurz!

3. Wel­che Staats­form greift diese Text­stel­le be­son­ders an und was wird ihr kon­kret vor­ge­wor­fen?

4. Wel­che phi­lo­so­phi­schen und po­li­ti­schen Schluss­fol­ge­run­gen könn­te So­kra­tes bzw. Pla­ton aus die­sem Gleich­nis ge­zo­gen haben?

5. Der Phi­lo­soph Karl R. Pop­per hat in sei­nem Buch „Die of­fe­ne Ge­sell­schaft und ihre Fein­de“ Pla­tons Staats­ent­wurf hef­tig kri­ti­siert und Pla­ton als einen Ver­tre­ter von „ge­schlos­se­nen Ge­sell­schaf­ten“ dar­ge­stellt. Der Phi­lo­soph, den Pla­ton in sei­ner „Po­li­teia“ vor­stellt, sei nicht mehr der Wahr­heits­su­chen­de wie So­kra­tes, son­dern er sei der na­he­zu all­wis­sen­de und da­durch all­mäch­ti­ge Be­sit­zer der Wahr­heit. Da­durch sei er hoch über die nor­ma­len Men­schen ge­stellt und deren Kri­tik kaum mehr zu­gäng­lich.

Quel­le: Karl R. Pop­per, Die of­fe­ne Ge­sell­schaft und ihre Fein­de. Bd. 1. Der Zau­ber Pla­tons, Tü­bin­gen 1992, S. 158 (ori­gi­nal: The Open So­cie­ty and Its En­emies, Vo­lu­me I: The Spell of Plato, Lon­don 1945.

Über­le­gen Sie, was dies für die Rhe­to­rik be­deu­tet und wie sich die Rhe­to­rik ver­tei­di­gen lässt!

Lern­stands­dia­gno­sen und Bin­nen­dif­fe­ren­zie­rung in der Kurs­stu­fen-Lek­tü­re:
Her­un­ter­la­den [doc][1,2 MB]