Zur Haupt­na­vi­ga­ti­on sprin­gen [Alt]+[0] Zum Sei­ten­in­halt sprin­gen [Alt]+[1]

Di­dak­ti­sche Hin­wei­se

Be­grün­dung der Lek­tü­re

Aris­to­pha­nes lesen

Die Alte Ko­mö­die ist trotz aller Phan­tas­tik des je­wei­li­gen Plots oft deut­lich näher an der po­li­ti­schen und all­täg­li­chen Le­bens­welt Athens im 5. Jh. als viele Pla­ton-Texte. Da der Dich­ter aber Zeit­ge­nos­se Pla­tons ist und da er mit dem Phi­lo­so­phen das Un­be­ha­gen an den ge­sell­schaft­li­chen Zu­stän­den Athens teilt, er­ge­ben sich viel­fäl­ti­ge An­knüp­fungs­punk­te zur Pla­ton-Lek­tü­re. Nicht we­ni­ger an­schluss­fä­hig ist Aris­to­pha­nes an eine Tra­gö­di­en­lek­tü­re, hat sich doch die Gat­tung der Ko­mö­die in Aus­ein­an­der­set­zung mit der Schwes­ter­gat­tung kon­sti­tu­iert und ent­fal­tet und ge­hört doch die Pa­ra­tra­gö­die zu den zen­tra­len Mit­teln der Komik.

Aris­to­pha­nes ver­dankt seine Über­lie­fe­rung zu einem nicht ge­rin­gen Teil dem Um­stand, dass seine Spra­che immer als bei­spiel­ge­bend galt für ein gut ver­ständ­li­ches, sti­lis­tisch aus­ge­feil­tes at­ti­sches Grie­chisch. Bei dem Dich­ter ist der Pe­ri­oden­bau we­ni­ger kom­plex als bei Pla­ton. Da ei­ner­seits bei Aris­to­pha­nes sehr viel pla­ton­re­le­van­ter (und damit im Grund­wort­schatz ent­hal­te­ner) Wort­schatz vor­kommt, man den Text an­de­rer­seits mit reich­lich Wort­an­ga­ben für – etwa or­ni­tho­lo­gi­sches – Spe­zi­al­vo­ka­bu­lar ver­se­hen muss, ist er gut zu­gäng­lich auch für Basis-Fäch­ler.

Komik trifft spon­tan das In­ter­es­se heu­ti­ger Ju­gend­li­cher, ist aber im schu­li­schen Li­te­ra­tur­un­ter­richt deut­lich un­ter­be­lich­tet. Hier kön­nen wir Phi­lo­lo­gen eine Lücke schlie­ßen, auch wenn es nicht leicht ist, Komik im Un­ter­richt zu be­han­deln, da ein er­klär­ter Witz meist kein Witz mehr ist.

Da für den Autor der vor­lie­gen­den Text­aus­ga­be un­be­streit­bar ist, dass po­li­ti­sche Sa­ti­re zu den maß­geb­li­chen Au­tor­in­ten­tio­nen des Aris­to­pha­nes ge­hört, er­gibt sich ein reiz­vol­ler Le­bens­welt­be­zug für die heu­ti­gen Schü­le­rin­nen und Schü­ler durch be­kann­te Polit-Sa­ti­re-For­ma­te, wie die Heute-Show oder Die An­stalt.

Aris­to­pha­nes ist ein her­vor­ra­gen­der Hel­fer für das Er­ler­nen von Kri­tik­fä­hig­keit ge­gen­über den herr­schen­den Eli­ten-Dis­kur­sen, fake news und al­ter­na­ti­ven Wahr­hei­ten, Dem­ago­gie und Pro­pa­gan­da heute und trägt bei zu der heute so wich­ti­gen Ma­ni­pu­la­ti­ons­re­sis­tenz.

Und schließ­lich: Aris­to­pha­nes lehrt, dass das La­chen Dis­tanz und Denk-Raum schafft in Zei­ten dro­hen­der oder ein­ge­tre­te­ner Ka­ta­stro­phen.

Die Ὄρνιθες lesen

Die Ὄρνιθες ga­ran­tie­ren einen hohen Un­ter­hal­tungs­wert schon wegen der Bunt­heit und Phan­tas­tik ihres Plots.

Das Stück öff­net man­nig­fa­che Be­zü­ge zu an­de­ren wich­ti­gen Au­to­ren und Tex­ten der grie­chi­schen Li­te­ra­tur:

  • Viel­fäl­tig be­rüh­ren sich die Ὄρνιθες  mit zen­tra­len The­men von Pla­tons po­li­ti­scher Phi­lo­so­phie und sei­ner So­phis­ten­kri­tik. Be­grif­fe wie πόλις, πολίται, πολιτικὴ τέχνη, σοφισταί klin­gen im Stück auf viel­fäl­ti­ge Weise an.
  • In der Pa­ra­ba­se ent­fal­ten die ge­leh­ri­gen Vögel einen ge­wal­ti­gen kos­mogo­ni­schen My­thos und be­zie­hen sich kri­tisch auf die Kos­mo­go­nie He­si­ods sowie Po­si­tio­nen der Vor­so­kra­ti­ker bzw. des Pro­di­kos.
  • Aris­to­pha­nes führt vor, wie dem­ago­gisch miss­brauch­te Be­red­sam­keit po­li­ti­sche Herr­schaft ge­ne­riert und kri­ti­siert im­pli­zit Athens Groß­macht­po­li­tik. Damit er­ge­ben sich man­nig­fa­che the­ma­ti­sche Be­zü­ge zu einer He­ro­dot- oder Thuky­di­des-Lek­tü­re.

Mit den Ὄρνιθες  Las­sen sich gut The­men­fel­der, wie die at­ti­sche De­mo­kra­tie, das Ge­richts­we­sen, Re­li­gi­on/Opfer/Ora­kel, die Funk­ti­on von Rhe­to­rik, der Sitz im Leben von Dich­tung/Li­te­ra­tur, das Thea­ter in Athen, ver­knüp­fen. Die gro­tesk-ko­mi­sche Dar­stel­lung der Wir­kung so­phis­ti­scher Be­red­sam­keit ge­stat­tet gut, die geis­tes­ge­schicht­li­che Be­deu­tung der So­phis­tik über­haupt zu the­ma­ti­sie­ren. Athens Rolle im Pe­lo­pon­ne­si­schen Krieg – ins­be­son­de­re im Um­feld der Si­zi­li­schen Ex­pe­di­ti­on – lässt sich an­hand meh­re­rer zeit­ge­schicht­li­cher An­spie­lun­gen im Text und an­hand des Auf­füh­rungs­da­tums gut the­ma­ti­sie­ren.

Das Stück ent­hält nur in ge­rin­gem Maße skato- und aisch­ro­lo­gi­sche Ef­fek­te, ist also gleich­sam für den Usus Del­phi­ni ge­eig­net.

Da Manos Chat­zi­da­kis, einer der größ­ten mo­der­nen grie­chi­schen Kom­po­nis­ten, für die le­gen­dä­re In­sze­nie­rung von Ka­ro­los Koun (Τέατρο Τέχνης, Athen, 1959 ff.) eine rei­che Musik ge­schaf­fen hat und da für diese In­sze­nie­rung reich­lich Bild­quel­len gibt, kann man mit den Ὄρνιθες an­ti­kes Thea­ter in sei­ner Wir­kung von Text, Musik und Tanz, Büh­nen­bild und Kos­tüm ganz­heit­lich er­le­ben. Au­ßer­dem gibt es eine wun­der­ba­re Mög­lich­keit, das  Neu­grie­chi­sche mit er­heb­li­chen Bil­dungs­mehr­wert in den (Alt-)Grie­chisch­un­ter­richt ein­zu­be­zie­hen.

Ein gro­ßes Thema der Ὄρνιθες ist die Ak­ku­mu­la­ti­on ge­sell­schaft­li­cher Macht durch einen ein­zel­nen Dem­ago­gen mit­tels so­phis­ti­scher Be­red­sam­keit. Die Funk­ti­on von Herr­schaft, die Funk­ti­on von Be­red­sam­keit und Dem­ago­gie zur Her­stel­lung von Ak­zep­tanz von Herr­schaft, die Funk­ti­on von Re­pres­si­on und Ge­walt zur Auf­recht­er­hal­tung von Herr­schaft, Eli­te­de­mo­kra­tie, post­de­mo­kra­ti­sche Plu­to­kra­tie – all das sind The­men, die die Lek­tü­re der Ὄρνιθες heute ak­tu­ell, ge­ra­de­zu bri­sant macht.

Frei­lich gibt es kon­kur­rie­ren­de In­ter­pre­ta­ti­ons­mo­del­le für den Dich­ter und das Stück. Han­delt es sich um eine  po­li­ti­sche Al­le­go­rie oder lus­ti­ges Un­ter­hal­tungs­thea­ter, um eine Uto­pie oder Dys­to­pie? Hier er­ge­ben sich in­ter­es­san­te Übungs­fel­der für eine ge­naue Text­be­ob­ach­tung sowie für die Er­ar­bei­tung von Plau­si­bi­li­täts­kri­te­ri­en der In­ter­pre­ta­ti­on.

 

Di­dak­ti­sche Hin­wei­se: Her­un­ter­la­den [docx][44 KB]

Di­dak­ti­sche Hin­wei­se: Her­un­ter­la­den [pdf][284 KB]

 

Wei­ter zu Zur Um­set­zung des Lek­tü­re­pro­jekts