Biografisches Lernen als eigene Identitätsarbeit
Ab dem 5./ 6. Lebensjahr bildet sich ein autobiografisches Gedächtnis heraus. Es wird ein „narratives Selbst“ entwickelt, das hilft, emotional erregende Ereignisse verarbeiten zu können.1 Biografisches Lernen ist kein punktueller oder abgeschlossener Prozess, sondern vollzieht sich permanent:
„Ob wir es wollen oder nicht, ob es uns bewusst ist, oder nicht, wir denken permanent über uns selbst, über unsere Motive, über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach und gleichen ständig in einem inneren Monolog ab: Kenn ich das schon? Welche Erfahrungen habe ich damit gemacht? Was halte ich davon? Will ich das? Muss ich das? Wir vergleichen uns ständig mit anderen, mit deren Lebensgeschichten, mit ihren Mustern und dies wiederum beeinflusst unsere eigenen Entscheidungen und die Wahrnehmung von uns selbst.“2
Der Umgang mit der eigenen sowie mit fremden Biografien ermöglicht es den Schüler_innen, sowohl in kognitiver als auch in emotionaler und sozialer Hinsicht mit sich selbst in Beziehung zu treten und ihren Lebensstil, ihre Werte und Normen neu zu reflektieren und abzugleichen. Im Hinblick auf eigene Identitätsarbeit erfüllt die Biografiearbeit somit die Funktion eines Spiegels bzw. eines „permanent brain“ und insbesondere autobiografische Ansätze eröffnen diesbezüglich eine Reflexion der Fragen wie z.B.:
- Was gab bzw. gibt mir Kraft in schweren Lebenssituationen?
- Was brachte bzw. bringt mich weiter?
- Wie wirkt mein Umfeld auf mich ein?
- Was prägt mich? Was macht mich zu demjenigen oder derjenigen, der oder die ich jetzt bin?
- Was sind meine Ziele?
Dabei ist es auch lohnenswert, diese Fragen unter dem Blickwinkel einer fremden Biografie zu überlegen: Was hätte diese Person dazu erwidert? Neben Perspektivenübernahme werden die Schüler_innen selbst in die Frage mit hineingenommen. Die Fremdperspektive ermöglicht ihnen hierbei eine perspektivische Übungsmöglichkeit, zu der sie sich schließlich wieder selbst in kritische Beziehung setzen können.
Auf der anderen Seite verbindet sich das Lernen an fremden Vorbildern mit dem zunehmenden Wunsch der Jugendlichen nach „Helden“.3 Diese Helden bilden einen Anknüpfungspunkt für Träume und Ziele und stecken dadurch – bewusst oder unbewusst – einen normativen Verhaltensrahmen ab.
1 Vgl. Baierl, M.: Biografiearbeit in der Schule, S. 11, 16.
2 Stiller, E.: Biografisches Lernen, S. 199.
3 Orientierten sich nach der Schell Jugendstudie 1996 nur 19% an einem Vorbild, so waren es im Jahr 2000 bereits 29%. Vgl. Mendl, H.: Lernen an (außer)gewöhnlichen Biografien, S. 11.
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