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Ein­füh­rung

 

Bezug zum Bil­dungs­plan

Op­tio­na­le Dop­pel­stun­de

Al­ter­na­ti­ve Dop­pel­stun­de

Ver­ti­ka­le Ver­net­zung

 

Ein­füh­rung in die Un­ter­richts­se­quenz: „Loser!“, „Zicke!“, „Freak!“ – Er­leb­te Un­frei­heit und ge­schenk­te Frei­heit

Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­sche, di­dak­ti­sche und theo­lo­gi­sche Über­le­gun­gen

Die Ein­heit greift die Er­fah­rungs­welt von Ju­gend­li­chen in der frü­hen Ado­les­zenz auf. Sie nimmt dabei Bezug auf die ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gisch be­deut­sa­me Ent­wick­lung eines Selbst­kon­zep­tes und die in die­ser Phase be­ob­acht­ba­ren At­tri­bu­ti­ons­pro­zes­se. Ju­gend­li­che er­le­ben in die­ser Phase der ei­ge­nen Un­si­cher­heit, wie Ur­tei­le an­de­rer Men­schen sie un­frei ma­chen und in ihrem Ver­hal­ten dis­po­nie­ren. Die Ein­heit bie­tet Ein­sicht in die Mög­lich­keit, durch ent­spre­chen­de re­li­giö­se Deu­tun­gen (am Bei­spiel Gleich­nis, Wun­der, Lu­ther) ein­engen­de Denk- und Hand­lungs­mus­ter („Bran­dings“) zu über­win­den und somit Frei­heit zu er­fah­ren.
Em­pi­ri­scher Be­zugs­punkt ist die Stu­die im Rah­men der 37°-Sen­dung „Zeit der Wun­der – Wenn Kin­der in die Pu­ber­tät kom­men“.

Die Ent­de­ckung und Ent­wick­lung des „Selbst“ in der Ju­gend­zeit 1

Die Pu­ber­täts­zeit ist ge­prägt von der Ent­wick­lung des „Selbst“, ge­nau­er ge­sagt des Selbst­kon­zep­tes. Die auf Pia­get zu­rück­ge­hen­de For­schung ver­or­tet den Be­ginn die­ses Pro­zes­ses in die for­mal-ope­ra­to­ri­sche Phase, also die frühe Ado­les­zenz. Die Her­aus­bil­dung eines Selbst­kon­zep­tes stellt eine große Her­aus­for­de­rung für Ju­gend­li­che dar, der Pro­zess ist zu Be­ginn be­glei­tet von gro­ßer Un­si­cher­heit. Mit der Un­si­cher­heit kor­re­liert eine Kon­zen­tra­ti­on auf das ei­ge­ne Selbst. Es ist das Al­ler­re­als­te auf der Welt, David El­kind sprich sogar von ju­gend­li­chem Ego­zen­tris­mus, der die Um­welt als ima­gi­nä­res Pu­bli­kum be­trach­tet.

Zen­tra­le Pa­ra­me­ter für die Aus­bil­dung des Selbst­kon­zep­tes stel­len in der Ado­les­zenz die äu­ße­re At­trak­ti­vi­tät, die Ein­bin­dung in die Peer-Group sowie schu­li­sche Leis­tun­gen dar.

Das Selbst­wert­ge­fühl in der Ju­gend­zeit ist noch recht fra­gil und kann zu Kri­sen mit höchst pro­ble­ma­ti­schen Re­ak­tio­nen füh­ren.

Die Be­deu­tung von Re­li­gio­si­tät und Spi­ri­tua­li­tät für die Phase der Aus­bil­dung des Selbst­kon­zep­tes wird un­ter­schied­lich ge­wer­tet. Es gibt durch­aus Be­fun­de, die die po­si­ti­ve Be­deu­tung re­li­giö­ser Ori­en­tie­rung in die­ser Phase un­ter­strei­chen.

Dabei kann das Kon­zept der „Seele“ neue Deu­tungs­mög­lich­kei­ten bei der Aus­bil­dung des Selbst er­öff­nen.
Im Ge­fol­ge der ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­schen For­schun­gen Pia­gets wurde der As­pekt der „Seele“ ver­nach­läs­sigt und eine bi­nä­re Kör­per-Geist-An­thro­po­lo­gie ent­wi­ckelt. Neue­re ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­sche Stu­di­en v.a. aus dem an­gel­säch­si­schen Raum voll­zie­hen eine Er­wei­te­rung der Geist-Kör­per-Di­cho­to­mie zur Tri­an­gu­la­ti­on von Kör­per, Geist und Seele. Die em­pi­ri­sche Un­ter­su­chung von Kat­rin Be­der­na un­ter­streicht diese Ent­wick­lung bei einer Un­ter­su­chung mit Schü­le­rin­nen und Schü­ler in hö­he­ren Klas­sen der Se­kun­dar­stu­fe I. Dabei sind u.a. fol­gen­de As­pek­te er­kenn­bar:

  • „Seele“ als Ober­be­griff für mensch­li­che Ei­gen­schaf­ten
  • „Seele“ als Be­zeich­nung für den Kern, das Wesen, die Iden­ti­tät des Men­schen
  • „Seele“ als „Gott­be­zo­gen­heit“ des Men­schen, als seine spi­ri­tu­el­le bzw. re­li­giö­se Seite2

Diese auf em­pi­ri­scher Basis ge­won­ne­nen Er­geb­nis­se bil­den den An­satz­punkt für den theo­lo­gi­schen Bezug der Ein­heit.

Theo­lo­gi­sche Im­pli­ka­tio­nen

Die in em­pi­ri­schen Un­ter­su­chun­gen er­ho­be­ne Tri­an­gu­la­ti­on von Kör­per Geist und Seele ent­spricht theo­lo­gi­schen An­sät­zen der An­thro­po­lo­gie.

Edgar Thai­digs­mann er­ar­bei­te­te in sei­ner Stu­die „Theo­lo­gi­sche An­thro­po­lo­gie – Sys­te­ma­ti­sche An­sät­ze“ aus Mar­tin Lu­thers Aus­le­gung des Ma­gni­fi­cat eine drei­stu­fi­ge An­thro­po­lo­gie, die sich sehr gut auf die Er­fah­rungs­welt Ju­gend­li­cher über­tra­gen lässt3.

In An­knüp­fung an das Bild des Wan­der­hei­lig­tums mit den drei Räu­men, dem Vor­hof, dem Hei­li­gen und dem Al­ler­hei­ligs­ten ent­wi­ckelt Lu­ther drei Di­men­sio­nen des Mensch­seins:

  • die öf­fent­li­che Er­schei­nung des Men­schen (seine leib­li­che Exis­tenz),
  • seine ra­tio­na­le Welt­be­zie­hung (Geist) und
  • das Ge­heim­nis sei­ner Per­son (Seele).

Diese drei As­pek­te kön­nen beim Selbst­kon­strukt Ju­gend­li­cher große Re­le­vanz er­hal­ten. Ju­gend­li­che re­flek­tie­ren, in wie weit ihr Er­schei­nungs­bild, ihre Klei­dung, ihre Hal­tung auf an­de­re wir­ken. Sie er­schlie­ßen die Welt, ent­de­cken neue Räume des Mensch­seins, ma­chen neue Er­fah­run­gen mit bis­her un­be­kann­ten Stof­fen und er­le­ben die eigne Per­son, das Selbst, das für an­de­re un­ver­füg­bar bleibt.

Der As­pekt der Frei­heit ist auf allen drei Ebe­nen wirk­sam. Ju­gend­li­che spie­len mit ihrem Aus­se­hen, pro­bie­ren neue Klei­dung, neue Haar­schnit­te, pro­vo­zie­ren und war­ten auf Re­ak­tio­nen.
Sie ent­de­cken Neues, indem sie in Räume gehen, die bis­her ver­schlos­sen waren und Stof­fe aus­pro­bie­ren, die sie bis­her nicht kann­ten.

Schließ­lich ent­de­cken sie, dass sie an­ders sind, als sie nach außen er­schei­nen, dass nie­mand an­de­res ihr wah­res Selbst kennt.

Nimmt man die drei von Thai­digs­mann her­aus­ge­ar­bei­te­ten Di­men­sio­nen ernst, er­ge­ben sich fol­gen­de Über­le­gun­gen, die für die di­dak­ti­sche Um­set­zung re­le­vant sein kön­nen:

Die er­leb­te Un­frei­heit durch Zu­schrei­bung von Ver­hal­tenser­war­tun­gen kann durch eine Neu­aus­rich­tung auf die Un­ver­füg­bar­keit der Per­son über­wun­den wer­den. Die für den Un­ter­richts­ent­wurf ge­wähl­ten re­li­giö­sen Bei­spie­le er­öff­nen die Mög­lich­keit von Be­frei­ung und Frei­heit durch die Deu­tung des ei­ge­nen Le­bens als eines un­ver­füg­ba­ren Gutes, weil die Men­schen in ihrer Be­zie­hung zu Gott sich als ge­lieb­tes und an­ge­nom­me­nes Wesen er­le­ben.

At­tri­bu­ti­on als Schlüs­sel zum Ver­ste­hen des Er­le­bens und Ver­hal­tens

Die At­tri­bu­ti­ons­for­schung hat die Ur­sa­chen­zu­schrei­bung für ei­ge­ne und frem­de Hand­lun­gen zum Ge­gen­stand. Sie über­nimmt dabei die Auf­ga­be, über­dau­ern­de Mus­ter, Sche­ma­ta (Sche­ma) oder Ka­te­go­ri­en zu be­schrei­ben, die dazu ver­wen­det wer­den, Er­eig­nis­se oder Hand­lun­gen zu er­klä­ren, und sie stellt die Schluss­fol­ge­rungs­pro­zes­se dar, die an­ge­wen­det wer­den, um die Grün­de und Ur­sa­chen zu fin­den, die den be­ob­acht­ba­ren Er­eig­nis­sen oder Hand­lun­gen zu­ge­spro­chen wer­den.4

Unter At­tri­bu­ti­on oder At­tri­bu­ie­rungs­ver­hal­ten ver­ste­hen wir die Zu­schrei­bung von Ur­sa­chen für ei­ge­nes oder frem­des Ver­hal­ten. Dabei wird un­ter­schie­den zwi­schen in­ter­na­ler und ex­ter­na­ler At­tri­bu­ti­on. Ur­sa­chen für Er­folg oder Miss­er­folg, Wün­sche und Ge­füh­le wer­den sub­jek­ti­ven oder ob­jek­ti­ven Fak­to­ren zu­ge­schrie­ben. Ur­sa­chen für Miss­er­folg kön­nen äu­ße­re, also ex­ter­na­le Um­stän­de sein (Pech, Schwie­rig­keit der Auf­ga­be), sie kön­nen aber auch in der in der ei­ge­nen Per­son lie­gen (Fä­hig­keit, An­stren­gung). Das glei­che liegt bei der Deu­tung von Be­liebt­heit, von Pro­ble­men im Um­gang mit Er­wach­se­nen und Gleich­alt­ri­gen, aber auch in der In­ter­pre­ta­ti­on etwa von ag­gres­si­vem Ver­hal­ten. Immer kön­nen ex­ter­na­le oder in­ter­na­le Grün­de her­an­ge­führt wer­den.

Die frühe Ado­les­zenz ist ge­prägt von Un­si­cher­heit der Deu­tung des ei­ge­nen Emp­fin­dens und Han­delns. Bin ich er­folg­reich, weil ich so toll bin oder habe ich nur Glück? Bin ich ver­ant­wort­lich dafür, dass an­de­re mich nicht mögen oder habe ich nur Pech?

Die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen ex­ter­na­len und in­ter­na­len Grün­den bei der Deu­tung des ei­ge­nen Er­le­bens und Ver­hal­tens muss erst müh­sam er­wor­ben wer­den. In der Phase der Ado­les­zenz bil­den sich Mus­ter von Zu­schrei­bun­gen von Schuld und Ver­ant­wor­tung, die den Pro­zess des Er­werbs eines Selbst­wert­ge­fühls er­schwe­ren. Ge­ra­de sol­che Mus­ter von Zu­schrei­bun­gen kön­nen als trau­ma­ti­sie­ren­de Stig­ma­ta er­lebt wer­den.

„Zeit der Wun­der: Wenn Kin­der in die Pu­ber­tät kom­men“

Die im Rah­men der 37°-Reihe des ZDF ver­öf­fent­lich­te Do­ku­men­ta­ti­on „Zeit der Wun­der: Wenn Kin­der in die Pu­ber­tät kom­men“ aus dem Jahr 2007 be­schreibt in einer Lang­zeit­stu­die die Ent­wick­lung der Ju­gend­li­chen Re­bec­ca (13 Jahre), Su­san­ne (11 Jahre), Benny (13 Jahre) und Renke (12 Jahre). Diese wer­den von Ende 2004 bis An­fang 2007 mit der Ka­me­ra be­glei­tet und in ihrem fa­mi­liä­ren Kon­text und ihrem je­wei­li­gen Freun­des­kreis ge­zeigt.

Dabei kom­men The­men zur Spra­che, die den Fel­dern der em­pi­ri­schen Stu­di­en zur Aus­bil­dung des Selbst­wert­ge­fühls im Über­gang von der Kind­heit zur Ju­gend­zeit ent­spre­chen: Die für die Kind­heit prä­gen­den Do­mains „schu­li­sche und sport­li­che Leis­tun­gen“, „Be­liebt­heit bei Gleich­alt­ri­gen“ sowie „Aus­se­hen“ und „Ver­hal­ten“ wer­den in der Ju­gend­zeit er­gänzt u.a. durch die Be­deu­tung von Freund­schaft und ro­man­ti­sche Aus­strah­lung.

Im Um­gang mit Se­xua­li­tät und Al­ko­hol, in Fra­gen von Freund­schaft und In­ti­mi­tät, im Ab­lö­se­pro­zess von den El­tern ma­ni­fes­tiert sich eine Suche der ei­ge­nen Iden­ti­tät.

Die in die­ser Do­ku­men­ta­ti­on be­schrie­be­nen Ent­wick­lun­gen der vier Ju­gend­li­chen ent­spre­chen den Er­geb­nis­sen der ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­schen Stu­di­en. Diese Ent­wick­lung ist auch ge­prägt durch

  • Un­si­cher­heit bei der Aus­bil­dung eines trag­fä­hi­gen Selbst­kon­zep­tes
  • Ego­zen­tris­mus im Sinne einer Kon­zen­tra­ti­on auf das ei­ge­ne Selbst und die Zu­schau­er­rol­le der Um­welt, vor allem der nahen Be­zugs­per­so­nen
  • Of­fen­heit für Im­pul­se von außen, die Ori­en­tie­rung geben und fest­ge­fah­re­ne Denk­mus­ter auf­bre­chen

Über­le­gun­gen zur di­dak­ti­schen Um­set­zung

Ju­gend­li­chen in der frü­hen Ado­les­zenz stellt sich die Auf­ga­be der Ent­wick­lung eines Selbst­kon­zep­tes Diese Phase ist be­glei­tet von einem Ego­zen­tris­mus, der das ei­ge­ne Er­le­ben, das ei­ge­ne Ur­teil und das Ur­teil über die ei­ge­ne Per­son in das Zen­trum des Den­kens stellt. In die­ser Phase sind Un­si­cher­hei­ten zu be­ob­ach­ten, die die Be­wer­tung der ei­ge­nen Per­son, des ei­ge­nen Ver­hal­tens und der Wir­kung auf an­de­re be­tref­fen.

Im Zu­sam­men­hang der At­tri­bu­ti­ons­theo­rie las­sen sich diese Un­si­cher­hei­ten ge­nau­er be­schrei­ben. Si­tua­ti­ons­be­ding­te ex­ter­ne Fak­to­ren wer­den in­ter­na­li­siert und als we­sent­lich für die ei­ge­ne Per­son an­ge­se­hen. Das kann an Bei­spie­len er­läu­tert wer­den. Be­klagt eine Mut­ter das zi­cki­ge Ver­hal­ten der Toch­ter, kann es im Zuge der Ge­ne­ra­li­sie­rung zu dem Selbst­ur­teil kom­men: Ich bin eine Zicke. Ent­wi­ckeln sich auf­grund äu­ße­rer Fak­to­ren - etwa im Zu­sam­men­hang mit fa­mi­liä­ren Pro­ble­men – die Schul­leis­tun­gen zum Ne­ga­ti­ven, kann das Selbst­bild des „Lo­sers“ ent­ste­hen. Fällt es einem Ju­gend­li­chen schwer in sei­nem Le­bens­be­reich Ord­nung zu ent­wi­ckeln, kann Kri­tik zu der In­ter­na­li­sie­rung des Selbst­bil­des als „Chaot“ füh­ren.

Wir wähl­ten die Me­ta­pher „Bran­ding“ als Be­schrei­bung für sol­che in der frü­hen Pu­ber­täts­zeit ty­pi­schen In­ter­na­li­sie­run­gen. Bran­dings sind Zier­nar­ben, die auf der Haut an­ge­bracht wer­den. Die in­ter­na­li­sier­te Selbst­be­schrei­bung „Loser“, „Chaot“, Zicke“ ist solch einem auf der Haut an­ge­brach­ten Bran­ding ver­gleich­bar.

Ju­gend­li­che emp­fin­den sol­che Zu­schrei­bun­gen als Aus­druck von Un­frei­heit, weil sie Mus­ter um­schrei­ben, die sie zum einen iso­lie­ren, zum an­de­ren auch künf­ti­ges Ver­hal­ten dis­po­nie­ren.

Die Klä­rung des Be­griffs „Bran­ding“ und die Be­ar­bei­tung sol­cher Bran­dings, ver­stan­den als zu­ge­spitz­te For­men von Selbstat­tri­bu­ti­on, stellt den Ein­stieg in un­se­re Ein­heit dar. Im wei­te­ren Ver­lauf der Ein­heit be­zie­hen wir uns auf zwei bi­bli­sche Bei­spie­le, in denen sol­che Bran­dings spür­bar sind. Beim ver­lo­re­nen Sohn geht es um Selbst­zu­schrei­bung als „Loser“, aber eben auch um mög­li­che Bran­dings in der Fa­mi­lie. In der Hei­lungs­ge­schich­te des Aus­sät­zi­gen wird mög­li­cher­wei­se die so­zia­le Aus­gren­zung als Bran­ding er­lebt. In der Bio­gra­fie Mar­tin Lu­thers kommt es in der Be­zie­hung zum Vater zu Er­fah­run­gen ne­ga­ti­ver At­tri­bu­ti­on, aber auch zur Selbstat­tri­bu­ti­on als Ver­sa­ger.

Die Über­win­dung der in die­ser Form er­leb­ten Un­frei­heit knüpft an die Über­le­gung an, dass die re­li­giö­se Di­men­si­on bei der Ent­wick­lung des ei­ge­nen Selbst hilf­reich sein kann. Der von Lu­ther ent­wi­ckel­te Be­griff für des in Sünde le­ben­den Men­schen als „homo in­cur­vatus in se“ kommt der Be­schrei­bung des durch Selbstat­tri­bu­ti­on in sich selbst ge­fan­ge­nen Men­schen sehr nahe, eines Men­schen, der gleich­sam im Schne­cken­haus sitzt und von sich aus nicht mehr her­aus­zu­kom­men ver­mag.

Im Rah­men die­ser Ein­heit sind die Un­ter­richts­ele­men­te zu Mar­tin Lu­ther (und zwar in der Spie­ge­lung des Lu­ther­films von Eric Till [USA 2003]) kei­nes­falls als Un­ter­richts­se­quenz zur Re­for­ma­ti­on zu ver­ste­hen. Sie set­zen eine sol­che Se­quenz viel­mehr vor­aus. In einem auch film­di­dak­tisch ak­zen­tu­ier­ten Zu­griff the­ma­ti­sie­ren diese Ele­men­te viel­mehr zwei De­tails aus Lu­thers per­sön­li­cher Ent­wick­lung, die im Film ein­drück­lich dar­ge­stellt und auch his­to­risch gut be­legt sind. So­wohl der Kon­flikt mit dem Vater5 als auch Lu­thers skru­pu­lö­ses Sün­den­be­wusst­sein und seine an­dau­ern­den Selbst­zwei­fel6 kön­nen dabei unter der Leit­per­spek­ti­ve des Bran­dings be­trach­tet wer­den, ohne dass di­dak­tisch oder his­to­risch eine un­an­ge­mes­se­ne Über­deh­nung der Be­griff­lich­keit ein­tritt.

Bon­hoef­fers Ge­dicht aus der Ge­fäng­nis­zeit in Ber­lin-Tegel ist in hohem Maße durch einen Kon­trast zwi­schen ver­meint­lich selbst­si­che­rer Au­ßen­wir­kung und in­ne­rer Zer­ris­sen­heit und Ängst­lich­keit ge­prägt. In­ner­halb des Ge­dichts tritt die­ser Zwi­schen­spalt for­mal durch eine kunst­voll ar­ran­gier­te Span­nung von Zu­schrei­bun­gen auf: ei­ner­seits wird dem Ge­fan­ge­nen Bon­hoef­fer „von außen“ ein ge­las­sen-sou­ve­rä­ner Um­gang mit der Si­tua­ti­on be­schei­nigt. An­de­rer­seits über­fal­len Bon­hoef­fer aber Ver­zweif­lung und Angst, was den an­de­ren Ge­fan­ge­nen ver­bor­gen ist. Damit aber wird der ne­ga­tiv ak­zen­tu­ier­te Be­griff des Bran­dings neu ak­zen­tu­iert. Es kommt nun­mehr „von innen“ und nicht mehr von außen.

Damit wird in­ner­halb des Un­ter­richts ein neuer As­pekt des „Bran­dings“ sicht­bar ge­macht. Das „Ab­stem­peln“ muss für einen Men­schen nicht von außen kom­men, er kann es sich selbst zu­fü­gen. Die bei Bon­hoef­fer greif­ba­re Un­si­cher­heit und Zer­ris­sen­heit ist für die Schü­le­rin­nen und Schü­ler in einem von ihrer Le­bens­welt his­to­risch und si­tua­tiv weit ent­fern­ten Punkt an­ge­sie­delt. Selbst­zwei­fel und Un­si­cher­heit im Um­gang mit sich selbst aber sind we­sent­li­che Mar­ker der Pu­ber­täts­pha­se. Genau die be­schrie­be­ne Dis­tanz aber könn­te es er­mög­li­chen, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler über den sprach­lich prä­sen­tier­ten Sach­ver­halt le­bens­nah re­flek­tie­ren kön­nen. Sie sind durch den Ab­stand zur Si­tua­ti­on Bon­hoef­fers näm­lich davon be­freit, sich beim Nach­den­ken per­ma­nent selbst the­ma­ti­sie­ren zu müs­sen.

Die für den Un­ter­richt ge­wähl­ten bi­bli­schen und his­to­ri­schen Bei­spie­le knüp­fen an die Er­fah­rung von schmerz­haf­ten At­tri­bu­tio­nen an, zei­gen aber auch auf, wie er­leb­te Un­frei­heit durch den Be­zugs­punkt des Glau­bens über­wun­den wer­den kann.

 


1 Vgl zum Fol­gen­den Veit-Ja­ko­bus Die­te­rich: Die Ent­de­ckung und Ent­wick­lung des »Selbst« in der Ju­gend­zeit – Kon­tu­ren einer (theo­lo­gi­schen) An­thro­po­lo­gie des Ju­gend­al­ters im An­schluss an em­pi­ri­sche Stu­di­en, in: »Dann müss­te ja in uns allen ein Stück Pa­ra­dies ste­cken« An­thro­po­lo­gie und Ju­gend­theo­lo­gie Jahr­buch für Ju­gend­theo­lo­gie Band 3 Her­aus­ge­ge­ben von Veit-Ja­ko­bus Die­te­rich, Mar­tin Ro­th­gan­gel und Tho­mas Schlag, Stutt­gart 2014, S. 91ff

2 Veit-Ja­ko­bus Die­te­rich: Die Ent­de­ckung und Ent­wick­lung des »Selbst« in der Ju­gend­zeit, S. 101

3 Edgar Thai­digs­mann, Theo­lo­gi­sche An­thro­po­lo­gie – Sys­te­ma­ti­sche An­sät­ze, in: »Dann müss­te ja in uns allen ein Stück Pa­ra­dies ste­cken« An­thro­po­lo­gie und Ju­gend­theo­lo­gie Jahr­buch für Ju­gend­theo­lo­gie Band 3 Her­aus­ge­ge­ben von Veit-Ja­ko­bus Die­te­rich, Mar­tin Ro­th­gan­gel und Tho­mas Schlag, Stutt­gart 2014, S. 56ff

4 Six, B. (2016). At­tri­bu­ie­rung, At­tri­bu­ti­on. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Le­xi­kon der Psy­cho­lo­gie. Ab­ge­ru­fen am 01.09.2016

5 Vgl. dazu: Mar­tin Brecht, Mar­tin Lu­ther. Sein Weg zur Re­for­ma­ti­on 1483- 1521, Stutt­gart 1981, S. 18-19; jetzt auch Uwe Hau­ser: Mehr als Lu­ther. Die Re­for­ma­ti­on im Süd­wes­ten, Karls­ru­he 2016, S. 15 (zur hohen Ehr­er­bie­tung von Hans Lu­ther ge­gen­über dem Ju­ra­stu­den­ten Mar­tin Lu­ther)

6 Vgl. dazu nur aus­führ­lich: Mar­tin Brecht, Mar­tin Lu­ther. Sein Weg zur Re­for­ma­ti­on 1483- 1521, Stutt­gart 1981, S. 78-79 (Lu­thers Skru­pel bei der ers­ten Messe hin­sicht­lich der kor­rek­ten und wür­di­gen Ge­stal­tung des Mess­op­fer­ge­sche­hens).

 

Ein­füh­rung in die Stun­den­ver­läu­fe: Her­un­ter­la­den [doc][547 KB]

Ein­füh­rung in die Stun­den­ver­läu­fe: Her­un­ter­la­den [pdf][914 KB]

 

Wei­ter zu Bezug zum Bil­dungs­plan