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TAFTA

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


M4 – eine wei­te­re Hin­ter­tür für neo­li­be­ra­le Re­for­men

Das ge­plan­te Frei­han­dels­ab­kom­men zwi­schen den USA und der EU ist in aller Munde. US-Prä­si­dent Obama the­ma­ti­sier­te die Trans­at­lan­tic Free Trade Area (TAFTA) in sei­ner jüngs­ten Re­gie­rungs­er­klä­rung und auch An­ge­la Mer­kel und David Ca­me­ron konn­ten sich auf dem letz­ten EU-Gip­fel kaum etwas Schö­ne­res vor­stel­len, als mit den USA eine Frei­han­dels­zo­ne zu grün­den. Woher kommt die­ser plötz­li­che En­thu­si­as­mus? Die Idee einer trans­at­lan­ti­schen Frei­han­dels­zo­ne ist ein alter Hut und es ist mehr als un­wahr­schein­lich, dass die an­ste­hen­den Ver­hand­lun­gen, die Mitte die­ses Jah­res be­gin­nen sol­len, je zu einem nen­nens­wer­ten Er­geb­nis kom­men. Die Ver­hand­lun­gen zu TAFTA eig­nen sich je­doch her­vor­ra­gend, um auf vie­len po­li­ti­schen Ebe­nen so­ge­nann­te „Han­dels­hemm­nis­se“ ab­zu­bau­en. TAFTA ist somit wie eine Ma­trosch­ka-Puppe. Man weiß nicht, was in ihr steckt.

Von Jens Ber­ger

Die Idee des Frei­han­dels ist so alt wie der in­ter­na­tio­na­le Han­del selbst. Teile der Wirt­schaft haben kein In­ter­es­se daran, ent­we­der im ei­ge­nen oder in einem an­de­ren Land durch Zölle oder pro­tek­tio­nis­ti­sche Po­li­tik be­hin­dert zu wer­den. An­de­re Teile der Wirt­schaft wol­len hin­ge­gen durch Zölle und Pro­tek­tio­nis­mus gegen die Kon­kur­renz aus dem Aus­land ge­schützt wer­den – dazu zählt in Eu­ro­pa bei­spiels­wei­se die Agrar­wirt­schaft. Freun­de des Frei­han­dels be­grün­den den Abbau von Han­dels­schran­ken dabei immer wie­der gerne mit dem Ar­gu­ment, Frei­han­del würde Wachs­tum schaf­fen. Doch die­ses Ar­gu­ment ist in einer glo­ba­li­sier­ten Welt reich­lich schräg und gilt streng ge­nom­men nur dann, wenn der Frei­han­del die ei­ge­ne Seite deut­lich ge­gen­über der an­de­ren Seite be­vor­teilt. Be­reits im ers­ten Se­mes­ter lernt jeder Öko­no­mie-Stu­dent, dass sich das Brut­to­in­lands­pro­dukt zu Markt­prei­sen nach der For­mel BIP = C (Kon­sum) + I (In­ves­ti­tio­nen) + G (Staats­aus­ga­ben) + Ex (Ex­por­te) – Im (Im­por­te) be­rech­net. Der Frei­han­del lässt zwar die Summe der Ex­por­te stei­gen, gleich­zei­tig steigt je­doch auch die Summe der Im­por­te. Ein „fai­res“ Frei­han­dels­ab­kom­men, von dem beide Sei­ten gleich­zei­tig pro­fi­tie­ren, ist somit wachs­tums­neu­tral. In der Pra­xis geht es auch sel­ten um die ab­so­lu­ten Zah­len, son­dern meist nur um Han­dels­strö­me. Wer in einer Frei­han­dels­zo­ne ist, hat deut­li­che Vor­tei­le ge­gen­über Mit­be­wer­bern, die au­ßer­halb die­ser Frei­han­dels­zo­ne sind. Es wird glo­bal da­durch kein Wachs­tum ge­schaf­fen, es wer­den le­dig­lich Han­dels­strö­me um­ge­lenkt.

Schon heute spie­len die Zölle fast keine Rolle mehr.

Meist wird Frei­han­del mit dem Weg­fall von Zoll­schran­ken as­so­zi­iert. Das ist ge­ne­rell auch nicht falsch, bei der Dis­kus­si­on rund um TAFTA spie­len die Zölle je­doch eine sehr un­ter­ge­ord­ne­te Rolle. Im Schnitt fal­len beim trans­at­lan­ti­schen Han­del ge­ra­de ein­mal drei Pro­zent für die Zölle an. Viele tech­ni­sche Pro­duk­te sind be­reits heute zoll­frei, je­doch gibt es nen­nens­wer­te Zölle auf Agrar­pro­duk­te. Es ist je­doch un­wahr­schein­lich, dass die Freun­de eines Frei­han­dels­ab­kom­mens ihre Wachs­tums­hoff­nun­gen auf Ex­port­über­schüs­se im Agrar­sek­tor set­zen. In Deutsch­land zäh­len neben dem Außen- und Groß­han­del vor allem die In­dus­trie­lob­bys mit ihrem ver­län­ger­ten Arm in die CDU, CSU, FDP und SPD zu den gro­ßen Be­für­wor­tern von TAFTA. Und dabei geht es nicht um ein paar Pro­zent Zoll­ge­büh­ren.

Dies­seits und jen­seits des At­lan­tiks er­hofft man sich, durch TAFTA Wett­be­werbs­vor­tei­le ge­gen­über Kon­kur­ren­ten aus an­de­ren Re­gio­nen zu ge­win­nen – und hier spielt neben China auch Japan eine Rolle. Neben den eher ge­rin­gen Vor­tei­len durch den Weg­fall der Zoll­schran­ken geht es dabei vor allem um ein­heit­li­che Richt­li­ni­en. Für die eu­ro­päi­sche Phar­ma-In­dus­trie wäre es bei­spiels­wei­se ein gro­ßer Vor­teil, wenn ihre Me­di­ka­men­te, die be­reits nach der ver­gleichs­wei­se la­schen EU-Arz­nei­mit­tel­ver­ord­nung zu­ge­las­sen wur­den, ohne wei­te­re Zu­las­sungs­ver­fah­ren durch die Food and Drug Ad­mi­nis­tra­ti­on auch in den USA ver­trie­ben wer­den dürf­ten. Es ist je­doch ex­trem un­wahr­schein­lich, dass die USA sich einem sol­chen Pas­sus im Frei­han­dels­ab­kom­men beu­gen wür­den. Um­ge­kehrt ist es kaum vor­stell­bar, dass die EU ihren Markt für Agrar­pro­duk­te aus den USA öff­net und bei­spiels­wei­se ihre Richt­li­ni­en für „Gen­mais“, „Hor­mon­rind­fleisch“ und „Chlor­hüh­ner“ ab­schafft – nicht wegen des Ver­brau­cher­schut­zes, der oh­ne­hin nur klein ge­schrie­ben wird, son­dern wegen der wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen der über­mäch­ti­gen eu­ro­päi­schen Agrar­lob­by.

USA und EU – in Frei­han­dels­fra­gen chro­nisch un­eins .

Wer denkt, dass die USA und die EU in Sa­chen Frei­han­del auf einer Wel­len­län­ge lie­gen, täuscht sich ge­wal­tig. Seit Ewig­kei­ten strei­ten sich die Lob­by­is­ten bei­der Wirt­schafts­räu­me be­reits in den Ver­hand­lun­gen zu den GATT- und spä­ter den WTO-Run­den. Die ak­tu­el­le WTO-Runde mit dem Namen „Doha-Runde“ läuft nun schon seit 2001 und es ist heute un­wahr­schein­li­cher denn je, dass sie je­mals zu einem Er­geb­nis kommt. An­ders als TAFTA ist die Doha-Runde kein bi­la­te­ra­ler An­satz, son­dern ein glo­ba­ler, der für alle 158 WTO-Mit­glie­der gilt und daher auch von allen Mit­glie­dern ver­han­delt wird. Die EU war in der Doha-Runde stets ein trei­ben­der Part, wäh­rend neben China vor allem auch die USA immer wie­der auf die Brem­se drück­ten. Und nun sol­len die bei­den Wirt­schafts­räu­me, die bei der Doha-Runde in zahl­rei­chen Punk­ten mei­len­weit aus­ein­an­der lie­gen, einen „gro­ßen Wurf“ bei TAFTA hin­le­gen, wie es Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Rös­ler eben so nass­forsch wie kom­pe­tenz­frei ver­kün­det? Nicht nur die EU und die US-Re­gie­rung müss­ten TAFTA zu­stim­men, son­dern auch das Eu­ro­pa­par­la­ment und jedes der 27 na­tio­na­len EU-Par­la­men­te. Wer weiß, mit wel­chen Mit­teln sich al­lei­ne die ver­schie­de­nen na­tio­na­len Agrar­lob­bys auf EU-Ebene be­kämp­fen, kann sich schwer­lich vor­stel­len, dass es dies­seits des At­lan­tiks ein ein­stim­mi­ges Votum zu einem „gro­ßen Wurf“ in Sa­chen TAFTA kom­men könn­te. Und auch die USA sind na­tür­lich nicht frei von Lob­by­in­ter­es­sen. Es ist kaum vor­stell­bar, dass der US-Kon­gress seine Zu­stim­mung zu einem Han­dels­ab­kom­men geben wird, das die Zoll­schran­ken für hoch­sub­ven­tio­nier­te EU-Agrar­pro­duk­te auf­hebt und den US-Far­mern ernst­haf­te Kon­kur­renz ent­ste­hen lässt.

Und das ist alles auch gut so. Ein Frei­han­dels­ab­kom­men zwi­schen den USA und der EU ist über­flüs­sig wie ein Kropf. Da es, wie er­wähnt, kaum Zoll­schran­ken gibt, wird es bei den Ver­hand­lun­gen vor allem um den so­ge­nann­ten „Bü­ro­kra­tie­ab­bau“ gehen. Die Bü­ro­kra­tie, die ab­ge­baut wer­den soll, ist aber zum Nut­zen der Ge­sell­schaft. Die Ame­ri­ka­ner wol­len zu Recht keine schlecht ge­tes­te­ten eu­ro­päi­schen Arz­nei­mit­tel und die Eu­ro­pä­er wol­len eben­falls zu Recht kei­nen Gen­mais und kein Hor­mon­rind­fleisch. Die ent­schei­den­de Frage ist daher: Warum ver­han­delt man, wenn man oh­ne­hin zu kei­nem Er­geb­nis kommt?

TRIPS, SOPA, ACTA – was steckt in TAFTA?

Die TAFTA-Ver­hand­lun­gen sind erst ein­mal auf zwei Jahre an­ge­legt. Die Er­fah­rung zeigt je­doch, dass sol­che Ver­hand­lun­gen auch meh­re­re Jahr­zehn­te dau­ern kön­nen – erst Recht, wenn sie so kom­plex sind, wie es bei den TAFTA-Ver­hand­lun­gen zu er­war­ten ist. Unter dem Vor­wand, diese oder jene Ge­setz­ge­bung sei „al­ter­na­tiv­los“, da sie eine Grund­vor­aus­set­zung für ein TAFTA-Ab­kom­men sei, kann un­po­pu­lä­ren Ge­set­zen so das Label des „Sach­zwangs“ ver­passt wer­den. Was ge­hört dazu?

Es ist zu er­war­ten, dass über die TAFTA-Ver­hand­lun­gen auch die The­men Ver­schär­fung des Ur­he­ber­rechts und Schutz geis­ti­gen Ei­gen­tums wie­der auf den Tisch kom­men. Die USA haben gro­ßes In­ter­es­se daran, dass die ame­ri­ka­ni­schen Rech­te und Pa­ten­te für im­ma­te­ri­el­le Güter wie mul­ti­me­dia­le In­hal­te und Soft­ware in der EU ge­stärkt wer­den. Das TRIPS-Ab­kom­men [1] geht vie­len Lob­by­is­ten hier nicht weit genug. Akro­ny­me wie SOPA [2] und ACTA [3] las­sen er­ah­nen, wohin die Reise geht. Aber auch in der ma­te­ri­el­len Wirt­schaft könn­te TAFTA als Vor­wand für eine wei­te­re De­re­gu­lie­rung und Pri­va­ti­sie­rung ge­nutzt wer­den. Über­all dort, wo ame­ri­ka­ni­schen Un­ter­neh­men der un­be­hin­der­te Zu­gang zu den eu­ro­päi­schen Märk­ten fehlt, könn­te im Rah­men der TAFTA-Ver­hand­lun­gen eine De­re­gu­lie­rung ge­for­dert wer­den. Dies reicht von der Was­ser­ver­sor­gung­über das Ge­sund­heits­sys­tem [z.B. beim bri­ti­schen NHS ] bis zum brei­ten Feld der Fi­nanz­markt­pro­duk­te. Und hier sind es wohl­ge­merkt nicht nur die US-Un­ter­neh­men, die sich stei­gen­de Pro­fi­te ver­spre­chen. Es geht vor allem darum, den Staat aus mög­lichst vie­len Be­rei­chen her­aus zu drän­gen, Märk­te zu de­re­gu­lie­ren und die Pri­va­ti­sie­rung vor­an­zu­trei­ben.

Es ist daher auch gar kein Wun­der, dass TAFTA vor allem von An­ge­la Mer­kel und David Ca­me­ron vor­an­ge­trie­ben wird und „Fipsi“ Rös­ler laut ap­plau­diert. TAFTA hat in letz­ter Kon­se­quenz al­lei­ne schon wegen der ge­rin­gen Wahr­schein­lich­keit, dass es je­mals um­ge­setzt wird, wenig mit dem trans­at­lan­ti­schen Han­del zu tun. Es geht viel­mehr darum, un­po­pu­lä­re markt­li­be­ra­le Maß­nah­men gegen den Wil­len der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung um­zu­set­zen.

TAFTA ist mo­men­tan nicht mehr als eine leere Hülle. Was TAFTA über­haupt be­inhal­ten soll, wird sich erst wäh­rend der Ver­hand­lun­gen zei­gen, die im Juni die­ses Jah­res be­gin­nen. Man muss je­doch kein Pro­phet sein, um zu er­ah­nen, wel­che „Re­for­men“ die eu­ro­päi­sche Seite im Schlepp­tau von TAFTA an­strebt. Schreibt der Fis­kal­pakt den eu­ro­päi­schen Län­dern eine neo­li­be­ra­le Fi­nanz­po­li­tik vor, könn­te TAFTA die von Mer­kel und Co. ge­wünsch­te Er­gän­zung dar­stel­len, um auch den neo­li­be­ra­len De­re­gu­lie­rungs­t­raum eu­ro­pa­weit um­zu­set­zen.

(CC) BY NC ND Jens Ber­ger: http://​www.​nac​hden​ksei​ten.​de/?​p=16289 [22.02.2013]

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Wei­ter mit Kor­rek­tur- und Lö­sungs­hin­wei­se


[1] zu­rück Das Über­ein­kom­men über han­dels­be­zo­ge­ne As­pek­te der Rech­te am geis­ti­gen Ei­gen­tum oder TRIPS-Ab­kom­men ist eine in­ter­na­tio­na­le Ver­ein­ba­rung auf dem Ge­biet der Im­ma­te­ri­al­gü­ter­rech­te. Es legt mi­ni­ma­le An­for­de­run­gen für na­tio­na­le Rechts­sys­te­me fest, die si­cher­stel­len sol­len, dass die Maß­nah­men und Ver­fah­ren zur Durch­set­zung der Rech­te des geis­ti­gen Ei­gen­tums nicht selbst zu Schran­ken für den recht­mä­ßi­gen Han­del wer­den.
[2] zu­rück Der Stop On­line Pi­ra­cy Act (SOPA) ist ein Ge­setz­ent­wurf, der 2011 im US-ame­ri­ka­ni­schen Re­prä­sen­tan­ten­haus ein­ge­bracht wurde. Nach In­kraft­tre­ten soll­te die­ser ame­ri­ka­ni­schen Ur­he­ber­rechts­in­ha­bern er­mög­li­chen, die nicht ge­neh­mig­te Ver­brei­tung ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ter In­hal­te wirk­sam zu ver­hin­dern. Der Vor­sit­zen­de des Jus­tiz­aus­schus­ses im Re­prä­sen­tan­ten­haus­mach­te gab im Ja­nu­ar 2012 be­kannt, dass der SOPA-Ent­wurf wegen hef­ti­ger Kri­tik vor­erst nicht wei­ter vor­an­ge­trie­ben wer­den würde.
[3] zu­rück Das Anti-Coun­ter­feit­ing Trade Agree­ment, kurz ACTA, (deutsch Anti-Pro­dukt­pi­ra­te­rie-Han­dels­ab­kom­men) war ein ge­plan­tes mul­ti­la­te­ra­les Han­dels­ab­kom­men. Die teil­neh­men­den Na­tio­nen bzw. Staa­ten­bün­de woll­ten mit ACTA in­ter­na­tio­na­le Stan­dards im Kampf gegen Pro­dukt­pi­ra­te­rie und Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen eta­blie­ren. Nach um­fang­rei­chen, in­ter­na­tio­na­len Pro­tes­ten lehn­te das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment ACTA im Juli 2012 mit gro­ßer Mehr­heit ab.